Essen. Auch im Ruhrgebiet steigen die Mieten. Dabei gibt es hier viele modernisierungsbedürftige Siedlungen. Zahl der Sozialwohnungen sinkt weiter.
Das Ruhrgebiet wirbt seit Jahren mit seinen vergleichsweise günstigen Lebenshaltungskosten. Doch die Mieten zwischen Hamm und Wesel sind in den vergangenen Jahren durchaus rasant gestiegen. Sie liegen aber immer noch unter dem nordrhein-westfälischen Durchschnitt, wie der neueste Wohnungsmarktbericht des Regionalverbands Ruhr (RVR) feststellt. Dafür sind viele Wohngebäude im Revier aber auch besonders modernisierungsbedürftig.
Bei Wohnungen im oberen Preissegment, barrierefreien Angeboten und Ein-Raum-Appartments im Ruhrgebiet sind die Kurven der Angebotsmieten zwischen den Jahren 2013 und 2022 besonders steil angestiegen. Auf der Grundlage von Inseraten hat der RVR in diesen Segmenten ein durchschnittliches Plus von mehr als 40 Prozent gemessen. Im mittleren Segment gingen die Mieten um rund 35 Prozent in die Höhe.
Nettokaltmiete im Ruhrgebiet steigt auf 7,21 Euro
Im Schnitt lag die Nettokaltmiete im Revier Ende 2022 bei 7,21 Euro pro Quadratmeter und damit unter dem NRW-Schnitt von 8,51 Euro. RVR-Planungsdezernent Stefan Kuczera lobt deshalb die Lage im Ruhrgebiet. „Die Situation ist hier deutlich entspannter als in Schwarmstädten“, sagte er am Freitag, 22. November, bei der Vorstellung des Wohnungsmarktberichts in Essen und meinte damit auch die Knappheit von Wohnungen, die in Großstädten wie München, Berlin oder Frankfurt am Main deutlich stärker ausgeprägt ist.
Die vergleichsweise günstigen Mieten im Ruhrgebiet haben aber auch einen durchaus ernsten Hintergrund. „Wir bekommen den vorhandenen Wohnraum in der Region noch nicht schnell genug modernisiert“, räumt Kuczera ein. In den 50er und 60er Jahren wurden im Revier zahlreiche Siedlungen gebaut, die nahe an Industriestandorten liegen und zum Teil nur mit viel Geld auf den neuesten Stand gebracht werden können. Vor allem Häuser aus den 50er Jahren gelten als sanierungsbedürftig. Mit 31 Prozent ist der Anteil in Gelsenkirchen am höchsten.
„Die verlärmten Lagen im Ruhrgebiet machen mir Kummer“
Der RVR-Beigeordnete weist in diesem Zusammenhang auf ein besonderes Problem hin. „Die verlärmten Lagen im Ruhrgebiet machen mir Kummer“, sagt er und fügt emotional hinzu: „Die ärmsten Menschen wohnen an den lautesten Stellen.“ Kuczera spricht sich deshalb dafür aus, neben Förderanreizen für die energetische Sanierung von Wohngebäuden auch Baumaßnahmen zur Schallisolierung „mitzudenken“.
Die vor allem im Ruhrgebiet so notwendige Modernisierung von Wohnhäusern dürfte nicht nur Investitionssummen in Milliardenhöhe verschlingen. Die Vermieter können im Nachgang auch bis zu zwei Euro pro Quadratmeter und Monat auf die Mieterinnen und Mieter umlegen. Viele von ihnen wären in der Folge mutmaßlich nicht in der Lage, ihre Mieten dann noch zu bezahlen.
Julia Meininghaus ist die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Wohnungsmarkt Ruhr, in der sich alle Revierstädte, der RVR und die landeseigene NRW-Bank zusammengeschlossen haben. Für die Stadt Dortmund, in der sie für die Wohnungsmarkt-Beobachtung zuständig ist, gibt die Expertin eine erschütternde Prognose ab: „Nach der Modernisierung hätten rund die Hälfte der Mieterinnen und Mieter in Dortmund Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein“, sagt Meininghaus. Doch so viele Sozialwohnungen gibt es weder in Dortmund noch in anderen Ruhrgebietsstädten.
In den Kommunen setzt man deshalb auf öffentliche Förderprogramme für die Modernisierung, die Eigentümer nach Einschätzung von Meininghaus auch stark in Anspruch nehmen. „2023 und 2024 waren Rekordjahre“, meint sie. Doch der Geldsegen aus der Staatskasse allein wird die energetische Sanierung nicht bezahlbarer machen und beschleunigen. Experten gehen davon aus, dass pro Jahr fünf Prozent der Wohngebäude saniert werden müssten, um bis zum Jahr 2045 die Klimaneutralität zu erreichen. Deutschland kommt aber nur auf ein Prozent.
Zahl der Sozialwohnungen schrumpft um ein Drittel
Andreas Mentz, Stadtbaurat in Hamm, warnt vor überzogenen Erwartungen. „Um die fünf Prozent umsetzen zu können, ist die Kapazität in der Bauwirtschaft gar nicht da“, warnt er. „Der Wohnungsbestand macht uns deshalb größere Sorgen als der Neubau“, meint Mentz. Um Wohnraum bezahlbar zu halten, macht die Stadt Hamm Investoren zur Auflage, bei neuen Projekten 35 Prozent Sozialwohnungen zu bauen. In Dortmund beträgt die Quote 30 Prozent.
In Folge stark gestiegener Baukosten und Zinsen war der Neubau von Wohnungen zuletzt nahezu zum Erliegen gekommen. Das betrifft auch den geförderten Bereich. Der Bestand an Sozialwohnungen ist zwischen 2013 und 2022 um 33 Prozent zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum stiegen die Quadratmeterpreise für Neubauten im Ruhrgebiet auf durchschnittlich elf Euro. Das ist ein Plus von 32 Prozent. Oftmals fehlen aber auch die Bauflächen. Die größten Reserven gibt es noch in Bottrop, Dortmund, Hattingen und Witten. Mülheim und Gladbeck sind dagegen nahezu zugebaut.
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