Essen. Facebook und Co. lassen illegale Inhalte extern prüfen. Einer, der dem Bundestag erzählte, wie es dabei zugeht, wurde von CCC Essen freigestellt.

Die Bilder, die Cengiz Osman und seine Kolleginnen und Kollegen tagtäglich zu sehen bekommen, sind nichts für zarte Nerven. Sie sichten jugendgefährdende Inhalte auf Facebook und Instagram, löschen extreme Gewaltdarstellungen, Pornografie und alles andere, was die Nutzer der sozialen Netzwerke nicht zu sehen bekommen sollen. Sie sehen Kindesmissbrauch, Leichen und Enthauptungen, wie er vor gut zwei Wochen vor dem Bundestagsausschuss für Digitales den Parlamentariern berichtete. Doch sein größtes Problem ist aktuell ein anderes: Weil er so offen darüber sprach, wie es so zugeht in seinem Büro, setzte ihn sein Arbeitgeber, der Essener Dienstleister CCC, kurzerhand vor die Tür.

Osman wurde von seiner Arbeit freigestellt, ihm zugleich der Zugang zum Büro untersagt. Was schlecht ist für einen, der dabei ist, einen Betriebsrat zu gründen. In der kommenden Woche soll er gewählt werden. Zumindest die Aussperrung nimmt CCC nach einem Verhandlungstermin vor dem Arbeitsgericht Essen am Donnerstag zurück. Er muss seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Wahlausschusses nachgehen können, betonte Richterin Sell.

Aufräumarbeit für Facebook und Instagram

CCC gehört zur kanadischen Telus-Gruppe, die für den Meta-Konzern von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg die sozialen Netzwerke des Weltkonzerns in Deutschland säubern soll. Das machen Facebook und Instagram nicht selbst, sondern lassen es extern erledigen. Schon das hat in der Vergangenheit für einige Kritik gesorgt, Facebook wird seit vielen Jahren vorgeworfen, viel zu lax mit den auf der Plattform veröffentlichten Inhalten umzugehen, zu viele extreme und extremistische Texte und Bilder zu tolerieren, von Fakenews ganz zu schweigen.

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Weil Parlamentarier im Bundestag etwas genauer wissen wollten, wie so genannte „Moderatoren“ von Facebook- und Instagram-Inhalten arbeiten, erzählte Cengiz Osman ihnen aus seinem Alltag. Wie er im Sekundentakt verstörende Bilder zu sehen bekommt, löscht und sich sogleich das nächste Produkt eines Menschen anschaut, der seine Gewalt-, Pädophilie- oder Hass-Fantasien mit der Welt teilen will. Dass es vielen Kolleginnen und Kollegen an die Nieren geht, nicht wenige psychisch erkranken. Dass man sich am Feierabend nicht mit „Tschüss“, sondern mit „Gute Besserung“ verabschiede.

So weit, so schlimm. Aber Osman kritisierte auch eine „Kultur der Geheimhaltung und des Mobbings“ in seinem Unternehmen und forderte eine bessere psychologische Betreuung für die Content-Moderatoren, wie die Internet-Reinigungskräfte in der Branche heißen. Er habe „die „Realität unseres Geschäfts“ nicht korrekt wiedergegeben und seine Arbeitsvereinbarungen gebrochen, sagte Telus-Vorständin Marilyn Tyfting der ARD. Auch habe er „nicht akkurat dargestellt, wie die Firma sich um die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Angestellten“ kümmere. Sie meint damit das „Well being“ genannte Wohlfühlprogramm, das CCC/Telus branchentypisch anbietet. Eine Expertin in derselben Ausschuss-Anhörung nannte „Well being“ dagegen ein reines „Alibi“.

Unternehmen sieht „Geheimnisverrat“

Osman wurde deshalb „bis auf Weiteres freigestellt“. Er hatte den Abgeordneten auch verraten, dass Mitarbeitende seines Unternehmens Geheimhaltungserklärungen unterschreiben müssten. Genau das sieht das CCC jetzt verletzt, in der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht sprach die Anwältin des Unternehmens von „Geheimnisverrat“. Darum, ob Osman freigestellt werden und womöglich noch gekündigt werden darf, ging es aber noch nicht. Die Hürden für die Kündigung eines Wahlausschussvorsitzenden sind hoch, wird er nächste Woche gewählt, werden sie noch höher.

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Die Gewerkschaft Verdi ist überzeugt, dass es vor allem um die Betriebsratsgründung geht. Osman ist immerhin dabei, den ersten Betriebsrat für die rund 1800 Telus-Beschäftigten in Deutschland zu organisieren. „Wir prüfen, ob wir die Behinderung der Betriebsratswahl gemäß § 20 Betriebsverfassungsgesetz anzeigen. Diese ist strafbar“, kündigte deshalb Verdi-Vorstandsmitglied Christoph Schmitz an. Er sieht hier einen Fall von „Union Busting“ – die Be- oder Verhinderung von gewerkschaftlicher Betätigung in einem Betrieb.

Verdi wittert Behinderung der Betriebsratswahl

Als erstes fordert Verdi aber die Rücknahme der Freistellung von Cengiz Osman. Und allgemein bessere Arbeitsbedingungen für die Content-Moderatorinnen und -moderatoren. Denn: „Die Kolleginnen und Kollegen sehen tagtäglich Videomaterial, das wir als Nutzer von Digitalkanälen zu recht nie sehen sollen. Damit leisten sie einen hochrespektablen Beitrag für unsere Gesellschaft. Die Anerkennung, rechtliche Absicherung, angemessener Gesundheitsschutz und gerechte Bezahlung bleiben aber noch aus“, beklagt Schmitz.

Erschüttert bis wütend reagierte auch Tabea Rößner (Grüne), die Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag, auf die Folgen von Osmanns Auftritt im Ausschuss. Sie schrieb sofort einen Protestbrief an Telus. „Als Ausschussvorsitzende habe ich eine Fürsorgepflicht gegenüber unseren Gästen. Es darf nicht sein, dass sie einen persönlichen Nachteil dadurch haben, wenn sie unserer Einladung folgen“, sagte sie unserer Redaktion.

Regierung plant Gesetz gegen digitale Gewalt

Die Bundestags-Parlamentarier wollten aus gutem Grund etwas genauer erfahren, wie Meta mit illegalen Inhalten von Facebook und Instagram umgeht bzw. umgehen lässt. Denn die Bundesregierung plant ein „Gesetz gegen digitale Gewalt“, das die Urheber dieser Inhalte härter angehen will, etwa mit „richterlich angeordneten Accountsperren“. Das machen die sozialen Netzwerke auch bei schweren Verstößen gegen ihre Richtlinien eher selten von sich aus.

Um das Gesetz gut vorzubereiten, sei es „enorm wichtig für uns Abgeordnete von Praktikern aus der Branche zu erfahren, womit sie es tagtäglich bei ihrer Arbeit in diesem Zusammenhang zu tun haben“, sagte Rößner, „deshalb ist es für mich absolut inakzeptabel, wenn ein Gast aufgrund seiner Offenheit vor dem Ausschuss nun seinen Job verlieren sollte.“

Nach der Ausschusssitzung habe sie einige Zuschriften von Beschäftigten aus anderen Unternehmen erhalten, mit dem Tenor, dass es bei ihnen ähnlich zugehe und viele Angst vor dem Jobverlust hätten, wenn sie auf Missstände hinweisen oder einen Betriebsrat gründen wollen. „Genau deshalb müssen wir hier dringend etwas tun“, so Rößner.

„Nicht KI schützt Dich, das bin ich“

Cengiz Osman ist es wichtig, die Arbeit seiner Kolleginnen und Kollegen menschlicher zu gestalten. „Du siehst mich nie“, sprach er im Digitalausschuss die Nutzer von Facebook und Instagram direkt an, „Du siehst mich nicht, aber es ist keine Künstliche Intelligenz, die Dich vor extrem verstörenden Bildern schützt, das bin ich und das sind meine Kolleginnen und Kollegen.“

Daran, dass die großen Digitalplattformen ihre Beschäftigten dabei nicht gut genug unterstützen, ließ im Ausschuss Julia Kloiber keinen Zweifel. Die Gründerin des digitalen, feministischen Forschungslabors Superrr Lab sagte: „Die Content-Moderatoren sind die Putzkolonne unserer Demokratie. Sie schützen uns vor Gewalt, Hass und Hetze im Netz.“ Nur sie selbst würden nicht geschützt: „Die großen Social-Media-Konzerne wissen um die Belastung. Aber sie haben diese Aufgabe outgesourct, damit ihr Image sauber bleibt.“

Hunderte Beiträge am Tag mit extremster Gewalt, Kindesmissbrauch und Hinrichtungen anzusehen hinterlasse „lebenslange Schäden“. Wenn das jemand nicht mehr aushalte, springe das deutsche Gesundheitssystem ein, nicht der Arbeitgeber. „Die Konzerne externalisieren die Schäden, die sie verursachen“, sagt Julia Kloiber.