Essen.. Jede siebte Firmenpleite in Europa ist auf offene oder zu spät gezahlte Rechnungen zurückzuführen. Eine neue EU-Richtlinie soll die Zahlungsmoral verbessern. Künftig gilt für Auftraggeber eine Zahlungsfrist von 30 Tagen. Nur in Ausnahmen kann diese verlängert werden. Handwerk und Mittelstand begrüßen den Beschluss.

Ein Jahr lang haben die EU-Mitgliedstaaten zäh verhandelt, jetzt ist die schärfere Richtlinie zur Bekämpfung schlechter Zahlungsmoral beschlossen. Sie gilt als Herzensangelegenheit von Handwerk und Mittelstand, die von der Bundesregierung eine schnelle Umsetzung fordern. Was vor allem das Handwerk irritiert: Die Regierung hat sich bei der Abstimmung im EU-Ministerrat enthalten. Viele fragen sich, wie das zusammenpasst. Betone Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nicht ständig, dass das mittelständische Handwerk das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sei?

Spät gezahlte Rechnungen sind in Europa ein Riesenproblem. Angaben der EU zufolge verzeichnen Unternehmer derzeit Außenstände von 180 Milliarden Euro. Im Schnitt lassen sich Behörden und private Auftraggeber 65 Tage Zeit, ihre Rechnungen zu begleichen. Jede siebte Pleite in Europa ist auf schlechte Zahlungsmoral zurückzuführen. Auch die Wirtschaftsforschung für Deutschland stellt fest: Vor allem kleine und mittlere Firmen geraten in Schwierigkeiten, weil Geld zu spät überwiesen wird. Laut Credit-reform mussten 15,3 Prozent der Mittelständler bis zu zwei Monate darauf warten. Manch Großunternehmen hat sogar Zahlungsziele, die weit darüber hinausgehen: 120 Tage.

„Mit der EU-Richtlinie ist das Problem ausstehender Rechnungen europaweit stärker ins Bewusstsein gerückt“, lobt Holger Schwannecke, Generalsektretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Spät gezahlte Rechnungen gefährdeten Liquidität und Stabilität der Unternehmen.

Enthaltung Deutschlands stößt auf Unverständnis

Die Kreishandwerkerschaft in Essen nennt den EU-Beschluss „längst überfällig“. Aber: Dass sich Deutschland im Ministerrat enthalten hat, „verwundert mich“, sagt Geschäftsführer Ulrich Meier. Nach Auffassung des NRW-Handwerkstags (NWHT) sei dies ein schlechtes Signal: „Das ist absolut unverständlich. Die Richtlinie ist eine der wenigen Entscheidungen der EU, die wir sofort unterschreiben“, sagt NWHT-Präsident Wolfgang Schulhoff.

Tatsächlich hat sich Deutschland lange Zeit quer gestellt: Eingeweihten zufolge gab es dafür zwei Hauptgründe: Dass die EU Privatunternehmen feste Zahlungsfristen vorschreibe, untergrabe die Verhandlungsfreiheit. Der Bundesverband der Industrie sowie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hatten sich dagegen gewehrt. Auch die europäische Lobby der Kommunen leistete Widerstand: Sie wollte strengere Regeln verhindern.

FDP kritisiert eingeschränkte Verhandlungsfreiheit

Am Ende seien die größten Klippen aus der Richtlinie „herausverhandelt worden“, sagt EU-Berichterstatterin Barbara Weiler (SPD). Dass die Bundesregierung trotzdem nicht zustimmen konnte, „ist allerhand“. Und selbst für Jürgen Creutzmann, liberaler Abgeordneter im EU-Parlament, kam dies überraschend. Er hatte aktiv für Zustimmung geworben.

Eine offizielle Erklärung für die Enthaltung Deutschland gibt es bisher nicht. Anfragen an Justiz- und Wirtschaftsministerium blieben unbeantwortet. Stellung bezog stattdessen der Bundestagsabgeordnete Marco Buschmann (FDP), Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Recht, und mit der neuen Richtlinie vertraut. Die eingeschränkte Freiheit bei der Verhandlung von Zahlungsfristen könne bewährte Geschäftsmodelle gefährden, sagt er. Der Gesetzgeber werde die Richtlinie natürlich trotzdem umsetzen. Sie sei insgesamt „ein gutes Anliegen“. Wie lange das dauern wird? Buschmann: „Nichts geht über Nacht.“