Bochum. Die Knappschaft zieht als erste für 2025 massiv ihre Krankenkassen-Beiträge an. Vorstand Weberink rechtfertigt das und fordert Reformen.
Durch die imposanten hohen Flure des Knappschaftsgebäudes in Bochum geht es ins Büro von Michael Weberink. Der 52-Jährige gehört seit 2015 zum Vorstand der Knappschaft Bahn-See (KBS), zu dessen Haus auch die Krankenversicherung Knappschaft gehört. Im Interview wirkt der Rechtsanwalt trotz der schlechten Nachrichten im Gepäck gefasst: 2025 wird die Krankenkasse Knappschaft ihren Beitragssatz massiv anheben. Über Gründe und Nöte sprach der KBS-Vorsitzende mit Stephanie Weltmann.
Herr Weberink, die Krankenversicherung Knappschaft geht auf die älteste Sozialversicherung der Welt zurück. Wie geht es ihr heute?
Michael Weberink: Genauso schlecht wie es der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt geht. Wir haben große Herausforderungen aus den politischen Rahmenbedingungen, die durch die Neuwahlen noch ungewisser geworden sind. Der Bundesgesundheitsminister wollte bis Juni 2023 ein Reformkonzept für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vorlegen. Das ist bis heute nicht da. Dabei ist der Druck ist groß, weil die Ausgaben so massiv steigen und Rücklagen schrumpfen. Ende 2024 wird allein bei uns in der Knappschaft ein Minus von 74 Millionen Euro stehen.
Die Kassen dürfen zur Deckung ihrer Ausgaben einen Zusatzbeitrag zusätzlich zum allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent erheben. Experten rechnen mit einer nie dagewesener Beitragswelle. Was steht Ihren Versicherten ins Haus?
Weberink: Auch wir werden unseren Zusatzbeitrag erhöhen, auf 4,4 Prozent.
Derzeit liegen Sie bei 2,7 Prozent, das ist ein ordentliches Plus.
Weberink: Ja, das ist es. Diese Entscheidung haben wir nicht leichtfertig getroffen. In all den Jahren hier bei der Knappschaft habe ich noch nie so intensive Gespräche erlebt wie jetzt. Die Erhöhung lässt sich aber zwangsläufig herleiten. Die Ausgaben sind deutlich in die Höhe gegangen, stärker als Experten erwartet hatten. Am stärksten gilt das für die Krankenhausbehandlungen, wo wir im kommenden Jahr ein Plus von zehn Prozent sehen. Zugleich schrumpfen bei allen Kassen die Rücklagen, weil wir zweimal Vermögen an den Gesundheitsfonds abführen mussten. Bei der Knappschaft waren das zusammen 306 Millionen Euro, das macht einen Beitragssatzpunkt aus. Bei uns kommen aber noch Sondereffekte dazu.
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Welche sind das?
Weberink: Die Knappschaft ist an 14 Krankenhäusern beteiligt. Bislang haben wir dieses Vermögen als Rücklage im Haushalt eingebucht. Weil sich die Rechtslage geändert hat, müssen wir die Beteiligungen bis Ende 2025 aus der Rücklage herausnehmen und anderweitig buchen. Dieser Effekt fällt aber Ende des kommenden Jahres weg. Weil wir unsere Rücklagen Ende des Jahres 2024 bereits in Anspruch nehmen müssen, sind wir im Jahr 2025 zudem dazu verpflichtet, sie wieder auf das gesetzlich vorgegebene Niveau aufzufüllen. Beides macht zusammen 0,8 Beitragssatzpunkte aus.
Zu Ihren Versicherten zählen überdurchschnittlich viele ältere Menschen. Welche Rolle spielt das?
Weberink: Das sorgt für zusätzlichen Druck. Wir Krankenkassen bekommen ja Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds, die sich nach Alter und auch Krankheit der Versicherten richten. Gerade vulnerable Gruppen sind in dem System aber nicht richtig abgebildet. Unsere Ausgaben je Versicherten liegen 1300 Euro über dem Durchschnitt. Das bekommen wir aber nicht voll bezahlt.
Die Knappschaft und ihr Vorsitz
Die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (KBS) mit Sitz in Bochum geht auf die ersten Knappschaften der Bergleute zurück, die sich sozial absichern wollten. In ihrer Form ist sie bis heute einzigartig. Sie gehört zur gesetzlichen Rentenversicherung, führt unter ihrem Dach aber auch eine Kranken- und Pflegeversicherung, eine Arbeitgeberversicherung, ein Medizinisches Netz aus Knappschaftsärzten, Krankenhäusern und Reha-Kliniken sowie die Minijobzentrale. Die Krankenversicherung war lange Bergleuten, später auch Beschäftigten der Bahn und Werften vorbehalten. Seit 2008 steht sie der allgemeinen Bevölkerung offen. Allein die Krankenversicherung beschäftigt rund 3.600 Menschen.
Der 18-köpfige ehrenamtliche Vorstand der KBS setzt sich paritätisch aus Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zusammen. Der Vorsitz liegt derzeit bei Michael Weberink als Arbeitgebervertreter. Der 52-jährige Rechtsanwalt ist Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Steinkohle und Nachbergbau und Kommunalpolitiker für die SPD in Herne.
Eigentlich wollten Sie den Zusatzbeitrag sogar auf 4,9 Prozent erhöhen, aber dem hat die Bundesregierung so kurz vor der Bundestagswahl im Februar dem Vernehmen nach nicht zugestimmt. Drohen jetzt Einschnitte, weil die Erhöhung geringer ausfällt?
Weberink: Die Bundesregierung muss wegen der Besonderheit der Knappschaft unseren Haushalt genehmigen. Also führen wir Gespräche über den Zusatzbeitrag auch mit den zuständigen Ministerien. Zwischenstände will ich nicht kommentieren. Aber wir müssen jetzt keine neue Lücke schließen, weil wir mehr Gelder aus dem Gesundheitsfonds erhalten werden als wir ursprünglich geplant haben. Das hat im Prinzip damit zu tun, dass die Bevölkerung in Deutschland zum Beispiel durch die Zuwanderung jüngerer Menschen im Durchschnitt gesünder geworden ist. Da unsere Versicherten im Vergleich dazu älter und kränker sind, gibt es mehr Geld je Versicherten.
Also müssen Sie nicht beim Personal sparen?
Weberink: Nicht unmittelbar wegen dieser Erhöhung, aber wir arbeiten bereits seit längerem und auch künftig weiter daran, die Personal- und Sachkosten wettbewerbsfähig zu machen.
Sie durchbrechen als erste Kasse eine bisher symbolische Grenze: Erstmals wird die Krankenversicherung teurer als die Rentenversicherung. Wie sehr ist das ein Hilferuf?
Weberink: Das ist der Ruf eines Ertrinkenden und es ist nicht der erste, der zu hören ist. Wir haben eine strukturelle Fehlfinanzierung in Deutschland. Wir investieren wahnsinnig viel in unser Gesundheitssystem, erzielen mit ihm im internationalen Vergleich aber nicht deutlich bessere Ergebnisse. Das bezahlen die Versicherten und die Arbeitgeber über ihre Beiträge.
„ Die Herausforderung wird für uns sein, den finanziellen Druck, das Versprechen von besserem Service und mehr Digitalisierung zusammenzubringen, und das vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Grundtons von Moll.““
Was würde helfen?
Weberink: Ich glaube nicht, dass unsere Gesellschaft bereit wäre für eine Diskussion über Leistungskürzungen. Wir müssen aber Verschwendung im System vermeiden und Patienten besser vom Hausarzt zum Facharzt und wenn nötig zur Klinik steuern als bislang. Wir als Knappschaft haben dazu ein Angebot, das die Arztwahl innerhalb unseres gut ausgebauten medizinischen Netzes aus Ärzten und Krankenhäusern beschränkt, aber für Kasse und Versicherte wirtschaftliche Vorteile bietet. Und kurzfristig würde es den Kassen natürlich helfen, wenn der Bund endlich die Ausgaben für die Bürgergeldempfänger voll übernehmen würde. Bislang haben wir bundesweit bei der GKV eine Lücke von über neun Milliarden Euro, die die Versicherten zahlen. Das entspricht 0,5 Beitragssatzpunkten.
Die Knappschaft ist die älteste, aber nicht die größte Kasse. Wie groß sind Fusionsgedanken angesichts der Finanzlage?
Weberink: Die Knappschaft ist nicht wie jede andere Kasse. Wir sind ein Teil eines Rentenversicherungsträgers und bislang gibt es keine rechtliche Grundlage für eine Fusion mit einer regulären Krankenkasse. Dafür müsste der Gesetzgeber entweder die Krankenversicherung aus der Knappschaft-Bahn-See herauslösen oder eine Fusion in den Verbund der Rentenversicherung ermöglichen. Beides ist derzeit nicht möglich.
Sie verlieren aber weiter überdurchschnittlich viele Mitglieder. Wieso gelingt es Ihnen nicht, mehr junge Menschen als Versicherte zu werben?
Weberink: Es gelingt uns schon. Der Wettbewerb der Krankenkassen wird aber zunehmend als Preiswettbewerb wahrgenommen. In dem können wir aufgrund unserer strukturellen Nachteile nicht bestehen. Deshalb machen wir deutlicher, dass es bei uns mehr Leistung gibt.
Sie haben 2024 bereits zweimal den Zusatzbeitrag erhöht. Wie werden die Versicherten auf das neue Plus reagieren?
Weberink: Preisaffinere Versicherte werden sich umorientieren. Wir hoffen aber, dass sich der Verlust im gleichen Rahmen bewegen wird wie 2024.
Wie blicken Sie angesichts der Finanznot auf 2025, das Jahr der vorgezogenen Bundestagswahl?
Weberink: Eher sorgenvoll. Wir werden bis Ostern im Wesentlichen erleben, dass sich Politik mit sich selber befasst. Da wird es wenig Gestaltungskraft für eine Finanzierungsreform geben. Und wir sehen schon jetzt, wie äußere, innere und soziale Sicherheit gegeneinander abgewogen werden. Die Herausforderung wird für uns sein, den finanziellen Druck, das Versprechen von besserem Service und mehr Digitalisierung zusammenzubringen, und das vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Grundtons in Moll.