Peking. . Der regimekritische chinesische Künstlers Ai Weiwei ist am Sonntag (3. April) am Flughafen in Peking verhaftet und verschleppt worden. Noch immer fehlt von dem 53-Jährigen jede Spur. Es gibt kaum eine öffentliche Person in China, die soviel Zustimmung und Ablehnung zugleich auf sich zieht.
„Die von Ihnen gewählte Nummer ist derzeit nicht zu erreichen – bitte versuchen Sie es später noch einmal“, sagt die Frauenstimme vom Tonband der chinesischen Telefongesellschaft. Ai Weiwei, der bekannte Aktionskünstler, ist nicht zu erreichen, seitdem Polizisten ihn am Sonntagvormittag auf dem Pekinger Flughafen an der Ausreise daran hinderten, nach Hongkong zu fliegen und ihn abführten.
Die Festnahme des 53jährigen markiert eine neue Stufe der Verfolgung und Einschüchterung von Regierungskritikern in China: Bislang schien es oft so, als ob er sich mehr erlauben konnte als andere, als ob eine unsichtbare Hand ihn trotz seiner bissigen Äußerungen über die Partei vor Repressionen schützte – zumindest in Peking.
Denn Ai Weiwei gehört zu einer prominenten Familie aus dem revolutionären China: Sein Vater war der von vielen Chinesen verehrte Dichter Ai Qing, der in den fünfziger und sechziger Jahren wie so viele chinesische Intellektuelle in die Mühlen ideologischer Kampagnen geriet. Bei den Fraktionskämpfen in der Kommunistischen Partei war der frühere Vertraute Mao Zedongs in Ungnade gefallen und ins Hinterland verbannt worden.
Sein Vater war der von vielen verehrte Dichter Ai Qing
Ai Weiwei hatte den Vater in die Verbannung begleitet und als Kind miterlebt, wie er gequält und verspottet wurde. Es waren die Jahre der Kulturrevolution, als Mao die Jugend des Landes aufrief, in einem Rausch der Allmacht alles Alte zu zerstören, Kunstwerke, Tempel, Museen. Als die Pekinger Partei den Vater wieder aufnahm und die KP die Exzesse als „historischen Irrtum“ entschuldigte, nutzte der Sohn die erste Gelegenheit, ins Ausland zu gehen: Er zog 1981 nach New York und schlug sich dreizehn Jahre lang als Künstler und Gelegenheitsarbeiter durch.
In den neunziger Jahren kehrte er nach Peking zurück an die Seite seines schwerkranken Vaters, der 1996 starb. Mit seinen respektlosen Kunstaktionen erregte der Heimkehrer bald Aufsehen im In- und Ausland - und schaffte es seither immer wieder, seine Umgebung in Verwirrung zu stürzen: Bis heute gibt es wohl kaum eine öffentliche Person in China, die soviel Zustimmung und Ablehnung zugleich auf sich zieht.
Er stürzte seine Umgebung immer wieder in Verwirrung
Entsetzt schauten viele Landsleute auf Werke wie das „Fallenlassen eines Gefäßes aus der Han-Dynastie“: Mehrere Fotos, die den kräftig gebauten Ai Weiwei zeigen, wie er eine zweitausend Jahre alte Vase ungerührt zu Boden krachen lässt.
Wertvolle Ming-Vasen verschandelte er mit dem Coca-Cola - Namenszug. Die Foto-Sammlung „Studie von Perspektiven“ zeigt seine ausgestreckte Hand mit dem Stinkefinger vor Sehenswürdigkeiten wie dem Tiananmen-Platz, Eiffelturm und dem Weißen Haus. Er organisierte eine gemeinsame Schau von Werken verschiedener chinesischer Künstler unter dem Titel „Fuck off“.
Gemeinsam mit Kollegen in Peking und Shanghai gründete er mehrere Künstlerkommunen. Er entwarf auch Ateliers, Villen und Museen in seiner Heimat und im Ausland - und beteiligte sich an der Seite der Baseler Architekten Herzog und de Meuron an einem großen Projekt, das zum Wahrzeichen des stolzen und aufstrebenden China werden sollte: an dem „Vogelnest“ genannten Pekinger Olympiastadion. Bis zum Beginn der Olympischen Spiele 2008 hatte Ai Weiwei allerdings seine Haltung geändert: Er lehnte die Veranstaltung als Propaganda-Schau der Regierung öffentlich ab.
Für die Dokumenta 2007 brachte er 1001 Chinesen nach Kassel
In Deutschland bekannt wurde er durch seinen Beitrag für die Documenta im Jahr 2007, als er „1001“ Chinesen aus dem ganzen Land zur Kasseler Kunstausstellung brachte.
Mit Mammutausstellungen, Dokumentarfilmen und Fotoshows war er in allen großen Galerien der Welt. Ai Weiwei ist inzwischen im Ausland bekannter als alle seine chinesischen Künstlerkollegen. In China selbst waren es vor allem politische Aktionen, die ihm Respekt oder Ablehnung eintrugen.
An der Wand seines Studios in Peking hängen noch die Namen der Kinder, die er und andere Aktivisten nach dem schweren Erdbeben von 2008 dem Vergessen entrissen: Bei der Katastrophe in Sichuan waren besonders viele Schulen wegen Pfusch am Bau eingestürzt. Die Regierung hatte versucht, die Zahl der verschütteten Schüler zu vertuschen. Als einer der Sichuaner Tan Zuoren 2009 vor Gericht gestellt wurde, reiste Ai Weiwei zur Verhandlung. Polizisten schlugen ihn schwer zusammen, in München musste er wegen eines Blutgerinsels im Gehirn operiert werden.
Polizisten schlugen Ai Weiwei 2009 schwer zusammen
Diese Erfahrung hatte ihn schwer erschüttert, wie er in einem Interview zugab. Dennoch hörte er nicht auf, sich für mehr Freiheiten in China zu engagieren. Auch beim Prozess gegen den späteren Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo Weihnachten 2009 tauchte Ai Weiwei demonstrativ vor dem Gerichtsgebäude auf. Er hielt nie mit seiner Ablehnung der KP hinter dem Berg.
Für seinen Mut wurde er in den vergangenen Monaten immer häufiger schikaniert: Polizisten bauten Kameras vor seinem Haus auf. Sein Atelier in Shanghai wurde jüngst abgerissen. In der vorigen Woche gab er bekannt, dass er sich in Berlin ein neues Studio errichten und ein „zweites Standbein“ schaffen wolle, da er in Peking nicht mehr ungestört arbeiten könne. Ins Exil wolle er aber nicht gehen.
Er versuchte sich mit zahllosen Kontakten ins Ausland zu schützen, Interview-Wünsche lehnte er nie ab. Je höher sein Bekanntheitsgrad, desto weniger würden es die Behörden wagen, ihn zu verfolgen. Nun scheint es so, dass die KP die Geduld mit dem Unberührbaren verloren hat.