Bochum. Deutschland streitet über Migration, sucht aber ausländische Fachkräfte. Welche Hürden die Behörden aufbauen, zeigt die Geschichte von Farshad Mahmoudi.
„Ein Termin ist frei geworden.“ Die Nachricht erreicht Farshad Mahmoudi über Telegram. Er hat nur Sekunden, um den Termin bei der Deutschen Botschaft in Teheran zu buchen. Ein Bot, der rund um die Uhr die Website der Deutschen Botschaft in Teheran scannt, informiert ihn und rund 20.000 weitere Iranerinnen und Iraner über freie Termine bei der Botschaft. Sie alle eint das Ziel: ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz in Deutschland.
Doch für viele bleibt der Weg nach Deutschland ein Spießrutenlauf. Trotz des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes aus dem Jahr 2020 bleiben die Zahlen weit hinter den Erwartungen zurück. Statt der angestrebten 400.000 Fachkräfte pro Jahr kommt nur ein Bruchteil. Bürokratische Hürden, lange Wartezeiten und Ablehnungen bremsen den dringend benötigten Zuzug. Ein neues Projekt des Bundeswirtschaftsministeriums fördert nun Willkommenslotsen in den Kammern, um Bewerber aus Drittstaaten und Unternehmen zusammenzubringen.
Zwei Jahre voller Absagen: Mahmoudis Bewerbungsmarathon
Farshad Mahmoudi wollte in Deutschland im IT-Bereich arbeiten. Er spricht fließend Deutsch und studiert Informatik. Zwei Jahre lang hat er eine Bewerbung nach der anderen verschickt. Jedes Mal öffnete er die Antwortmails - und fand nur Absagen. „Es war ein langer Weg“, sagt der 24-Jährige. „Ich brauchte so viele Papiere“, sagt er und spreizt Daumen und Zeigefinger, als wolle er die Menge der Dokumente zeigen.
Fachkräfte wie er werden in Deutschland händeringend gesucht. Daran ändert auch die aktuelle Wirtschaftskrise nichts, wie Arbeitgeberverbände immer wieder betonen. Trotzdem blieben auch im Ausbildungsjahr 2024 bundesweit 69.000 Ausbildungsplätze unbesetzt.
Die Engpässe sind in den einzelnen Branchen sehr unterschiedlich ausgeprägt, Mangel herrscht vor allem in den technischen Berufen. Laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom werden bis 2040 rund 663.000 IT-Expertinnen und -Experten fehlen, wenn die Politik nicht handelt. Seit kurzem fehlt einer weniger: Farshad Mahmoudi hat nach unzähligen Absagen eine Zusage – von der digitalen Unternehmensberatung R.iT in Bochum.
Der Fachkräftemangel hat weltweit ein Rekordniveau erreicht. Deutschland steht dabei an zweiter Stelle – gleichauf mit Griechenland und Israel – und liegt deutlich über dem globalen Durchschnitt. Laut der Studie „Fachkräftemangel 2024“ des Marktforschungsinstituts MPG kämpfen 82 Prozent der deutschen Unternehmen mit unbesetzten Stellen.
Die Folgen spüren auch die Beschäftigten: Fast die Hälfte (46 Prozent) berichtet in einer unlängst veröffentlichten Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) von gravierenden Personalengpässen am Arbeitsplatz. Die Lage dürfte sich weiter verschärfen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen.
Trotzdem sei das noch nicht bei der deutschen Unternehmen angekommen. Sven Frohwein, Pressesprecher der IHK Mittleres Ruhrgebiet, warnt: „Viele Unternehmen unterschätzen nach wie vor, wie dringend sie auf internationale Fachkräfte angewiesen sind.“ Länder wie Neuseeland, Schweden oder die Schweiz agieren mit klaren Strategien und effizienter Umsetzung. „In Deutschland fehlt oft das Tempo“, kritisiert Frohwein. „Wir ruhen uns noch zu sehr auf den Erfolgen der Vergangenheit aus.“
“Wir sehen den Mehrwert”
Dass es anders geht, zeigt die R.iT in Bochum. „Das erste Gespräch mit Farshad Mahmoudi fand per Teams statt, direkt aus dem Iran“, berichtet Markus Rüping, Leiter des Infrastrukturmanagements und Prokurist des Unternehmens. Die R.iT hat in den vergangenen Jahren umfangreiche Erfahrungen mit internationalen und geflüchteten Bewerberinnen und Bewerbern gesammelt. Nach der Corona-Pandemie stellte das Unternehmen syrische Auszubildende ein. „Das hat sich bewährt“, sagt Rüping. „Wir sehen den Mehrwert, den Menschen aus dem Ausland mitbringen. Außerdem haben wir erkannt, wie wichtig es ist, sie selbst auszubilden.“
Ein Beispiel für diesen Erfolg ist Mahmoudi. „Er war für uns ein Glücksgriff“, sagt Rüping. „Deshalb haben wir uns bewusst für diesen anspruchsvollen Weg entschieden. Auch wenn er schwierig ist. Ohne Unterstützung ist er kaum zu schaffen.“
Malak El-Chkief, Willkommenslotsin der IHK Mittleres Ruhrgebiet, berät und unterstützt Unternehmen. Sie hilft, den Papierdschungel zu bewältigen, steht als Ansprechpartnerin bereit und sorgt dafür, dass Prozesse klarer werden. Genau das fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.
Unterstützung durch Willkommenslotsen
Denn trotz des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, das die Zuwanderung seit 2020 erleichtern soll, gibt es in der Praxis viele Hürden. Der Weg nach Deutschland ist für Bewerberinnen und Bewerber oft kompliziert und langwierig. Zunächst wird ein unterschriebener Ausbildungsvertrag benötigt. Dann wird eine Vorabzustimmung beantragt. Mahmoudi musste neben Schulzeugnissen, Lebenslauf und Nachweisen über die Arbeitslosenversicherung noch viele weitere Dokumente vorlegen.
„Als ich zur deutschen Botschaft in Teheran ging, war ich besser informiert als die Mitarbeiter dort“, erzählt Farshad Mahmoudi. Für seine Willkommenslotsin Malak El-Chkief steht dies exemplarisch für die Motivation vieler ausländischer Auszubildender: „Sie beweisen bereits vor ihrer Einreise, wie motiviert, diszipliniert und qualifiziert sie sind.“
„Die ausländischen Auszubildenden zeigen schon vor ihrer Einreise, wie hoch ihre Motivation, Disziplin und Qualifikation sind.“
El-Chkief verschafft einen klaren Überblick über die verfügbaren Informationsangebote. „Make it in Germany“ liefert zwar viele Details zu Arbeit und Leben in Deutschland, doch eine persönliche Beratung kann es nicht ersetzen.“ Seit 2023 gab es zahlreiche Gesetzesänderungen. „Dank meines Netzwerks bin ich immer auf dem neuesten Stand – so stelle ich sicher, dass unsere Mitgliedsunternehmen gezielt und effizient beraten werden.“
In Deutschland gibt es über 1.500 Anerkennungsstellen, davon mehr als 60 in Nordrhein-Westfalen. Die Zuständigkeiten sind auf Bezirksregierungen, Kammern und Fachbehörden verteilt, was den Prozess komplex und oft schwer überschaubar macht. Ohne Kenntnisse kann die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen zeitaufwendig und herausfordernd sein.
Auch Rüping, Prokurist bei R.iT., empfindet den Prozess als herausfordernd. „Die Anerkennung ist oft ein mühsamer Weg mit vielen Hürden. Doch genau hier setzen die Lotsen an – sie navigieren durch die bürokratischen Strukturen und ebnen den Weg für Fachkräfte und Unternehmen.“
Fachkräftemangel: Deutschland braucht Arbeitskräfte aus dem Ausland
Gleichzeitig hat Deutschland an Attraktivität für hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland verloren. Nach einer Analyse der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist Deutschland im weltweiten Ranking von Platz 12 im Jahr 2019 auf Platz 15 zurückgefallen. An der Spitze liegen Länder wie Neuseeland, Schweden, die Schweiz, Australien und Norwegen.
„Früher reichte es aus, eine Stellenanzeige zu schalten und abzuwarten“, sagt Frohwein. „Die Unternehmen schrieben eine Anzeige und lehnten sich zurück.“ Heute zwingt der Fachkräftemangel die Unternehmen, neue Wege zu gehen. „Der Rekrutierungsprozess muss sich grundlegend ändern. Dazu gehört auch die aktive Ansprache ausländischer Fachkräfte und Angebote für den Abend und Integrationsstrategien.“
Aber es muss noch mehr getan werden
Seit September 2024 gehört Farshad Mahmoudi zum Team von R.iT. und übernimmt nach nur drei Wochen bereits eigenständig Kundenanrufe. „Seine Bewerbung war ausgezeichnet – wir waren sofort überzeugt“, sagt Markus Rüping, Prokurist des Unternehmens. Auch Willkommenslotsin Malak El-Chkief betont: „Man kann ausländischen Fachkräften vielleicht sprachliche Defizite vorwerfen, aber selten fehlende Motivation. Und Deutsch kann man lernen!“
„Viele Unternehmen unterschätzen nach wie vor, wie stark sie auf internationale Fachkräfte angewiesen sind. Wir hängen hierzulande noch an den Lorbeeren der Vergangenheit“
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