Essen/Brüssel. . Versicherungen müssen für Männer und Frauen bis Ende 2012 einheitliche Tarife anbieten. Das hat gestern der Europäische Gerichtshof entschieden. Was das für die Versicherten bedeutet:

Die Gleichbehandlung von Mann und Frau hält nun auch Einzug in die Versicherungsmathematik: Es dürfen keine unterschiedlichen Tarife mehr verlangt werden – so hat es gestern der Europäische Gerichtshof entschieden. Bis 2012 müssen alle Versicherer sogenannte Unisex-Tarife für ihre Policen entwickeln. Bei den am meisten verkauften Versicherungen – den Lebens- und Kfz-Versicherungen – dürfte es für Frauen dadurch aber teurer werden. Dagegen können sie bei privaten Renten- und Pflegepolicen auf günstigere Tarife hoffen.

So zahlen Frauen heute in der Regel geringere Beiträge für Lebensversicherungen. Einfach, weil sie im Durchschnitt länger leben. Das wirkt sich vor allem bei Risiko-Lebensversicherungen positiv aus, die nur gezahlt werden, wenn die Versicherte während der Vertragslaufzeit stirbt. Aber auch bei Kapital-Lebensversicherungen, die beim Erleben des Vertragsendes oder aber im Todesfall ausgezahlt werden, kommen Frauen günstiger weg. In beiden Fällen hätte ein einheitlicher Tarif für Männer und Frauen zur Folge, dass Frauen künftig höhere und Männer niedrigere Prämien zahlen müssten.

Auch der Vorteil der Frauen beim Abschluss einer Autoversicherung wäre dahin. Sie werden bisher günstiger eingestuft, weil Frauen seltener Un­fälle verursachen als Männer. Umgekehrt können künftig die risikoreicher fahrenden Männer mit sinkenden Beiträgen rechnen.

Geschlecht kein Risikofaktor

Dagegen müssten private Kranken- und Pflegeversicherungen für Frauen günstiger und für Männer teurer werden. Bisher zahlen Frauen mehr Beiträge ein, weil sie durch ihre höhere Lebenserwartung die Leistungen länger in Anspruch nehmen.

Das EU-Gericht stellte klar: Die bisherige Ausnahme für die Versicherungsbranche beim Diskriminierungsverbot laufe „der Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu­wider”. Das Geschlecht darf nicht mehr als Risikofaktor gezählt werden.

Unisex-Tarif gilt nur für Neuverträge

Erwartungsgemäß kritisierten die Versicherungen das Urteil. „Es geht nicht um Diskriminierung, sondern um Versicherungsmathematik“, sagte ein Allianz-Sprecher dieser Zeitung. Allerdings äußerte sich Deutschlands Marktführer erleichtert darüber, dass die Unisextarife nur für Neuverträge und erst ab Ende 2012 gelten müssen. Auf bestehende Verträge habe das Urteil keine Auswirkungen. Sie hätten sonst rückwirkend neu berechnet werden müssen.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) drohte gestern indirekt mit steigenden Beiträgen als Folge des Richterspruchs. Der nehme den Versicherungen die Möglichkeit, unterschiedliche Risiken auch unterschiedlich zu bewerten und damit „ein insgesamt günstigeres Prämienniveau” zu bieten.

Verbraucher sollten wachsam sein

Lars Gatschke vom Bundesverband der Verbraucherzen­tralen ruft deshalb die Verbraucher zur Wachsamkeit bei der Tarif-Entwicklung auf: „Wir befürchten, dass die Versicherungen das Urteil nutzen, um einfach eine allgemeine Prämienerhöhung durchzudrücken.” Dem müsse die staatliche Finanzaufsicht ei­nen Riegel vorschieben.

Der Bund der Versicherten (BdV) hat eine ganz andere Sorge: Er rechnet mit einer Verkaufsoffensive der Vertreter. Sie würden versuchen, ihre Produkte bis 2012 mit Verweis auf das Urteil verstärkt anzubieten – Frauen die vermeintlich noch günstigeren Rentenversicherungen und Männern Lebensversicherungen. „Ich kann vor überhasteten Abschlüssen nur warnen“, sagt Expertin Bianca Boss. Die Kritik der Versicherungen hält sie für überzogen: „Bei Riester-Verträgen haben wir schon Unisex-Tarife – und dort hat es nicht geschadet. Die Beiträge sind nur moderat gestiegen“, sagt Bianca Boss.

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