Berlin.. Die Manager kommen ungeschoren davon, die Firma bleibt im Geschäft: Boeings Deal mit der US-Regierung empört Familien der Absturzopfer.

Der amerikanische Flugzeugbauer Boeing bekennt sich schuldig, die US-Regierung betrogen zu haben. Es bahnt sich ein Deal an: Das Unternehmen bezahlt fast eine Milliarde US-Dollar und kommt Auflagen nach. Im Gegenzug sieht das Justizministerium in Washington von der strafrechtlichen Verfolgung von zwei tödlichen Abstürzen mit Maschinen des Typs 737 Max 2018 und 2019 ab.

Die Familien der insgesamt 346 Opfer machen in einer Protokollnotiz klar, dass sie den Deal ablehnen. Sie hatten Konsequenzen für die Führungskräfte gefordert. Denen sollte der Prozess gemacht werden.

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Das Unternehmen hatte zuvor bereits 500 Millionen Dollar in einen Entschädigungsfonds zugunsten der Familien und 243,6 Millionen Dollar an Bußgeldern gezahlt. Zuletzt hatten die Angehörigen der Opfer freilich rund 25 Milliarden Dollar Entschädigung verlangt.

Boeing: Ist das Unternehmen zu groß zum Abstürzen?

Die Vereinbarung – sie wird gültig, wenn das zuständige Gericht in Texas sie besiegelt – hat zwei Vorteile für Boeing. Zum einen wird keine Führungskraft angeklagt. Zum anderen bleibt die Firma höchstwahrscheinlich im Geschäft mit der Regierung. Ihr bleibt der Totalabsturz erspart.

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Denn die Firma macht ein gutes Drittel ihres Umsatzes mit Regierungsaufträgen, insbesondere für Raumfahrt und Verteidigung. Allein vom Pentagon kamen im vergangenen Jahr Aufträge im Wert von 22,8 Milliarden Dollar. Es stellt sich die Frage, ob sich die Regierung einen Totalabsturz von Boeing leisten könnte, denn

  • das Unternehmen ist einer der größten Exporteure der USA;
  • sichert direkt 150.000 Jobs;
  • und weitere Arbeitsplätze bei fast 10.000 Zulieferern in allen 50 Bundesstaaten.

Boeing ist sich seiner Sonderstellung in der amerikanischen Volkswirtschaft bewusst und hat lange gepokert. Das Schuldbekenntnis kam erst am Sonntagabend; eine vom Justizministerium gesetzte Frist lief um Mitternacht ab.

Qualitätsprobleme von Boeing verheimlicht

Bei einer Anhörung im US-Senat hatte sich Boeing-Chef Dave Calhoun bei den Hinterbliebenen von Opfern der beiden Abstürze entschuldigt. Schon 2021 wurde eine Einigung geschlossen. Sie enthielt viele Auflagen. Unter anderem durfte sich das Unternehmen drei Jahre lang nicht strafbar machen. Es stand quasi unter Bewährung.

Boeing-Chef Dave Calhoun entschuldigte sich bei den Angehörigen der Absturzopfer.
Boeing-Chef Dave Calhoun entschuldigte sich bei den Angehörigen der Absturzopfer. © AFP | Samuel Corum

Dann kam der 5. Januar 2024. Kurz nach Abheben riss ein Teil der Verkleidung einer Boeing 737 Max der Alaska Airlines ab. Die Passagiere kamen mit dem Schrecken davon. Dem Justizministerium wurde derweil klar, dass Boeing Qualitätsprobleme verheimlicht hatte. Aus Sicht der Regierung hatte es wichtige Zusagen nicht eingehalten, nämlich Ethik- und Compliance-Programme zu „entwickeln, umzusetzen und durchzusetzen“, um Betrugsversuche aufzudecken. Mit dem jetzigen Deal wird der Streit beigelegt.

Rufschaden und Strafzahlungen

Offiziell erklärte sich das Unternehmen der Verschwörung zum Betrug der Regierung für schuldig. Für den Ruf ist dieser Schritt ein harter Schlag ins Kontor. Boeing wurde jahrzehntelang für die Qualität und Sicherheit seiner Verkehrsflugzeuge geschätzt. Seit Jahrzehnten wurde die Firma nicht wegen eines Bundesverbrechens verurteilt.

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Für den jetzigen Deal zahlt Boeing die höchste gerichtlich zulässige Strafzahlung: 487,2 Millionen Dollar. Außerdem verpflichtet es sich, in den nächsten drei Jahren mindestens 455 Millionen Dollar für seine Compliance- und Sicherheitsprogramme auszugeben. Ein von der Regierung bestellter unabhängiger Compliance-Kontrolleur soll darüber wachen, ob die Auflagen eingehalten werden und der Regierung jährlich berichten. Ferner wird der Boeing-Vorstand verpflichtet, sich mit den Familien der Unfallopfer zu treffen.

Hohe Schulden

Jetzt steht erst einmal eine Anhörung an, bei der das Unternehmen offiziell sein Schuldbekenntnis abgibt. Die Familien der Opfer haben ihrerseits eine Erklärung angekündigt. Aus ihrer Sicht liegt der Deal „eindeutig nicht im öffentlichen Interesse“, wie einer ihrer Anwälte, Paul Cassell, kritisierte. Er sagte, „dieser Geheimdeal lässt außer Acht, dass durch Boeings Verschwörung 346 Menschen ums Leben kamen.“

Das Unternehmen hat dem Vernehmen nach langfristige Schulden in Höhe von fast 47 Milliarden Dollar. Es hatte schon nach den zwei Unglücken 500 Millionen Dollar Entschädigung an die Familien der Opfer gezahlt. Hinzu kamen 243,6 Millionen Dollar an Bußgeldern. 1,7 Milliarden Dollar zahlte es an Fluggesellschaften, weil für die 737 Max zwei Jahre lang ein Flugverbot galt. Ein Konstruktionsfehler im Autopilotsystem hatte zu den tödlichen Abstürzen geführt. Boeing gestand jetzt ein, dass seine Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde FAA während der Zulassung Informationen über den Konstruktionsfehler vorenthalten hätten.

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