Essen. Der Stahl-Streit bei Thyssenkrupp artet völlig aus. Das ist unverantwortlich und muss ein Ende haben. Sonst versinkt der ganze Konzern im Chaos.

Man mag kaum mehr hinsehen, wenn die Eskalationsspirale bei Thyssenkrupp ihre nächste Drehung macht. Man möchte in die Köpfe der Protagonistinnen und Protagonisten spicken und „psssst“ flüstern. Man möchte sich nicht in die Köpfe derer versetzen, die zum x-ten Mal um ihre Arbeitsplätze bangen. Denn so, wie die Essener Konzernzentrale und die Stahltochter TKS, wie hoch bezahlte Manager untereinander und nun Anteilseigner und Gewerkschafter miteinander umgehen, fragt man sich zwangsläufig: Wie sollen die jemals wieder vernünftig miteinander reden? Wollen sie das überhaupt?

Seit Monaten ringen Konzernzentrale und Stahlsparte darum, wie diese in eine bessere, eigenständige Zukunft geführt werden kann. Wer zu welchen Bedingungen einsteigen soll. Wie hoch die Mitgift ist, die Essen seiner Duisburger Tochter für diesen schweren Weg mitgeben muss. Wie in der Übergangszeit Thyssenkrupp Steel Europe durchfinanziert werden kann. Und wie bei all dem der überlebenswichtige Umstieg auf eine grüne Stahlproduktion nicht hintenüber kippt.

Es stehen Tausende Arbeitsplätze im Feuer, Tausende Schicksale

Dabei stehen Tausende Arbeitsplätze im Feuer. Und mit wachsenden Sorgen, dass aus einer niedrigen eine hohe vierstellige Zahl von Stellenstreichungen und damit persönlichen Schicksalen werden könnte, verschärft die IG Metall ihre Tonlage. Das ist ihre originäre Aufgabe, dafür zahlen die Beschäftigten ihre Mitgliedsbeiträge an die Gewerkschaft.

In der Sache selbst agiert die Gewerkschaft bisher eher gemäßigt, sie sperrt sich weder grundsätzlich gegen den Einstieg des tschechischen Unternehmers Kretinsky noch gegen die Verselbstständigung des Stahls noch gegen einen neuerlichen harten Sanierungsplan. Dass die Gewerkschaft den Plan des Stahlchefs Osburg mitginge, die Produktion deutlich zurückzufahren und dafür Tausende Stellen zu opfern, ist keineswegs selbstverständlich.

Die Eskalation begann mit dem von jeder Diplomatie befreiten Konzernregiment unter López. Verschärfte sich mit dem Einsatz der Doppelstimme von Aufsichtsratschef Russwurm, der die Arbeitnehmerseite mehrfach überstimmte und so brüskierte. Eine klarere Kampfansage an Deutschlands mächtigste Gewerkschaft hätte man gar nicht senden können. Es folgte seit Herbst 2023 eine Umdrehung nach der anderen, mal von der einen, mal von der anderen Seite. Mit dem Schlagabtausch zwischen Anteilseignern und IG Metall als neuem Gipfel.

Eine Eskalation nach der anderen bei Thyssenkrupp, seit fast einem Jahr

Nun also verbitten sich die Aufsichtsräte der Kapitalseite, darunter solche aus der deutschen Managerelite und Krupp-Chefin Gather, eine Emotionalisierung des Konflikts, werfen Stahlarbeitern vor, mit ihren Protesten sich und andere zu gefährden und warnen vor persönlichen Anriffen auf Konzernchef López. Als ob der Geleitschutz bräuchte und suchen würde.

Es geht um jenen Vorstandsvorsitzenden, der die Mitbestimmungskultur des Konzerns in die Schlackegrube geworfen hat. Der seinen eigenen Stahlchef öffentlich bloßgestellt und der Schönfärberei bezichtigt hat. Der im Stahl-Aufsichtsrat selbst seinen eigenen Wunschkandidaten Kretinsky mit einem weiteren Basta-Auftritt schockiert haben soll. Kurzum: López will ganz bewusst Stirn voran durch die Wand - und macht damit den Gewerkschafts-Alphatieren die alte Betonkopf-Metapher streitig. Ja, er sollte durchregieren, damit es endlich vorwärts geht - so der verständliche Wunsch der Geldgeber. Aber jetzt steckt der Kopf in der Wand fest und nichts geht mehr.

Gegenseitige Vorwürfe gehen bis ins Persönliche - geht‘s noch?

Leider reagiert auch die IG Metall nicht sonderlich souverän, Gewerkschaftsvize Kerner feuert stattdessen Adjektive wie „billig“, „stillos“ und „unprofessionell“ Richtung Gather, Russwurm und López. Unterm Strich haben sich der Aufsichtsratschef und sein Stellvertreter schriftlich und öffentlich versichert, dass sie sich gegenseitig für verantwortungslose, unfähige Menschen halten. Geht‘s noch?

Da dies kaum noch steigerbar ist, kann man nur hoffen, dass die Eskalationsspirale damit zumindest oben angekommen ist. Diesen Konflikt öffentlich auszutragen, sollte Journalisten freuen, doch wer sich seit Jahren mit Thyssenkrupp beschäftig, kann nur noch den Kopf schütteln. Die in der Tat nicht nur für den Stahl, sondern auch für den Rest des Konzerns existenziell wichtige Lösung für TKS versinkt auf diese Weise im Chaos.

Anteilseigner und Vorstand tragen Konflikt in die Öffentlichkeit

Dass die IG Metall, wenn sie Gefahr wittert, die Öffentlichkeit sucht, um ihre Warnungen zu verbreiten, bevor es zu spät ist, sollte jeder Manager und jeder Aufsichtsrat inzwischen wissen. Aufmerksamkeit ist mitunter ihre stärkste Waffe. Die Gegenwarnung vor Panikmache und Mahnung zur Besonnenheit ist ebenso eingeübt wie nachvollziehbar. Neu und sehr ungewöhnlich ist in diesem Konflikt, dass erst der Vorstandschef und dann die Eigentümer dieses Spiel mit der gleichen Schärfe und der gleichen Eskalationsstrategie mitspielen. Das ist menschlich nachvollziehbar, aber nicht klug und gehört nicht in den Instrumentenkasten erfolgreicher Manager. Die einzige Erklärung dafür sind persönliche Verletztheiten, die jemand nicht ungesühnt lassen will.

Denn der einzige Weg zur Lösung ist und bleibt ein Kompromiss, für den irgendjemand irgendwann einmal Friedenssignale aussenden muss. Es geht wie in Tarifverhandlungen letztlich um Zahlen, die noch weit auseinander liegen und sich aufeinander zubewegen müssen. Es geht um einige Hunderttausend Euro bei der Mitgift und darum, den Stahl für die nächsten Jahre finanziell so auszustatten, dass er überleben kann. Alles andere würde auch die Politik in Berlin und Düsseldorf nicht verstehen. Ihr ist TKS immerhin zwei Milliarden Euro wert.

Also, liebe Manager, Aufsichtsräte und Gewerkschafter: Redet endlich miteinander, statt übereinander zu schreiben. Bitte. Sonst versteht niemand mehr, warum seine Steuern in diesen Konzern fließen sollen.