Essen. . Leiharbeit, Minilöhne und Aufstocker sorgen regelmäßig für Empörung. Darum, was das mit den Renten macht, geht es selten.

Leiharbeit, Minilöhne und Aufstocker sorgen regelmäßig für Empörung. Darum, was das mit den Renten macht, geht es selten. Herbert Rische, Präsident der Deutschen Rentenversicherung, sprach mit Stefan Schulte über Altersarmut von heute und morgen.

Die Rentner erhalten ein Prozent mehr. Die Preise steigen doppelt so stark, also bleibt ein reales Rentenminus. Wann, wenn nicht im Aufschwung, können die Renten richtig steigen?

Rische: Wir hätten in diesem Jahr eine Erhöhung um zwei Prozent gehabt, wenn wir nicht vergangene Wohltaten ausgleichen müssten. Die Politik hat Abschläge außer Kraft gesetzt und 2010 eine Minusrunde verhindert. Das alles muss man irgendwann wieder auffangen, wenn der Beitrag stabil bleiben soll. Das folgt nicht unserer Willkür, sondern Adam Riese.

Wie lange greifen die Abschläge denn noch?

Durch diverse Entscheidungen länger als geplant – nach jetzigem Stand bis 2015. Wie stark danach die Renten steigen, hängt immer von den Löhnen ab. Wenn die Fachkräfte knapp werden, dürfte auch die Lohnentwicklung wieder nach oben gehen.

Die Verfassungsrichter haben für Hartz IV einen Inflationsausgleich verfügt. Rentner erhalten keinen und viele verstehen das nicht.

Ja, wir werden den Rentnern erklären müssen, warum ihre Anpassung niedriger ist als die in Hartz IV. Das wird schwierig. Man kann ihnen sagen, dass die Renten jahrzehntelang stärker gestiegen sind als die Preise. Wenn das nun nicht mehr so ist, liegt das an den Löhnen der Berufstätigen, also ihrer Kinder und Enkel. Die haben zuletzt selbst keinen Inflationsausgleich erhalten. Und sie müssten noch mehr zahlen, wenn die Renten stärker erhöht würden.

Heute reichen die meisten Renten noch zum Leben aus, doch alle Prognosen warnen vor steigender Altersarmut. Wie schlimm wird es?

Man muss die gesamten Alterseinkünfte sehen, nicht nur die gesetzliche Rente. Unternehmen, die Facharbeiter suchen, werden sie künftig womöglich mit Betriebsrenten locken. Das Problem ist der Niedriglohnsektor. Wird er weiter ausgebaut, werden immer mehr Menschen immer weniger Rente haben.

Selbst bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro müsste man nach einem langen Arbeitsleben zum Sozialamt. Macht für diese Menschen die Rentenversicherung überhaupt noch Sinn?

Wer jetzt schon Hilfe vom Staat braucht, kann auf keine vernünftige Rente kommen. Doch das kann die Rentenversicherung nicht lösen, da sind die Tarifpartner und auch die Politik gefragt. Wenn der Niedriglohn weiter so wächst, können Sie jedes lohnbezogene Sozialsystem in die Tonne treten, auch die Krankenversicherung. Ob man dann eine Mindestrente macht oder alles übers Sozialamt auffängt – in beiden Fällen stellt sich die Frage, wer das bezahlen soll.

Ja, wer?

Ein Mindestlohn ist nicht mein Thema, der reicht auch nicht. Mein Thema ist, ob man noch über Löhne Altersvorsorge betreiben kann. Die Gesellschaft muss sich fragen, ob sie will, dass ganztags Beschäftigte von ihrem Lohn nicht leben können. Mein Ziel ist das nicht. Wer das weiter so betreibt, vereinbart gleichzeitig, dass die Menschen im Alter auf Grundsicherung angewiesen sein werden. Das sollte auch die Politik interessieren, denn sie wird dafür die Steuermilliarden besorgen müssen.

Ein Minijobber erarbeitet sich in einem ganzen Jahr einen Rentenanspruch von 2,60 Euro. Für Langzeitarbeitslose wurde der Rentenbeitrag gestrichen. Ist das nicht konsequent, wenn dabei ohnehin keine anständige Rente herauskommt?

Ich fordere seit langem, für Arbeitslose höhere Beiträge einzuzahlen, so wie es zum Beispiel früher in der Arbeitslosenhilfe war. Wenn man meint, das kann man nicht zahlen, muss man sagen, wie man dann später die Grundsicherung finanzieren will. Die Minijobs waren als Brücke in ordentliche Jobs gedacht. Ich bin nicht überzeugt, dass dies gelungen ist.

Die dritte Problemgruppe sind kleine Selbstständige. Was kann man für sie tun?

Wir sind die Letzten, bei denen Selbstständige sich nicht versichern müssen. In ganz Europa ist das so. Das ist auch der vernünftige Weg, alle Erwerbstätigen versicherungspflichtig zu machen. Es gibt aber noch eine vierte Gruppe, die Erwerbsunfähigen. Und für die können wir etwas tun. Sie müssen auch Abschläge hinnehmen, haben aber kaum eine Chance zusätzlich vorzusorgen. Für Invaliden ist es schwer, sich privat abzusichern. Da müssen wir in der Rentenversicherung nachsteuern oder nur noch Riester-Verträge akzeptieren, wenn auch Invalidenschutz drin ist.

Hat die Rentenversicherung nicht auch eine Fürsorgepflicht gegenüber Geringverdienern? Wenn sittenwidrige Löhne gezahlt werden, müssten Sie dann nicht Betriebsprüfungen machen, um Beiträge einzutreiben?

Wir holen durch Betriebsprüfungen jedes Jahr dreistellige Millionenbeträge rein. Doch wir können nicht mit staatsanwaltlichen Methoden vorgehen. Wo es Anhaltspunkte gibt, wie jetzt bei den Leiharbeitsfirmen mit dem Tarif der Christlichen Gewerkschaft, werden wir auch aktiv.