Ein Pferd für zehn Millionen Euro

Mühlen. .

Totilas steht im Stall ganz hinten in der letzten Box. Er ist zu schön, um nah zu sein. Das Fell des Hengstes glänzt schwarz wie Präsentier-Samt beim Juwelier. Morgens um sechs Uhr kriegt er sein Frühstück: Müsli, Trockenpellets und einen Apfel. Nicht spektakulär, dabei ist Totilas das beste und teuerste Dressurpferd der Welt.

Bei der WM in Kentucky gewann Totilas mit seinem holländischen Reiter Edward Gal drei Goldmedaillen, aber der Verkauf war längst eingestielt. Zehn Millionen Euro soll Totilas gekostet haben. Paul Schockemöhle, Pferdehändler und Züchter aus der niedersächsischen Kleinstadt Mühlen, hat die Zahl nicht dementiert. Und er ist jemand, der sich nichts vom Pferd erzählen lässt, er kauft das Pferd einfach.

Keine Sentimentalitäten

Der deutsche Reitkader

Das Reitsportfieber steigt. Vom 25. September bis 10. Oktober finden die Weltreisterspiele in Lexington, im US-Bundesstaat Kentucky, statt. © imago sportfotodienst

Als ihr größter Förderer und Kritiker gilt Vater Klaus Balkenhol. Der Olympiasieger zählt zu den besten Dressurausbildern der Welt. © imago sportfotodienst

Die deutsche Dressur-Equipe: © imago sportfotodienst

Bei den vergangenen Weltreiterspielen, 2006 in Aachen, rutschte er mit seiner Stute „Noltes Küchengirl” in einen Sprung – der Traum von der Goldmedaille platzte. © imago sportfotodienst

Es war ein glücklicher Zufall. Rath saß mit seiner Steifmutter Ann-Kathrin Linsenhoff gerade am Mittagstisch, als sie ihn fragte, ob er nicht Lust habe, ihr ehemaliges Erfolgspferd Sterntaler zu reiten. Matthias Alexander Rath hatte. © imago sportfotodienst

Im Geschäft der Großen mischt der 34-Jährige Koschel eigentlich erst so richtig seit dem vergangenen Jahr mit. Zwar feierte er als junger Reiter bereits einige Erfolge, doch der Durchbruch bei den Senioren gelang erst spät. © imago sportfotodienst

Christoph Koschel: Donnperignon ist ein langer Name. Daher wird das Toppferd von Christoph Koschel nur "Pepe" gerufen. © imago sportfotodienst

Die 41-Jährige wird die junge deutsche Mannschaft bei der Weltmeisterschaft in Kentucky anführen. Mit welchem Pferd, steht aber noch nicht fest. Bei den deutschen Meisterschaften in Münster siegte sie auf "Warum Nicht", Spitzname Hannes gleich doppelt. © imago sportfotodienst

Mit diesem Sieg im Grand Prix beim Turnier in Münster überzeugte die 38-Jährige auch den letzten Kritiker, dass sie zurecht zur deutschen Equipe gehört. © imago sportfotodienst

Noch vor gut einem Monat sagte die Springreiterin aus Thedinghausen in einem Interview mit dieser Zeitung, dass sie nach ihrer Babypause keine Chancen auf eine Nominierung für die Weltreiterspiele sieht. © imago sportfotodienst

Seitdem hat das Paar viel trainiert und viel gewonnen. Siege bei internationalen Turnieren, Siege in Championaten. Auf die WM in Kentucky ist das Paar bestens vorbereitet. © imago sportfotodienst

Matthias Alexander Rath: Mit 25 Jahren gehört Matthias Alexander Rath schon zur Weltspitze. Seit März 2008 mischt der Kronberger auf Sterntaler Unicef die Dressurelite auf. © imago sportfotodienst

Marcus Ehning: Der stilistisch wohl beste Reiter der deutschen Spring-Equipe kommt aus Borken. © imago sportfotodienst

Janne-Friederike Meyer: 2006 war sie deutsche Meisterin, 2008 Zweite der Riders Tour. Doch der endgültige Durchbruch gelang Janne-Freiderike Meyer erst in diesem Jahr. © imago sportfotodienst

In acht Disziplinen messen sich die weltbesten Pferdesportler. Vor allem die Wettbewerbe im Springreiten und in der Dressur stehen im Blickpunkt. © imago sportfotodienst

Die deutsche Spring-Equipe: © imago sportfotodienst

Im Frühjahr siegte Marcus Ehning auf seinem Hengst Plot Blue zum dritten Mal beim Weltcup-Finale, im Herbst will er die Weltmeisterschaft feiern. Schließlich hat der Rotschopf noch etwas gut zu machen. © imago sportfotodienst

Meredith Michaels-Beerbaum: Die 40-Jährige ließ die Männerwelt bei den Deutschen Meisterschaften in Münster mal wieder alt aussehen und sicherte sich mit Checkmate den Titel. © imago sportfotodienst

Nach Siegen in Großen Preisen sowie überzeugenden Runden bei der DM in Münster führte kein Weg an einer Nominierung der nervenstarken Reiterin vorbei. © imago sportfotodienst

Carsten-Otto Nagel: Ein Mann der großen Worte ist der Holsteiner nicht. Still und heimlich hat sich der Springreiter aus dem Hintergrund angeschlichen und ist längst eine feste Größe in der deutschen Mannschaft. © imago sportfotodienst

Mit seiner Schimmelstute Corradina, die Nagel selbst ausgebildet hat, zählt er mittlerweile zu den erfolgreichsten deutschen Reitern. © imago sportfotodienst

Im August 2009 trug ihn Corradina bei den Europameisterschaften in Windsor überraschend zur Mannschafts-Bronzemedaille und zur Einzel-Silbermedaille. © imago sportfotodienst

Spätestens seit dem CHIO in Aachen ist die 29-Jährige endgültig zu Deutschlands besten Reitern aufgestiegen. Meyer wurde von Bundestrainer Otto Becker für den Nationenpreis nominiert. © imago sportfotodienst

Von Nervosität keine Spur. Sie überzeugte die rund 40000 Zuschauer und ihren Bundestrainer. Im vergangenen Jahr hatte die Hamburgerin die Nominierung für die Europameisterschaften knapp verpasst. © imago sportfotodienst

Nun reist sie mit ihrem Erfolgspferd Cellagon Lambrasco als Ersatzreiterin zu den Weltreiterspielen nach Kentucky. © imago sportfotodienst

Marco Kutscher: Marco Kutscher ging in die elfte Klasse, als er beschloss, dass ein Beruf ohne Pferd für ihn nicht infrage kommt. der 35-Jährige schmiss die Schule und fing eine Ausbildung zum Pferdewirt an. © imago sportfotodienst

Im Stall von Ludger Beerbaum arbeitet Marco Kutscher seit nun schon elf Jahren. Beerbaum erkannte das Talent seines Bereiters, die Gabe Pferde im Parcours die nötige Sicherheit zu geben, früh. "Das wird mal einer für Olympia", hatte Beerbaum gesagt. © imago sportfotodienst

Er wurde zunächst belächelt, sollte aber recht behalten. Bei den Spielen 2004 gewann Kutscher Bronze im Einzel und mit der Mannschaft, 2005 wurde er Doppel-Europameister. © imago sportfotodienst

Nach acht von neun Etappen führt der deutsche Meister von 2003 aktuell die Global Champions Tour an. In Kentucky wird der Riesenbecker wohl auf sein aktuelles Pferd Cash setzen. © imago sportfotodienst

Bundestrainer Holger Schmelzer merkte, welch großes Potenzial das Paar hat und nominierte es zunächst für den Nationenpreis beim CHIO in Aachen - und nun für die Weltreiterspiele in Kentucky. © imago sportfotodienst

Isabell Werth: Sechs olympische Medaillen, 14 Titel bei Europameisterschaften und sieben Siege bei Weltreiterspielen. Isabell Werth ist die erfolgreichste Dressurreiterin aller Zeiten und reist als Titelverteidigerin in die USA. © imago sportfotodienst

Sowohl der Meistertitel im Grand-Prix Special als auch im Grand Prix Kür ging auf das Konto der Rheinbergerin. Ihre eigentliche Nummer eins ist Satchmo, mit dem sie bei der vergangenen Weltmeisterschaft Doppelgold gewann. © imago sportfotodienst

Favoritin ist Isabell Werth in diesem Jahr allerdings nicht. Die Niederländer sind derzeit das Maß aller Dinge. Allen voran Edward Gal und sein Jahrhundertpferd Moorland Totilas. Vielleicht gelingt der Titelverteidigerin ja dennoch die Überraschung. Warum nicht? © imago sportfotodienst

Noch im gleichen Jahr winkte die Teilnahme an den Olympischen Spielen. Die Generalprobe in Aachen ging schief, Bundestrainer Schmezer setzte in Honj Kong doch lieber auf Erfahrung. © imago sportfotodienst

Anabel Balkenhol: Erst zehn Jahre alt ist Fuchswallach Dablino, das Pferd mit dem Anabel Balkenhol nach Kentucky reisen wird. © imago sportfotodienst

Trotz des sportlichen Ehrgeizes betont die 38-Jährige immer wieder, dass der Spaß am Sport im Vordergrund steht. Beobachtet man sie und Diablino im Viereck, muss man es ihr glauben. © imago sportfotodienst

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Er habe sich in den Jahrhundert-Hengst verliebt, sagte Schockemöhle bei der Präsentation – Emotionen und Tiere sind wie Bruder und Schwester. So wie zum Beispiel bei Ourasi. Der wunderbare Traberhengst aus Frankreich, der bei 56 Siegen fünf Millionen Euro an Siegprämien gewann, wurde verehrt wie ein Mensch. Er lebte nach seiner Rennbahn-Karriere als Deckhengst in der Normandie – eine Portion seines Samens kostete 15 000 Euro – und er bekam sogar Post. „Ich weiß, du bist ein Tier“, schrieb ihm eine Frau. „Aber deine Ruhe und deine Kraft haben mir Mut gegeben.“

Abseits solcher Anekdoten ist Pferdesport allerdings ein knallhartes Geschäft, die Millionen-Investitionen sollen sich lohnen. Schockemöhle, der dreimal Europameister der Springreiter wurde, hat neben dem Sport eins der erfolgreichsten deutschen Speditionsunternehmen aufgebaut. Für Sentimentalitäten bleibt dabei wenig Platz. Der 65-Jährige war in den 90er-Jahren in den Skandal um das Barren verwickelt, bei dem Pferde mit Schlägen zu höheren Sprüngen getrieben wurden. 1996 musste er wegen Steuerhinterziehung 22,6 Millionen Mark Steuern nachzahlen und erhielt eine elfmonatige Haftstrafe auf Bewährung.

Ein Schuss von Totilas kostet 4000 Euro

Sein Gestüt, das Unternehmen Pferd, duckt sich in Mühlen ins Grün der Weiden und Wälder. Im Frühjahr soll Totilas wieder ins Dressur-Viereck, bis dahin arbeitet der Zehnjährige dort als Deckhengst. Männer stellen sich den Job vielleicht schöner vor, als er in der Realität ist. Hinter dem Stall liegt eine Scheune, in der nicht die Stuten warten, sondern ein Pferdemodell aus Kunststoff. Mühlen ist nicht der Ort amouröser Abenteuer, viel Sachlichkeit, viel Bürokratie. Unter den 75 Mitarbeitern des Gestüts sind zwei Tierärzte und sogar eine Besamungstechnikerin.

Ein Schuss von Totilas – in der Pferdezucht und in der Drogenszene wird nach Schuss bezahlt – soll zunächst 4000 Euro kosten, trägt die Stute danach tatsächlich ein Fohlen aus, werden weitere 4000 Euro fällig. Eine Portion Samen lässt sich in bis zu vier Häppchen aufteilen. Wenn es optimal läuft, können 700 Stuten pro Jahr davon gedeckt werden. Das bedeutet: 5,6 Millionen Euro Einnahme. Noch mehr Geld als in der Dressur ist im Galopp unterwegs. In Deutschland kämpft zwar selbst die Vorzeigebahn in Iffezheim ums Überleben, doch die Welt ist groß. Beim Dubai World Cup schütteten die Scheichs zuletzt in sieben Rennen 21 Millionen Euro an Prämien aus. Der Siegerpokal im Hauptrennen war aus 18-karätigem Gold und wog 185 Unzen – knapp sechs Kilo.

600 bis 700 Galopper kommen pro Jahr an den Haken

Summen, die Begehrlichkeiten wecken, doch die meisten Galopper erfüllen die Hoffnungen nicht und bleiben auf der Strecke: traurige Fälle für den Pferdemetzger. „600 bis 700 Galopper kommen pro Jahr an den Haken“, schätzt Adel Massaad. Der 45-Jährige hat am Niederrhein eine kleine Auffangstation gegründet. Für 500 Euro – das ist der Schlachtpreis – kauft er ausgemusterte Galopper und schult sie in ein bis zwei Jahren zu Reitpferden um.

Zurzeit hat er drei Pferde in seinem Stall im Spargeldorf Walbeck stehen. „Keine kommerzielle Sache“, sagt er. „Mir geht es einfach um die Tiere.“

Pferde sind Lebewesen, und daher ist nicht alles kalkulierbar. Auch wer sich für seine Stute die Dienste von Totilas sichert, weiß nicht, was die Natur daraus macht. Es kann durchaus passieren, dass man Madonna bestellt, am Ende aber Rex Gildo kriegt.