Berlin. Keine Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag, fordern Arbeitgeber. Aus der CDU kommt Unterstützung. Gewerkschaften sind alarmiert.

Allianz-Chef Oliver Bäte hat mit dem Vorschlag die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag zu streichen für eine heftige Debatte gesorgt. Bäte hatte in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ gesagt, Deutschland sei inzwischen Weltmeister bei den Krankheitstagen. „Das erhöht die Kosten im System.“ Ein Affront für Arbeitnehmer – insbesondere für jene, die sich schon jetzt oft krank zur Arbeit schleppen.

Genau davor warnt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Schon jetzt gebe es die Tendenz bei Beschäftigten in Deutschland, trotz Krankheit zu arbeiten. „Präsentismus“, also krank bei der Arbeit zu erscheinen, ist branchenübergreifend weit verbreitet“, sagte Anja Piel von der DGB-Führung am Montag in Berlin.

Auch interessant

Die Entgeltfortzahlung bei Krankheit sei ein hohes Gut angesichts des Umstands, dass immer mehr Menschen trotz Krankheit arbeiteten. Das DGB-Vorstandsmitglied sagte: „Niemand braucht aktuell Vorschläge, die noch mehr Beschäftigte dazu bringen, krank zu arbeiten.“

Krankheitstage unbezahlt? Schon jetzt gehen viele Arbeitnehmer krank zur Arbeit

„Schon vor Corona gaben etwa 70 Prozent der Beschäftigten an, mindestens einmal im Jahr krank zur Arbeit erschienen zu sein und im Durchschnitt fast neun Arbeitstage pro Jahr trotz Erkrankung gearbeitet zu haben“, sagte Piel unter Berufung auf eine repräsentative Umfrage. Präsentismus schade der eigenen Gesundheit und könne auch zur Ansteckung von Kolleginnen und Kollegen oder Unfällen führen - mit hohen Folgekosten.

Die IG Metall bezeichnete es als unverschämt und fatal, den Beschäftigten Krankmacherei zu unterstellen. „Wer Karenztage aus der Mottenkiste holt, greift die soziale Sicherheit an und fördert verschleppte Krankheiten“, sagte Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban. „Die deutsche Wirtschaft gesundet nicht mit kranken Beschäftigten, sondern im Gegenteil mit besseren Arbeitsbedingungen.“

CDU stellt sich auf Seite der Arbeitgeber

Der Unions-Fraktionsvize Sepp Müller (CDU) zeigt sich offen für die Idee, dass Arbeitnehmer am ersten Krankheitstag keinen Lohn erhalten. „Unsere Sozialsysteme werden immer weiter beansprucht“, sagte Müller dem Nachrichtenportal „Politico“. „Aus diesem Grund sollten wir uns meiner Meinung nach nicht vor neuen Ideen verschließen und diese diskutieren. Auch wenn das Thema der Karenztage sich nicht in unserem Wahlprogramm findet, könnte dies ein altbewährter Ansatz sein.“ 

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), sagte dem Portal hingegen: „Nur die allerwenigsten Menschen melden sich aus Spaß krank.“ Sorge forderte einen „Krankenstands-Gipfel“, um mit den beteiligten Akteuren über die Lage zu beraten.

Auch interessant

Krankheit: Arbeitnehmer sollen mehr Kosten selbst tragen

Der Sozialexperte Bernd Raffelhüschen sagte der „Bild“-Zeitung (Dienstag): „Die Einführung eines unbezahlten Krankheitstages ist ein sinnvoller Vorschlag und sollte von der nächsten Regierung zügig umgesetzt werden.“ Laut der Zeitung sind deutsche Arbeitnehmer im Schnitt 20 Tage pro Jahr krank. Im EU-Schnitt sind es demnach nur 7 Tage.

Allerdings seien Karenztage „nur Tropfen auf den heißen Stein“. Nötig sei eine höhere Selbstbeteiligung der gesetzlich Versicherten, „damit die Krankenkassen entlastet werden“, sagte Raffelhüschen weiter. Patienten sollten zum Beispiel die ersten 500 oder 1000 Euro bei Arztbehandlungen im Jahr selbst tragen. Denkbar wäre auch, dass alle Medikamente zu 20 Prozent aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. „Klar ist, dass wir eine andere Akzeptanz für Gesundheit haben müssen: dass man für Krankheit auch selbst einstehen muss.“

lro/dpa/KNA