Berlin. EU-Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen über die nächste Agrarförderperiode, Nachwuchssorgen – und Folgen eines Ukraine-Beitritts.
Bevor EU-Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen auf einem Stuhl im Pressezentrum auf der Grünen Woche in Berlin Platz nimmt, hat er sich von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) über den Stand der Eindämmung der in Brandenburg ausgebrochenen Maul- und Klauenseuche informieren lassen. Im Interview spricht der Luxemburger danach – übrigens auf deutsch – über seine Pläne, Landwirten zu mehr Einkommen zu verhelfen, dem demografischen Problem der europäischen Bauern und über Folgen eines möglichen ukrainischen EU-Beitritts.
Herr Hansen, in Deutschland ist erstmals seit 1988 wieder Maul- und Klauenseuche aufgetreten. Wie zufrieden ist die EU-Kommission mit der Eindämmung?
Christophe Hansen: Mein deutscher Kollege, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, hat mich sofort darüber informiert, dass es einen bestätigten Fall geben soll. Dann ist sehr schnell ein Sperrgebiet ausgewiesen worden, was wichtig ist, um zu verhindern, dass das Virus sich ausbreitet. Genau so sieht es das Protokoll vor und die Behörden hier haben sich sehr genau darangehalten.
Lassen sich schon Schlussfolgerungen aus dem aktuellen MKS-Ausbruch ziehen?
Hansen: Dafür ist es noch zu früh. Es geht jetzt erstmal darum, die Ausbreitung zu stoppen.
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Als Landwirtschaftskommissar sind Sie eigentlich für andere Themen angetreten. Sie haben den Landwirten ein faires Einkommen und anständige Preise zu gesichert. Müssen Verbraucher bald mehr für Lebensmittel zahlen?
Hansen: Idealerweise nicht. Innerhalb der Lebensmittelwertschöpfungskette wird schon gutes Geld verdient – nur eben nicht immer von den Landwirten. Häufig ist es so, dass derjenige, der sich die Hände schmutzig macht, am wenigsten und manchmal sogar so wenig bekommt, dass die Einnahmen die Ausgaben für die Produktion nicht decken. Das will ich ändern.
Steckt sich der Lebensmitteleinzelhandel zu viel Geld in die eigene Tasche?
Hansen: Das kann man so pauschal nicht sagen. Aber es gibt ja durchaus Praktiken, bei denen Lebensmittel Teil einer Rabattschlacht werden, um Kunden anzulocken. Das halte ich für bedenklich. Der Preis für ein Lebensmittel sollte immer so sein, dass Erzeuger davon leben können.
Wie soll denn am Ende mehr bei den Bauern ankommen als jetzt?
Hansen: Landwirte müssen sich stärker zusammenschließen, um gegenüber dem Großhandel in eine bessere Verhandlungsposition zu kommen. Nicht unbedingt in Deutschland, aber in anderen Teilen der EU haben wir aktuell viele Fälle, wo es solche Produzentenallianzen nicht gibt. Das führt dann dazu, dass Bauern Preise des Handels akzeptieren müssen, die nicht die Erzeugungskosten decken. Jedem Konsumenten muss einleuchten, dass das so nicht geht.
Eine von der Kommission eingesetzte Expertengruppe hat vorgeschlagen, die Steuern auf Lebensmittel zu senken. Eine gute Idee?
Hansen: Das ist ein Thema, das ich mit dem verantwortlichen Kollegen ansprechen werde. Generell müssen wir uns aber die Frage stellen, wie wir dahin kommen, dass Landwirte ihre Produkte stärker direkt vermarkten. Denn dann wollen einfach weniger Leute ein Stück vom Kuchen abhaben.
Vor gut einem Jahr gab es Bauernproteste in ganz Europa. Auch jetzt klagen immer noch viele Landwirte über zu hohe Auflagen und überbordende Bürokratie. Ist das abgeräumt?
Hansen: Bei weitem nicht. Ich muss ganz klar sagen: Wenn Bauern mehr Zeit im Büro als auf dem Feld verbringen müssen, ist das schlecht. Das muss sich ändern. Für die Landwirte muss es spürbar einfacher werden. Ich werde mit Hochdruck daran arbeiten, noch in diesem Jahr dafür Vorschläge vorzulegen. Erste Ideen dafür lasse ich gerade rechtlich prüfen.
Viele Betriebe stehen auch unter Druck, weil sie keine Nachfolger finden. Wie wollen Sie junge Menschen wieder stärker für die Landwirtschaft begeistern?
Hansen: Die Landwirtschaft in Europa hat ein demografisches Problem. Nur gut 12 Prozent der Landwirte sind unter 40 Jahre, der durchschnittliche europäische Bauer ist gut 57 Jahre alt. Setzt sich das fort, gibt es niemanden mehr, der die Betriebe führt. Wir müssen uns fragen, wieso das so ist.
Was ist Ihre Antwort?
Hansen: Da gibt es mehrere. Wir müssen den Beruf wieder attraktiver machen, zum Beispiel durch Entbürokratisierung. Bauern sind Unternehmer und keine Paragraphenreiter. Aber auch im ländlichen Raum muss so viel geboten werden, dass junge Leute gerne dort wohnen. Und wir müssen besser werden, was den Zugang zu Finanzierungen angeht. Das betrifft Betriebsübernahmen, aber auch Investitionen in neuen Technologien. Heute fahren Landwirte dann doch noch oft den alten Trecker weiter, obwohl ein neuer leistungsstärker und besser für die Umwelt wäre. Das ist nicht gut fürs Klima – und nicht für die Zukunft der Landwirtschaft.
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Deutsche Landwirte erhalten jährlich mehr als sechs Milliarden Euro an Direktzahlungen der EU. Absehbar wird es jetzt um den Umbau der Agrarförderung für die nächste Förderperiode ab 2028 gehen. Ist es nicht an der Zeit, die Subventionen zu kürzen?
Hansen: Ich bin nicht dafür, Agrarsubventionen zurückzufahren. Das gesamte EU-Budget macht derzeit rund ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts aller 27 EU-Staaten aus. Das heißt, wir reden aktuell von 0,3 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts, das in die Agrarpolitik fließt – um eine Lebensmittelproduktion zu hohen Standards aufrechtzuerhalten. Das sollten wir uns leisten. Hätten wir das nicht, wären wir abhängiger und für Verbraucher würde es wesentlich teurer. Ich weiß aber, dass es auch Herausforderungen in anderen Bereichen gibt, wie der Verteidigung und der Energieversorgung. Angesichts der weiter gewachsenen Anforderungen kommt da das europäische Budget schnell an seine Grenzen. Ich werde dafür kämpfen, dass wir ein starkes Budget haben werden, aber das liegt leider nicht alleine in meiner Hand.
„Ich werde dafür kämpfen, dass wir ein starkes Budget haben werden, aber das liegt leider nicht alleine in meiner Hand.“
Sprechen Sie sich dafür aus, dass künftig das Einhalten von Umweltstandards und Tierwohl stärker eine Rolle dabei spielen sollen, welcher Landwirt wie viel Geld erhält?
Hansen: Ob ein Bauer 1000 Hektar oder 10 Hektar bewirtschaftet, ist schon ein Unterschied. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Man wird also zwangsläufig als größerer Betrieb mehr Geld bekommen müssen, um über die Runden zu kommen. Was viele Bauern aber zurecht aufregt, sind Investoren, die selbst keine Landwirte sind, aber landwirtschaftliche Flächen kaufen, um Geld von der EU zu erhalten.
Eine Lösung, die das wirklich verhindert, gibt es bisher nicht. Haben Sie eine?
Hansen: Wir müssen uns mit der Definition eines aktiven Landwirts beschäftigen. Die ist nicht einheitlich. In einigen EU-Staaten reicht es teilweise ein, zwei Pferde auf einen Acker zu stellen, um sich für die Zahlung der Agrarsubventionen zu qualifizieren. Oder es gibt Großkonzerne, die sich über Tochterfirmen Ackerboden kaufen. Aus meiner Sicht sollten die Beihilfen gezielter ausgezahlt werden. Das heißt zum Beispiel mehr Geld für Junglandwirte oder auch für Familienbetriebe.
Bei einem EU-Beitritt der Ukraine würde das Land zum größten Bezieher von Agrarsubventionen. Wie wollen Sie damit umgehen?
Hansen: Ich denke, dass bis zu einem Beitritt der Ukraine noch einige Zeit vergehen wird. Grundsätzlich ist ein Beitritt der Ukraine in die EU erst möglich, wenn es Frieden im Land gibt. Aber zusätzlich muss die Ukraine auch noch einige Hausaufgaben erledigen. Vor allem wird es für die dortigen Landwirte darum gehen, sich an unsere Produktionsstandards anzupassen. Sehr große Unterschiede gibt es zum Beispiel bei der Geflügelhaltung. Bevor solche Standards sich nicht angeglichen haben, ist ein Beitritt unrealistisch. Aber wir müssen uns darauf vorbereiten. Und ein Betritt kann geopolitisch auch ein Vorteil für die EU sein, weil sich so bislang bestehende Abhängigkeiten reduzieren lassen.
In welchem Bereich?
Hansen: Zum Beispiel bei Proteinpflanzen, wo heute ein Viertel des EU-Verbrauchs aus Lateinamerika kommt. Wenn die Ukraine da in die Produktion einsteigen könnte, würde das der EU helfen. Aber das ist ein langer Weg und auch die Ukraine wird keinen Freibrief bekommen, also unsere Anforderung erfüllen müssen.
Sie sind Sohn eines Landwirts, Ihr Bruder hat den Hof weitergeführt – und ist mit 55 Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Wie sehr prägt diese Erfahrung Ihre Amtsführung?
Hansen: Sie prägt mich sehr stark. Mein Bruder hat sieben Tage die Woche auf dem Hof gearbeitet. Darum habe ich ihn nicht beneidet, denn das geht an die Substanz. Ich weiß also, was es heißt, ein kleinerer Betrieb zu sein und auch, wie viel Arbeit das ist.
Zur Person
Der Luxemburger Christophe Hansen (42) ist seit Dezember 2024 EU-Kommissar für Landwirtschaft und Ernährung. Vor seiner Berufung in das Kabinett von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) war er Abgeordneter im Europäischen Parlament. Hansen wollte als Kind Landwirt werden, machte aber nach seiner Schulzeit in Straßburg einen Master in Geowissenschaften, Umweltwissenschaften und Risikomanagement. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.