Bokeloh. Garnelen leben in warmen südlichen Gefilden. Doch ein Start-up treibt nun eine große Zucht in Niedersachsen voran. Kann das klappen?

Nichts deutet hier auf Garnelen hin. Der grüne Förderturm steht still. Die Abraumhalde hinter den Gebäuden ist überwuchert. Ein eisiger Westwind weht an diesem Tag über Sigmundshall in Bokeloh nordwestlich von Hannover. Die Temperaturen sind sehr weit entfernt von jenen, die Garnelen so lieben. Und dennoch: Hier wird die Spezialität gezüchtet – bald in sehr großen Mengen.

Bis 2018 förderte der deutsche Konzern K+S hier Salz, jetzt wandelt sich der Standort zum Innovationspark mit Firmen wie Aquapurna. Die Tür rechts in der ehemaligen Lohnhalle des Kaliwerks führt in die beheizten Büros der Garnelenzüchter und zu David Gebhard. Der Firmengründer sagt: „Der Kunde weiß gar nicht, wie phantastisch frische Garnelen schmecken können.“ Gemeinsam mit Florian Gösling will er das ändern.

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    Garnelen aus Deutschland: Abwärme vom Kraftwerk, Fachwissen von K+S

    Von Garnelen hatten die beiden wenig Ahnung, als sie 2019 anfingen, zumindest von der Zucht in großem Stil. Gösling studierte Maschinenbau, arbeitete in der Robotikbranche in München. Gebhard beriet als Volljurist bei Geschäften mit Beteiligungskapital, ebenfalls in Süddeutschland. Beide sind Fans guten Essens. Gösling hatte in Indien riesige Becken mit Garnelenzucht gesehen, deren Zustand sich deutsche Verbraucher nicht vorstellen können.

    „Die Anbaubedingungen in Asien oder Mittelamerika sind zum Teil dramatisch schlecht, es werden oft Mangrovenwälder abgeholzt“, sagt Gebhard. „Der lange Lieferweg ist auch ein Problem.“ Warum also nicht Garnelen selbst züchten? In Deutschland? Die Marktlücke erkannten die Beiden jedenfalls sofort: „Es gibt bisher in Europa keine nachhaltigen, antibiotikafreien Premiumangebote, die bezahlbar sind. Wir bieten sie.“ Wo lässt sich so etwas verwirklichen? „Wir suchten einen zentralen, gut erschlossenen Standort in Deutschland, bei dem es Synergieeffekte gab“, sagt Gebhard. „Sigmundshall ist perfekt.“ Ein eigenes Kraftwerk, dessen Abwärme die Becken heizt. Genug Fläche. Und Salz-Wissen von K+S für das künstliche Meerwasser.

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    In Bokeloh entsteht Europas größte Garnelenzuchtanlage

    Die Zuchtidee überzeugte zahlreiche Investoren. Die Gründer sammelten Geld ein, dann ging es los. „Wir haben erst einmal vier Jahre geforscht, das Anlagendesign und die Wasserparameter optimiert, so dass sich die Garnelen sehr wohl fühlen“, sagt Gebhard. Und so entstand in einer Gerätehalle auf dem K+S-Gelände ein Labor, später nebenan ein größerer Prototyp mit Becken und Wasserfilteranlage, der zeigt, dass sich die Idee auch im industriellen Maßstab umsetzen lässt.

    Aquapurna
    David Gebhard (links) und Florian Gösling sind die Gründer von Aquapurna. © Aquapurna | Lina Sternberg

    Wie groß, lässt sich jenseits des Zauns bereits sehen, wo Bagger herumfahren. K+S baut dort für einen zweistelligen Millionenbetrag eine Halle, in die Aquapurna als Mieter einzieht. Auf 16.000 Quadratmetern, gut zweieinhalb Fußballfeldern, sollen sich Garnelen in sechs Becken tummeln, jeweils 38 Meter lang, fünf Meter breit und etwa 1,2 Meter tief. Es wird die größte und modernste Anlage ihrer Art in Europa.

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    700 Tonnen Garnelen sollen pro Jahr geerntet werden

    Die erste Stufe soll im Juni fertig sein, Gebhard spricht von zunächst rund 700 Tonnen Ernte im Jahr, während er durch die Kälte quer über das K+S-Gelände läuft. Klingt viel, ist aber wenig angesichts der rund 500.000 Tonnen Garnelen, die Europa jedes Jahr importiert. Auch andere sind inzwischen auf die Idee gekommen, die langen Transportwege aus Venezuela oder Thailand abzukürzen und selbst zu produzieren – in Bayern, der Schweiz, Dänemark – allerdings nur in kleinen Mengen und sehr teuer.

    Gebhard steht jetzt auf dem Steg oberhalb des Prototyp-Beckens. Es ist warm, es ist feucht und es riecht frisch. Unten wimmeln kleine Garnelen im Wasser, Art White Tiger, rund 35.000 nur im Teil für die Larven. Das Konzept unterscheidet sich deutlich von anderen. „In Asien werden üblicherweise in einem riesigen Becken Larven ausgesetzt und es wird, wenn die Garnelen ausgewachsen sind, geerntet. Das geht zwei bis drei Mal im Jahr“, sagt Gebhard.

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    Eine Garnele in einem Becken von Aquapurna. © Björn Hartmann | Privat

    Die Garnelen aus Deutschland sind royalblau

    In Bokeloh sind sie schon jetzt schneller: sechs Wochen. „Im skalierten Maßstab wäre es alle zwei Tage möglich“, ist sich der Firmenchef sicher. Das liegt auch daran, wie die Anlage aufgebaut ist. Die Becken sind in Felder geteilt. Gebhard spricht lauter, um über die Pumpenmotoren und das Sprudeln der Wasserfilter gehört zu werden. „Wir haben mehrere Generationen – vom Larvenstadium bis zur erntereifen Garnele – in einem Becken.“ Die Larven züchten sie in der ehemaligen Waschkaue des Kaliwerks, um nicht abhängig von Importen aus den USA zu sein und die Kontrolle zu behalten.

    Das Wasser wird ununterbrochen umgewälzt und gefiltert. Die Anlage misst die Qualität und steuert automatisch. „Das ist hier Technologie meets Landwirtschaft“, sagt Gebhard. Die Garnelen fühlen sich offenbar wohl. Sie wachsen binnen dreieinhalb Monaten auf gut 15 Zentimeter Länge. Importgarnelen brauchen dafür dem Aquapurna-Chef zufolge in der Regel fünf bis sechs Monate. Und dann ist da diese Farbe der Tiere: Royalblau.

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    Die Garnelen tummeln sich im Becken. Laut Aquapurna-Chef David Gebhard wachsen sie in Deutschland schneller als in asiatischen Zuchtkulturen. © Aquapurna | Lina Sternberg

    Verkauft werden die Garnelen unter dem Namen Gamba Zamba

    Das hält sich auch nach der Ernte. Eiswasser, Stromstoß, dann geht es in die Endverarbeitung, eingebaut in ehemalige Garagen von Sigmundshall. Betreten für Unbefugte verboten. Hier gelten die strengen Regeln des Lebensmittelrechts. Zu kaufen gibt es die tiefgefrorenen Garnelen bisher in regionalen Geschäften unter der Marke Gamba Zamba. Wer im Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung einquartiert wird, bekommt sie auch. Der Onlineshop ist gerade gestartet. Die Lehr- und Experimentierzeit ist jetzt vorbei.