Berlin. Die Post wird ihr Porto um bis zu 10,48 Prozent erhöhen dürfen. Zu wenig, findet DHL-Vorständin Nikola Hagleitner. Was ihr vorschwebt.
Der Paketversand wächst, die Zahl der verschickten Briefe sinkt deutlich. Wie die Deutsche Post auf den drastischen Wandel im Versandgeschäft reagiert und wie sie sich auf die aufkommenstärkste Zeit des Jahres einstellt, sagt Nikola Hagleitner, Vorständin für das deutsche Post- und Paketgeschäft der DHL Group, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Supermärkte verkaufen schon Lebkuchen. Bereitet sich die Post auch bereits auf Weihnachten vor?
Nikola Hagleitner: Die Planungen für das Weihnachtsgeschäft beginnen bei uns bereits im Juni. Wir sind hoch motiviert und bestens vorbereitet: Die zusätzlichen Einstellungen für die Vorweihnachtszeit haben begonnen, bis Ende Oktober kommen die meisten der Beschäftigten an Bord. Die Fahrzeuge sind bestellt, die Verhandlungen mit den Transportunternehmen abgeschlossen. Wir registrieren bereits jetzt ein erhöhtes Sendungsaufkommen.
Woran liegt das?
Tage wie jüngst die Prime Days von Amazon tragen dazu bei. Aber auch das Ende des Sommers ist mit einem erhöhten Sendungsaufkommen verbunden, weil die Leute beginnen, Herbst- und Winterkleidung zu bestellen.
Erwarten Sie neue Paketrekorde?
Es geht uns nicht um Rekorde, aber wir erwarten wieder starke Sendungsmengen. An den stärksten Tagen rechnen wir mit knapp über elf Millionen Paketen, die wir in unserem Netz transportieren. Ein solches Aufkommen werden wir in diesem Jahr voraussichtlich an Tagen rund um die Cyber-Week sowie in der Woche vor Weihnachten erreichen.
An welchen Tagen gibt es das höchste Paketaufkommen?
Bei der Sortierung ist der Montag der aufkommensstärkste Tag, bei der Zustellung der Dienstag. Normalerweise flacht es dann etwas ab, aktuell stellen wir aber fest, dass die Sendungsmenge konstant hoch ist.
Wie viel Personal stellen Sie für die kommenden Wochen ein?
Wir stellen 10.000 Aushilfen ein. Auch wir spüren den Arbeitskräftemangel. Aber durch unseren Tarifabschluss im vergangenen Jahr, der den Beschäftigten im Schnitt 11,5 Prozent mehr Lohn eingebracht hat, merken wir, dass wir sehr viel mehr Bewerbungen pro offene Stelle als in der Vergangenheit haben. Unsere Personalsituation ist jetzt schon besser als in den letzten beiden Jahren. Die 10.000 Beschäftigten werben wir sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland an. Und wir sind zuversichtlich, dass wir alle Aushilfsstellen mit motivierten Bewerberinnen und Bewerbern besetzen können.
Inwieweit profitiert die Post von den neuen chinesischen Versandportalen wie Temu oder Shein?
Die Versender aus China sind eine weitere Komponente in unserem Geschäftskundenportfolio. Am Ende bestimmt der Konsument in Deutschland, wo er bestellt.
Wo gibt es dadurch vermehrt Probleme – zum Beispiel beim Zoll?
Nein, das betrifft uns insofern nicht, weil wir die Ware erst übernehmen, wenn sie bereits abgefertigt ist.
Welchen Anteil machen chinesische Pakete an Ihrem Geschäft aus?
Zunächst möchte ich betonen, dass es neben Temu oder Shein auch viele weitere große Versender aus China gibt. Der Anteil dieser Versender an unserem Paketbereich ist bisher noch verhältnismäßig klein, nimmt aber weiter zu.
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In Corona-Zeiten erlebten Paketdienste durch den Online-Handel zwischenzeitlich einen wahren Boom, der danach wieder abflaute. Kommen Sie an diese Boom-Zeiten noch einmal heran?
Der Online-Handel wächst mit sechs bis sieben Prozent pro Jahr. Die Sendungsmengen werden also durchaus wieder Corona-Niveau erreichen. Wann es so weit ist, ist schwierig zu sagen, weil die Sendungsmengen immer volatiler werden. Wir hatten in diesem Jahr Wochen, in denen die Kaufzurückhaltung voll durchgeschlagen hat. In einer anderen Woche im selben Monat hatten wir auf einmal wieder eine hohe Paketmenge in unserem Netz.
Die DHL gilt als Seismograf der Konjunktur. Dann muss es um Deutschland ja eher mau bestellt sein …
So sehr schwarzmalen würde ich nicht. Für uns macht es keinen Unterschied, ob der Inhalt eines Pakets teuer oder günstig ist. Von daher spüren wir in unserem Paketgeschäft nicht notwendigerweise die Auswirkungen einer schwächeren Konjunktur. Wir dürfen aber nicht vergessen: Auch wenn das Paketgeschäft wächst, so haben wir ein stark sinkendes Briefgeschäft, das wir kompensieren müssen.
Wie stark wird das Briefaufkommen in diesem Jahr schrumpfen?
Wir hatten in den vergangenen Jahren einen Briefrückgang von zwei bis drei Prozent pro Jahr. 2023 ist das Geschäft dann um sechs Prozent eingebrochen. Und im ersten Halbjahr dieses Jahres hat sich dieser Rückgang weiter so fortgesetzt. Im Gegensatz zu Paketen, bei denen man die Anteile von Wettbewerbern zurückerlangen kann, sind diese Briefe auf ewig verloren. Es gibt keinen Anlass mehr, der in Zukunft mehr Briefe kreieren würde.
Ist die Abbruchkante im Jahr 2023 der Corona-Pandemie geschuldet?
Während Corona haben viele Mittelständler stark digitalisiert. Rechnungen, die man früher noch als Brief bekommen hat, erhält man heute elektronisch. Auch bei Behörden sehen wir eine – wenn auch langsame – Digitalisierung.
Schreiben sich Privatpersonen noch Karten und Liebesbriefe?
Auch das ist rückläufig, sogar mehr als bei den Geschäftskunden. Wenn es besonders wertschätzend sein soll, dann werden noch Briefe verschickt, wie etwa zur Weihnachtszeit.
Glauben Sie, dass Briefpost gänzlich verschwindet und ins Internet umzieht?
Es wird auch 2030 oder 2035 Restmengen an Briefen geben. Aber wir werden dann ein Paketdienstleister mit Briefdienstleistungen sein. Trotzdem werden Briefe nie ganz verschwinden, denn sie haben einen großen Wert für die Gesellschaft, zum Beispiel bei Wahlen.
„Es wird auch 2030 oder 2035 Restmengen an Briefen geben. Aber wir werden dann ein Paketdienstleister mit Briefdienstleistungen sein“
Die Bundesnetzagentur hat der Post eine Erhöhung des Briefportos um bis zu 10,48 Prozent genehmigt. Halten Sie das für angemessen?
Wir schauen mit einer gewissen Verwunderung auf die Entscheidung. Über zehnt Prozent klingt vielleicht erst einmal viel. Aber: Für die vergangenen drei Jahre wurde bei der Preisgestaltung des Portos mit einer Inflation von 3,25 Prozent gerechnet. Tatsächlich waren es rund 16 Prozent. Hinzu kommt unser Tarifabschluss, durch den die Löhne um durchschnittlich 11,5 Prozent gestiegen sind. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass Deutschland mittlerweile beim Standardbrief rund 43 Prozent unter dem europäischen Durchschnittswert liegt – und gleichzeitig bei den Lohnkosten unter den Spitzenreitern. Entsprechend wundert es uns, dass eine angemessene Erhöhung ausbleibt.
Was wäre eine angemessene Erhöhung?
Es wären auf jeden Fall mehr als die 10,48 Prozent. Mit nur 10,48 Prozent wird es für uns sehr schwierig, die Kosten zu tragen, die durch die höheren Löhne und unseren Einsatz für die Dekarbonisierung unseres Logistiknetzes entstehen. Aber es hat auch Auswirkungen auf unsere Investitionen, die wir dringend benötigen, um den Strukturwandel vom Brief- zum Paketgeschäft finanzieren zu können.
Wo werden Investitionen zurückgestellt?
Im Grunde können wir keine Investitionen zurückstellen. Das Paketgeschäft wächst. Und dort müssen wir investieren, denn es ist unsere Zukunft. Außerdem bringt das Postgesetz auch die Verpflichtung mit sich, in nachhaltige Infrastruktur zu investieren – was wir auch tun möchten, weil wir hier eine gesellschaftliche Verantwortung tragen. Kurzum: Pro Jahr müssen wir eine Milliarde Euro investieren. Da wir nicht einfach den Rotstift ansetzen können, müssen wir effizienter arbeiten.
Wie viel wird das Porto für den Standardbrief in Zukunft kosten?
Das werden wir vor Ende des Jahres bekannt geben.
Ist die Briefpost noch kostendeckend?
Das Postmodernisierungsgesetz schreibt vor, dass wir uns als Universaldienstleister wirtschaftlich selbst tragen können müssen. Daran arbeiten wir hart. Die Briefpost ist noch kein Negativgeschäft.
Wie können Pakete und Briefe auf dem Land kostengünstiger zugestellt werden?
Die größten Investitionen gehen in unsere Paketzentren. Allerdings ist der Bau eines Paketzentrums bei den langen und komplexen Genehmigungsverfahren in Deutschland nicht gerade einfach. Jeder möchte gerne Pakete, aber keiner ein Paketzentrum in der Nähe haben. Wir erweitern daher bestehende Paketzentren wie jüngst in Aschheim und Hamburg. Und nun folgen Köngen und Köln. Wir arbeiten zudem am Ausbau unseres Netzes an Packstationen und Poststationen. Das hilft uns, Zustellungskosten zu sparen, und entspricht dem Wunsch der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Was sind die Ausbaupläne bei den Pack- und Poststationen?
Wir haben mittlerweile 14.500 Pack- und Poststationen. Künftig werden wir zudem verstärkt anbieterneutrale Paketautomaten anbieten und damit dem Wunsch von Kommunen oder Wohnbaugesellschaften nachkommen. Pro Jahr kommen dann insgesamt rund 2000 Automaten hinzu.
Verstehen Sie das als Zugeständnis an die Konkurrenz?
Nein, das hilft uns, neue Partner zu gewinnen und Standorte zu erschließen.
Die Bundesnetzagentur räumt der Post künftig ein, dass 95 Prozent der Briefe nach drei statt wie bisher nach zwei Tagen zugestellt sein müssen. Wird angesichts der längeren Briefzustellung der Prio-Brief in den Kosten steigen?
Zunächst einmal entlasten uns die verlängerten Laufzeiten, sie geben uns mehr Flexibilität. Die schnelle Briefbeförderung am nächsten Werktag ist im Postmodernisierungsgesetz allerdings aus den Universaldienstleistungen herausgenommen worden und würde damit umsatzsteuerpflichtig. Im Sinne klarer Regelungen werden wir den Prio-Brief daher zum Ende des Jahres einstellen. Es wird aber auch weiterhin ein Produkt geben, das schneller als der normale Standard-Brief ist.
Die Postbank will rund 270 Filialen schließen. Wo kann man künftig noch Pakete abgeben und Briefmarken kaufen?
Insgesamt haben wir 39.000 stationäre Verkaufs- und Annahmestellen in Deutschland – so viele wie nie zuvor. Davon sind 12.800 Filialen – das sind 300 mehr als im Jahr 2010 und auch mehr als die 12.000, die im Postgesetz festgeschrieben sind. Es kann also keine Rede davon sein, dass es immer weniger Filialen werden oder wir uns aus den Regionen zurückziehen würden. Tatsächlich gibt es aber immer wieder auch Fälle in strukturschwächeren Gebieten, in denen wir Pflichtstandorte nicht besetzen können und dort dringend Filialpartner suchen. So auch die 141 Standorte, die die Bundesnetzagentur zuletzt genannt hat, von denen wir einige mittlerweile wieder ans Netz nehmen konnten.
Ist das Geschäft für Partner zu unattraktiv? Zahlen Sie zu wenig für die Leistungen?
Ich glaube nicht, dass wir zu wenig bezahlen. Unsere Partner erhalten eine attraktive Provision, einige Partner arbeiten schon seit 25 Jahren mit uns zusammen. Strukturell bedingt gibt es aber immer mehr Orte, wo es weder einen Zeitungshändler noch einen Supermarkt, Bäcker oder Friseur gibt, der für den Betrieb einer Filiale infrage käme. Dort versuchen wir, eine Poststation aufzustellen oder übergangsweise eine eigene Filiale zu betreiben.
Lesen Sie hier: DHL, Hermes und Co.: So viel verdient Ihr Späti mit Paketen
Im vergangenen Jahr sind bei der Bundesagentur 41.589 Beschwerden wegen Mängeln in der Postversorgung eingegangen. Vor allem wegen Problemen bei der Zustellung von Briefen und Paketen. Wie wollen Sie Ihren Service verbessern?
Jede Beschwerde ist eine zu viel. Zum einen sind wir zuversichtlich, nach den deutlichen Tariferhöhungen nun noch mehr qualifiziertere Bewerberinnen und Bewerber zu bekommen. Zum anderen versuchen wir, die Arbeit für unsere Beschäftigten noch einfacher zu gestalten. Heutzutage haben wir Mitarbeitende aus rund 180 Nationen. Darauf sind wir stolz. Und das bringt gleichzeitig auch Herausforderungen mit sich. Diesen Herausforderungen begegnen wir, indem wir zum Beispiel auf unseren Handscannern Hilfen in 15 Sprachen anbieten. An dieser Stelle möchte ich aber auch erwähnen, dass die Deutsche Post zusammen mit den Kollegen aus der Schweiz vom Weltpostverein aktuell zur besten Post der Welt ernannt worden ist. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten eine super Arbeit, aber es passieren auch mal Fehler. Es ist eben ein von Menschen erbrachtes Geschäft.
Sind Schulungen und Weiterbildung Ihre Strategie, um gegen die Konkurrenz zu punkten?
Wir heben uns durch unsere tarifvertraglich abgesicherten Arbeitsbedingungen und unsere hohen Branchenlöhne deutlich vom Wettbewerb ab. Und es ist uns wichtig, unsere Mitarbeitenden bestmöglich auf den Job vorzubereiten, zum Beispiel durch intensive Schulungen für die Zustellung. Es gibt darüber hinaus auch Deeskalationstrainings gerade für Beschäftigte in Ballungszentren.
Wird es durch Künstliche Intelligenz zum Abbau von Zustellern kommen?
KI sehen wir mehr als Unterstützung unserer Mitarbeitenden. In der Verwaltung werden bis 2030 rund 35 Prozent der Beschäftigten in Rente gehen, im operativen Bereich sind es 20 Prozent. Es gibt vielleicht Roboter, die beim Zustellen irgendwann helfen können, dennoch sehe ich nicht, dass dadurch in der Zustellung Stellen wegfallen werden. Durch das hohe Paketwachstum werden wir auch in Zukunft motivierte und gute Leute brauchen.
Wie viele Beamten arbeiten eigentlich noch bei der Post?
Wir haben derzeit knapp 17.000 Beamtinnen und Beamte, die für Post & Paket Deutschland arbeiten.
Die Post hat sich 2022 aus der Produktion von E-Streetscootern zurückgezogen. Setzen Sie trotzdem auf E-Mobilität?
In der Zustellung haben wir über 40 Prozent Elektrofahrzeuge. Dazu kommen 17.500 E-Bikes und E-Trikes. Bis 2030 werden es zwischen 80 und 90 Prozent E-Zustellfahrzeuge sein. 100 Prozent lassen sich aufgrund verschiedener Faktoren, wie der Möglichkeiten zum Aufbau der Ladeinfrastruktur, in diesem Zeitraum noch nicht erreichen.
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Bei welchen Autoherstellern kaufen Sie ein?
Unser Fahrzeugmix war immer international. Wir kaufen bei vielen großen Fahrzeugherstellern. Und unsere Anforderungen sind hoch. Die Fahrzeuge müssen ergonomisch gut zu beladen sein und die Türen mehrere Hundert Mal am Tag auf- und zugeschoben werden können.
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Zur Person: Nikola Hagleitner
Nikola Hagleitner ist Vorständin für das deutsche Post- und Paketgeschäft der DHL Group. Die Juristin arbeitet bereits seit knapp 20 Jahren in verschiedenen Funktionen und Divisionen des Konzerns. Zunächst war die heute 50-Jährige vor allem international aus den USA und aus Großbritannien für das Unternehmen aktiv. Die gebürtige Österreicherin leitet seit 2022 das ursprüngliche Stammgeschäft der Deutschen Post als Mitglied des Vorstandes.