Essen.

Das Landesarbeitsgericht Hamm schreckt Diakonie und Caritas mit einem Urteil auf, das Streiks in der Kirche für zulässig hält. Die kirchlichen Arbeitgeber sehen jetzt ihren „dritten Weg“ im Arbeitsrecht in Gefahr.

„Gott kann man nicht bestreiken.“ Mit diesem Satz feierte Günther Barenhoff, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, einen Sieg vor dem Arbeitsgericht Bielefeld im vergangenen Jahr. Es hatte der Gewerkschaft Verdi jeden Arbeitskampf gegen die Diakonie verboten. Nun entschied das Landesarbeitsgericht Hamm, die zweite Instanz weltlicher Gerichtsbarkeit: Gott kann man doch bestreiken.

Jetzt warten sowohl die evangelische Diakonie als auch die katholische Caritas gebannt auf die Revision. Das Bundesarbeitsgericht oder spätestens das Verfassungsgericht in Karlsruhe muss ein Grundsatzurteil über den so genannten „dritten Weg“ der Kirchen sprechen. Ihn beschreiten 1,3 Millionen Menschen in Deutschland.

Es geht um das Spannungsfeld zwischen Moral und Marktwirtschaft, in dem sich kirchliche Arbeitgeber bewegen. Juristisch ist die Frage zu klären, was schwerer wiegt: das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen oder das Streikrecht des Einzelnen. Beides ist vom Grundgesetz geschützt, doch sind Streiks in der Kirche Tabu. Sie begründet das damit, dass ihr eigenes Arbeitsrecht auf Konsens ausgelegt sei. Die mit „Dienstgebern“ und „Dienstnehmern“ paritätisch besetzten „Arbeitsrechtlichen Kommissionen“ müssen sich einigen, andernfalls gibt es eine Schlichtung. Streiks seien somit unnötig. Für die Caritas ist klar: „Wenn gestreikt werden darf, ist der dritte Weg obsolet“, sagt Dienstgeber-Sprecher Rolf Lodde.

In der Praxis geht es freilich nicht immer harmonisch zu, mitunter führt der dritte Weg in die Sackgasse. So gab es für die 480 000 Mitarbeiter der Caritas zwischen 2004 und 2007 keine Einigung und somit auch keinerlei Lohnerhöhung. Zuletzt stand die Caritas wegen Benachteiligung ihrer Minijobber in der Kritik, der Diakonie wurde Lohndumping durch Leiharbeit vorgeworfen.

Erste Selbstkritik

Bemerkenswert ist daher das Hauptargument der Hammer Richter: Sie halten das Streikverbot für unzulässig, weil kirchliche Arbeitgeber mitunter ganze Teile ihrer Belegschaften ausgliedern, etwa Reinigungs- und Küchenpersonal. Das mache deutlich, dass es nicht immer um den von den Kirchen reklamierten „Dienst am Nächsten“ gehe.

Das gibt zumindest den Funktionären der Diakonie Anlass zur Selbstkritik. „Ausgliederungen hat es in vielen Einrichtungen gegeben, um mit der privaten Konkurrenz mithalten zu können. Doch das entspricht nicht meinem Selbstverständnis christlicher Dienste“, sagt Vorstand Barenhoff. Manche Träger machten dieses Outsourcing bereits rückgängig, was er nur begrüße. Grundsätzlich verstehe die Diakonie aber auch die Putzfrauen und Köche als „Teil des Dienstes am Menschen“. Und um den aufrecht zu erhalten, müssten Streiks auch künftig ausgeschlossen bleiben.

Das sieht Verdi ganz anders: „Da sich Diakonie-Manager wie normale Arbeitgeber verhalten, Leiharbeit einführen, Betriebe ausgliedern und Löhne drücken, müssen sich auch die Beschäftigten effektiv wehren können“, sagt Bundesvorstand Ellen Paschke.

Caritas-Mann Lodde glaubt, dass die Revision beim Bundesarbeitsgericht im Sinne der Kirche ausfällt. Er sieht schon Gefahren für das katholische Arbeitsrecht, allerdings eher aus Straßburg. Dort erklärte der Europäische Gerichtshof unlängst die Kündigung eines Organisten wegen Ehebruchs für rechtswidrig. Die Richter stellten das Grundrecht auf Schutz des Privatlebens über den Arbeitsvertrag mit der Kirche. Das stimmt Lodde nachdenklich: „Ob der deutsche Sonderweg im kirchlichen Arbeitsrecht in zehn Jahren noch Bestand hat, weiß niemand.“