Essen. . Ein Buch der Reviergrößen Jürgen Großmann, Klaus Engel und Bodo Hombach facht die Debatte um die Region an.

Die Zukunft des Ruhrgebiets liegt in der Entwicklung der Industrie. Nicht in Finanzspekulationen, nicht in der Kreativwirtschaft, nicht im Drumherum. Das ist die These von Jürgen Großmann, Vorstandschef des Energieversorgers RWE. Das ist die Überzeugung von Klaus Engel, Vorstand des Konzerns Evonik. Das sagt Bodo Hombach, Moderator des Initiativkreises Ruhr und Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe – bei der gemeinsamen Vorstellung ihres Sammelbandes „Phönix flieg !“ zum Strukturwandel im Ruhrgebiet.

„Was wir brauchen, ist eine Renaissance der so genannten Old Economy, die in Wahrheit jung und dynamisch ist“, sagt Engel. Als Beispiel führt er die chemische Industrie an, zu der auch sein Konzern Evonik gehört. Die Chemie liefere die Materialien für grüne Technologien, sie sorge für die verbesserte Nutzung der Ressourcen. Die chemische Industrie sei nötig, um das Land weiter nach vorne zu bringen.

Und weiter sagt Engel: „Ohne Industrie wäre Deutschland, wäre das Ruhrgebiet nie so schnell aus der Krise herausgekommen.“ Als Vergleich führt Engel die andauernde Wirtschaftskrise in Großbritannien an. Dort habe man sich „einseitig“ auf den Finanzsektor fixiert. „Gut, dass wir an der Old Economy festgehalten haben, wir haben es alle erlebt. Es sind nicht die Spekulanten mit ihren Finanzwetten, die nachhaltig Werte schaffen.“ Stattdessen sei es der industrielle Kern einer Volkswirtschaft, der „mit innovativen Produkten und Verfahren“ für Fortschritt und Wohlstand sorge. Aus diesem Grund sei es notwendig, im Ruhrgebiet weiter um Vertrauen für „industrielle Großprojekte und notwendige Infrastrukturprojekte zu werben.“

Die Kreativwirtschaft kann das Ruhrgebiet nicht retten

Auch RWE-Chef Großmann sieht die Weiterentwicklung der Industrie und starke Unternehmen als Garanten des Wandels an. Dabei rückt er kurz nach dem Ende des Kulturhauptstadtjahres auch von der Idee ab, die Kreativwirtschaft könne das Ruhrgebiet retten: „Kultur alleine kann es nicht schaffen.“ Großmann sieht es eher aus der Perspektive des Architekten Albert Speer junior: „Das Ruhrgebiet wird weiter ein von der Produktion lebender Ballungsraum bleiben.“

Doch es geht in dem Buch „Phönix flieg!“ nicht um Industriepolitik pur. Vielmehr sei der 700 Seiten starke Sammelband als Anstoß für Diskussionen über das Ruhrgebiet gedacht, sagte Hombach.

Der WAZ-Geschäftsführer hat das Werk gemeinsam mit Engel und Großmann zu Beginn seiner Amtszeit als Moderator des Initiativkreises Ruhr herausgegeben. Der Band versammelt Texte von 99 Autoren, die über das Revier nachgedacht haben. Dabei ist der Band auch kontrovers.

Der Philosoph Peter Sloterdijk etwa glaubt, vom Ruhrgebiet könne „geradezu einen Art Welt-Revolution ausgelöst werden“, wenn aus der ehemaligen Montanregion heraus eine neue, grüne, nachhaltige Energiewirtschaft entwickelt werde. Eine revolutionäre Idee, die auch und vor allem gegen die großen Energieversorger wie RWE gerichtet ist. Diese würden die Entwicklung aus dem Kohlenstoff-Zeitalter heraus aus Eigeninteresse verschleppen.

„RWE hat seine Daseinsberechtigung. Im Ruhrgebiet“

Sätze, die direkten Widerspruch von RWE-Chef Großmann provozieren: „Sowohl RWE wie auch ich persönlich haben eine Daseinsberechtigung. Im Ruhrgebiet.“

Scharfe Kritik kommt auch vom Bochumer Kabarettisten Jochen Malmsheimer. Dieser ärgert sich über die Belästigung der Region durch die eigene Folklore „von Kumpel Anton und dem kaputten Kiosk anne Ecke“.

Ihm widerspricht mit einem Blick zurück der Gründer der Ruhr-Universität und spätere Ministerpräsident von Sachsen Kurt Biedenkopf (CDU), der sich in seinem Beitrag an die Studentenproteste in Bochum erinnert und das Angebot eines Opel-Betriebsrates, „Leute“ rüberzuschicken, um den Ärger zu lösen.

Ganz nach vorne schaut dann Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD): „Entscheidend ist: Das Ruhrgebiet ist in Bewegung und muss in Bewegung bleiben.“ Um die Dynamik zu sichern, gelte es in Bildung zu investieren.

Anregend zum Schluss der Beitrag des Raumplaners Arnold Voss, der das Revier gedanklich mit den Filmen von Woody Allen vergleicht und feststellt: Wir leben in der spannendste Provinz der Welt.