Berlin. Experten sagen, was nun auf deutsche Verbraucher zukommt – und wie realistisch der Vorschlag wirklich ist, Kanada in die EU aufzunehmen.

Die von US-Präsident Donald Trump verhängten Zölle auf Waren aus Kanada und China – und zunächst auch auf mexikanische Produkte, die er am Montag aber für einen Monat aussetzte – befeuern in Europa die Furcht vor einem Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten. Experten schätzen die Folgen für Märkte, Verbraucher und die deutsche Wirtschaft ein – und sagen auch, wie Kanada näher an die Europäische Union heranrücken könnte.

Warum führt Trump überhaupt Zölle ein?

Schon bevor Trump erneut ins Weiße Haus einzog, kritisierte er stets Ungleichgewichte im Handel. Andere Staaten würden sich auf Kosten der USA bereichern, beschwor er immer wieder. Gleichzeitig ist der Republikaner auf Deals aus. Die Zölle nutzt er auch, um ein härteres Vorgehen Mexikos gegen die Migration und die Drogenkartelle zu erreichen. Trump wirft Mexiko, Kanada und auch China vor, nicht genug gegen den Schmuggel der oftmals tödlichen Droge Fentanyl in die USA zu unternehmen.

Der Hafen von Montreal: Der Zollkrieg hat begonnen. US-Präsident Donald Trump erhebt ab jetzt Einfuhrzölle – auch auf kanadische Waren. Davon sind deutsche Unternehmen, die in Kanada hergestellte Produkte in die USA ausführen, betroffen.
Der Hafen von Montreal: Der Zollkrieg hat begonnen. US-Präsident Donald Trump erhebt ab jetzt Einfuhrzölle – auch auf kanadische Waren. Davon sind deutsche Unternehmen, die in Kanada hergestellte Produkte in die USA ausführen, betroffen. © AFP | SEBASTIEN ST-JEAN

Auf seiner Plattform Truth Social verkündete Trump, dass nun Zölle in Höhe von 10 Prozent auf alle Einfuhren aus China und 25 Prozent auf Importe aus den Nachbarländern Mexiko und Kanada erhoben werden. Für Energie-Einfuhren aus Kanada wiederum soll ein Satz von 10 Prozent gelten. Die betroffenen Länder reagierten empört und kündigten Gegenmaßnahmen an. China will Klage bei der Welthandelsorganisation (WTO) einreichen.

Gegenüber Mexiko ruderte Trump am Montag wieder zurück. Er selbst und auch die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum erklärten, dass die Zölle zunächst für einen Monat pausiert werden sollen.

Wie sehr ist die deutsche Wirtschaft davon betroffen?

Vermutlich deutlich. „Die deutsche Wirtschaft profitiert stark von der internationalen Arbeitsteilung. Die zunehmenden protektionistischen Tendenzen werden die Exportchancen deutscher Unternehmen beeinträchtigen und auch Lieferketten von Unternehmen treffen, die gar nicht direkt für den Export produzieren, sondern Zulieferer für andere exportorientierte Unternehmen sind“, sagte der Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller, dieser Redaktion.

Vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hieß es, die deutsche Wirtschaft sei unmittelbar von den verhängten Zöllen betroffen, da sie den US-Markt auch aus Werken in Mexiko und Kanada beliefere. „Die Automobilindustrie und ihre Zulieferer, zu denen beispielsweise auch die Chemieindustrie als Lieferant von Grundstoffen gehört, werden deutlich härter als andere Sektoren getroffen“, sagte Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, laut Mitteilung. Daran lasse sich auch auf die Schnelle nichts ändern. Der hiesigen Wirtschaft drohe ein „spürbarer Dämpfer“.

Wie bemerken Verbraucher die neuen Zölle?

In den USA dürften die Zölle die Preise für importierter Güter aus betroffenen Ländern deutlich steigen lassen. Potenziell drohen auch Lieferkettenstörungen und eine Angebotsverknappung. Effekte auf deutsche Verbraucher halten Ökonomen zunächst für begrenzt. Denkbar ist, dass Energiepreise durch die Streitigkeiten volatiler werden.

Wie reagierten Aktienmärkte und Währungen?

Vor allem deutsche Automobilaktien verloren zunächst an Boden, Deutschlands Leitindex Dax sackte zeitweise um fast zwei Prozent ab. Die Sorge vor einem eskalierenden Handelskrieg betraf auch die europäische Leitwährung Euro. In der Nacht auf Montag sackte der Kurs bis auf 1,0141 Dollar ab. Das war der tiefste Stand seit November 2022. Wohl nur eine Momentaufnahme, vermutet Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

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Höhere US-Zölle verteuerten den Import und damit die Inflation in den USA. „Der Dollar hat davon in den zurückliegenden Monaten regelmäßig profitiert. Schließlich gehen die meisten Beobachter davon aus, dass die US-Notenbank gegen steigende Inflationsrisiken entschieden vorgeht und ihren Leitzins überproportional anhebt. Aber früher oder später wird sie mit Trump aneinander geraten, der die Wirtschaft mit niedrigen Zinsen anfachen will. Die Dollar-Stärke mag noch ein wenig weitergehen, längerfristig steht sie aber auf tönernen Füßen“, erklärte Krämer gegenüber unserer Redaktion.

Christian Röhl, Chefökonom bei der Investment-Plattform Scalable Capital, sagte dieser Redaktion: „Falls es tatsächlich zu einer Spirale von Zöllen und Gegenzöllen kommt, dürften nicht nur die Börsen leiden, sondern auch die US-Realwirtschaft, die auf Importe aus Kanada und Mexiko nicht ad hoc verzichten kann und die Zölle an die Verbraucher weitergeben wird.“ Der Konsum, bislang die Stütze der US-Konjunktur, könnte dadurch einen empfindlichen Dämpfer erhalten. Insofern sei es nachvollziehbar, dass die Börsen damit anfingen, dieses Risiko einzupreisen. Generell zeige die Wirtschaftsgeschichte: Zölle belasten Wachstum und Wohlstand, so Röhl.

Warum sackten Kryptowährungen ab?

Der Bitcoin notierte zuletzt wieder unter der psychologisch wichtigen Marke von 100.000 US-Dollar. Hauptgrund dafür: Die Furcht vor einem Handelsstreit. „Alles, was mit Risiko zu tun hat, wird in solchen Momenten gemieden. Die Anleger schalten kurzfristig in den ‚Risk-off-Modus‘, kehren riskanten Anlageklassen den Rücken und streichen lieber Gewinne ein“, sagte der Krypto-Experte Timo Emden dieser Redaktion. Da Krypto-Werte als eine hochriskante und zinslose Anlageklasse fungierten, würden diese in der Regel in unsicheren Zeiten verlassen, so Emden.

Sind jetzt auch US-Zölle gegen die EU wahrscheinlicher geworden?

Ökonomen zufolge, ja. Deutsche Exportunternehmen dürften angesichts der schnellen Eskalation des Handelskonfliktes mit Kanada und Mexiko nun verunsichert sein, vermuteten die Konjunkturexperten Pia Hüttl und Ruben Staffa vom DIW in Berlin. „Da diese die Zölle durch Verhandlungen nicht abwenden konnten, scheinen Zölle auf europäische Warenimporte in die USA nun wahrscheinlicher“, sagten die Forscher dieser Redaktion. Aus europäischer Sicht sollten Zölle aber verhindert werden – zum Beispiel mithilfe von Verhandlungen im Vorfeld.

„Als Verhandlungsmasse könnte die EU anbieten die Energieimporte aus den USA auszuweiten“, so Hüttl und Staffa. Es seien aber auch nicht-handelspolitische Maßnahmen denkbar. Zum Beispiel könnten die Militärausgaben ausgeweitet und Rüstungsimporte aus den USA erhöht werden. Beide Experten erwarten aber, dass die EU auf mögliche US-Zölle lediglich mit Vergeltungszöllen auf spezifische Warengruppen reagieren würde. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Montag europäische Gegenmaßnahmen an, sollten die USA Zölle auf europäische Waren erheben. „Europa kann handeln“, sagte Scholz in Brüssel.

Kanada als EU-Mitglied – ist das wirklich denkbar?

Der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte Mitte Januar angeregt, die EU müsse sich angesichts der zweiten Amtszeit von Trump nach neuen Bündnispartnern umsehen. Kanada sei strategisch und wirtschaftlich ein enorm wichtiges Land und in vielen Dingen europäischer als manche EU-Mitgliedstaaten. Einen Beitritt halten Experten aber für unrealistisch.

EU-Verträge würden eine Mitgliedschaft Kanadas gar nicht zulassen, sagte Tobias Hofelich vom Institut für Europäische Politik (IEP) dieser Redaktion. 1987 hatte mit Marokko erstmals ein geografisch außerhalb Europas liegendes Land die Mitgliedschaft beantragt. Das Gesuch war abgelehnt worden. „Eine entsprechende Vertragsänderung, die eine Mitgliedschaft Kanadas ermöglichen würde, ist unwahrscheinlich“, so Hofelich weiter. Schnell würde ein Beitritt Kanadas ohnehin nicht gehen. „Beitrittsverfahren dauern viele Jahre, weshalb dies für Kanada auf absehbare Zeit keine Verbesserung der Handelskonditionen mit den USA bieten würde.“

Auch Marc Bungenberg, Direktor des Europa-Instituts der Universität des Saarlandes, verwies auf die territoriale Begrenzung möglicher Mitglieder der EU. Verschiedene andere Modelle für die Zukunft könnten aber sicherlich diskutiert werden, zum Beispiel eine Zollunion, so Bungenberg zu unserer Redaktion.

Die Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) verwies gegenüber dieser Redaktion auf das Handelsabkommen CETA, das für eine enge wirtschaftliche Partnerschaft zwischen der EU und Kanada sorge. Sie sollte weiter ausgebaut werden. „Ein vollständiger EU-Beitritt Kanadas klingt schön, ist aber weder realistisch noch vertraglich machbar“, so Strack-Zimmermann weiter.