Wuppertal. . NRW steht vor einem Umbau seiner Energieversorgung. Die Tage der großen Kohlekraftwerke an Rhein und Ruhr sind gezählt, glaubt der Wuppertaler Energieexperte Prof. Manfred Fischedick. Doch was kommt danach?
Die großen Zukunftsträume der Atomenergie – nach dem Unglück in Fukushima scheinen sie zumindest in Deutschland geplatzt. Woher aber kommt der Strom, wenn die Meiler heruntergefahren werden? Und was wird aus dem Industrieland NRW, dessen Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) als „Öko-Taliban“ beschimpft wird, weil er in einem Landesklimaschutzgesetz festschreiben will, den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu verringern?
Der große Umbau des Energielandes ist möglich, glaubt Prof. Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Die Denkfabrik für Nachhaltigkeitsforschung argumentiert gegen die Kritik aus den Reihen der Schwerindustrie, des Mittelstandes oder der Gewerkschaft IGBCE. Fischedick aber ist überzeugt: „Es ist eine große Chance, wenn ein Kernland wie NRW vorangeht.“
Fischedick bewertet den Atomunfall in Fukushima als eine Zäsur in der Energiepolitik: „Der Umgang mit den Restrisiken der Kernenergie, die sich durch den Unfall nicht erhöht haben, aber wieder deutlich ins Bewusstsein geraten, wird neu bewertet werden und zu einem schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie führen.“ Kohle- oder Erdgaskraftwerke, die als Lückenfüller kurzfristig mehr Strom produzieren würden, müssten „möglichst schnell durch klimaverträgliche Investitionen ersetzt werden“.
Zukunftsmärkte
Auf Klimaschutzpolitik, sagt Fischedick, müsse nicht zwangsläufig folgen, dass es in NRW keine Industrie mehr gebe. Umgekehrt müsse man fragen: „Welchen Beitrag können die chemische Industrie, die Stahl- oder Aluminiumwerke leisten, um Klimaschutztechnologien voran zubringen?“ Der promovierte Energietechniker nennt Antworten: „Batterietechnologien, Materialien für den Leichtbau oder Dämmstoffe, um unsere Häuser energetisch zu sanieren.“ Hier liegen die Märkte der Zukunft, sagt er. „Wer in der Lage ist, anwendungsfähige Technologien anzubieten, macht mit Klimaschutz auch international Geschäfte. Das ist das Gegenteil von Deindustrialisierung.“
Der Umbau der Energieversorgung werde in den nächsten Jahrzehnten aus einem Stromexport- das Stromimportland NRW machen. Noch kommt mehr als ein Drittel des in Deutschland erzeugten Stroms aus NRW. „Doch die Kohleverstromung in großen Kraftwerken wird weniger, sie passt nicht mit den Klimazielen zusammen.“ Für Erneuerbare Energien gebe es in NRW Ausbaupotenzial. „Doch das wird nicht der Ersatz für das sein, was an Kohlestromerzeugung wegbricht.“ Große Chancen sieht er in der Kraft-Wärme-Kopplung: „Sollte es gelingen, in den nächsten fünf bis zehn Jahren die Brennstoffzelle für Kleinsteinheiten mit einem Wirkungsgrad von 60 Prozent zu entwickeln, dann wäre das ein immenser Beitrag zum Klimaschutz.“ Neu denken müssten die jetzigen Betreiber von Kohlekraftwerken, die Energieversorger. „Für RWE oder Eon ist es eine Zukunftschance, zu Energiedienstleistern zu werden.“ Fischedick: „Bislang verkauften die Versorger die Energie in Kilowattstunden Strom oder Kubikmetern Gas. Nun könnten sie die komplette Dienstleistung anbieten: ein gewärmtes Haus, einen gekühlten Gewerbepark oder eine Marge Druckluft für die Industrie. Der Hausbesitzer zahlt nicht mehr für den Liter Öl, sondern für die kuschelig warme Wohnung.“
Schauräume
Projekte wie die „Innovation City“, durch die Bottrop zur Niedrig-Energiestadt werden soll, sind für Fischedick Gold wert. „Wir brauchen Schauräume und die Möglichkeit, etwas auszuprobieren.“ Vielleicht, so glaubt er, wird es zur Renaissance des Tante-Emma-Ladens um die Ecke kommen, um den Verkehr einzuschränken. Oder aber den Bus-on-demand – eine Art Bürgerbus, der auf Anforderung Stadtteile anfährt. Der Schlüssel, sagt Fischedick, seien neue Dienstleistungsangebote für eine immer älter werdende Gesellschaft. „Japan ist uns zehn Jahre voraus. Und China wird von uns lernen.“
Doch was in der Energieversorgung richtig oder falsch sei, werde in Deutschland nicht offen diskutiert. Weil dieser Dialog nicht stattfinde, würden Stellvertreter-Kriege geführt: Proteste gegen Kohlekraftwerke, gegen geplante Kohlendioxid-Speicher in Schleswig-Holstein oder gegen Windparks in der Nordsee. Fischedick: „Wir müssen uns fragen welche ,Kröten’ wir bereit sind zu schlucken.“
Kein Gesamtbild
So aber streite man um Einzelstandorte, ohne das Gesamtbild im Blick zu haben: „Die Gesellschaft muss sich fragen, wohin die Reise gehen soll. Wenn wir auf erneuerbare Energien setzen wollen, dann heißt das für Deutschland, dass der Strom vor allem aus den Windparks in der Nord- und Ostsee kommen wird.
Das wird nicht ohne neue Stromtrassen gehen. Ist das der Preis, den wir zahlen wollen? Oder ist es die Kombination aus Kohlekraftwerken im Ruhrgebiet mit Kohlendioxid-Pipelines nach Schleswig-Holstein, die wir wollen?“