Calvert. .

Thyssen-Krupp hat sein riesiges erstes Stahlwerk in den USA eingeweiht. Im US-Bundesstaat Alabama werden Bleche für die Automobilindustrie gewalzt.

Wer von der kleinen US-Gemeinde Calvert zur nächsten größeren Stadt kommen will, muss eine Stunde lang auf dem Highway 43 durch die Weite Alabamas fahren. Calvert – das war mal ein Örtchen mit 400 Einwohnern, drei Kirchen, einem Restaurant. Mit der Beschaulichkeit ist es vorbei. Der Essener Konzern Thyssen-Krupp hat in Calvert ein riesiges Stahlwerk errichtet, in dem am Ende dauerhaft 2700 Mitarbeiter beschäftigt sein sollen.

Es ist eine der bislang größten ausländischen Investitionen in den USA. Etwa 3,2 Milliarden Euro hat Thyssen-Krupp in den Komplex gesteckt. Das Gelände rund um das neue Stahl- und Wälzwerk ist viermal größer als der New Yorker Central Park. Der Stahl, aus dem die Anlage besteht, hätte für den Bau von zehn Eiffel-Türmen gereicht.

„Entscheidung von historischer Tragweite“

Der scheidende Vorstandschef Ekkehard Schulz sieht in der Investition eine Entscheidung von historischer Tragweite für den Essener Traditionskonzern, der in elf Monaten 200 Jahre alt wird. „Thyssen-Krupp stößt mit der Inbetriebnahme der Anlagen hier in Alabama sowie dem im Sommer eingeweihten Stahlwerk in Brasilien in eine neue Dimension der Konzerngeschichte vor“, sagte Schulz bei einem Ortsbesuch in Calvert.

Erst Mitte Juni hatte Thyssen-Krupp das fünf Milliarden Euro teure Hüttenwerk im Bundesstaat Rio de Janeiro eröffnet. Das brasilianische Werk soll jährlich fünf Millionen Tonnen Stahl produzieren, von denen zwei Millionen Tonnen zur Verarbeitung nach Duisburg und drei Millionen Tonnen nach Alabama verschifft werden. „Unsere Investitionen in Nord- und Südamerika kommen auch den Standorten in Europa zugute“, verteidigte Schulz die Projekte.

Werk will BMW und VW beliefern

Insbesondere der Bau des brasilianischen Werks wurde weit teurer als geplant und brachte den Konzern während der Wirtschaftskrise arg in Bedrängnis. Nach tiefroten Zahlen 2009 ist Thyssen-Krupp wieder in die Gewinnzone zurückgekehrt. Schulz kann seinem Nachfolger Heinrich Hiesinger einen erstarkten Konzern übergeben.

Mit dem neuen US-Werk will Thyssen-Krupp vor allem seine Kunden in Nordamerika bedienen – zum Beispiel BMW und VW mit ihren Werken in den USA. Alabama hat sich in den vergangenen Jahren dank niedriger Löhne und großzügiger Investitionshilfen zum neuen Zentrum der US-Autoindustrie entwickelt. Auch Daimler baut hier Autos. Bob Riley, republikanischer Gouverneur von Alabama, hofft auf „gute Jobs“ in der Region durch die Investition von Thyssen-Krupp.

Wenn Konzernchef Schulz auf die Rückendeckung durch die US-Politik und den „enormen Zuspruch aus der Bevölkerung“ zu sprechen kommt, gerät er ins Schwärmen. „Eine solche Unterstützung würden wir uns in Deutschland manchmal auch wünschen“, sagte Schulz.

Eröffnung des neuen Werks „typisch amerikanisch“

Für Thyssen-Krupp sind die USA schon jetzt der wichtigste Auslandsmarkt. Über 17 000 Beschäftigte erwirtschaften rund ein Achtel des Gesamtumsatzes des Revierkonzerns.

Neben der Tatsache, dass der Konzern in Alabama mit offenen Armen empfangen wurde, sprach aus Sicht von Thyssen-Krupp auch die Lage von Calvert für die Großinvestition. Der benachbarte Ort Mobile gilt als Tor zum Golf von Mexiko. Über den Tombigbee River und einen eigens ausgebauten Hafen in Mobile wird das Werk mit Rohstoffen versorgt. Die Wege zu den wichtigen Märkten im Süden der USA, in Mexiko und Kanada sind kurz. Das neue Werk liege außerdem weit genug entfernt von den Küstengebieten, in denen Wirbelstürme wüten, heißt es im Konzern.

Die Eröffnung des neuen Werks sollte „typisch amerikanisch“ ausfallen. Über 3000 Mitarbeiter und ihre Familien lud das Unternehmen zur Feier auf dem Werksgelände ein. Als Überraschungsgäste sollten Mitglieder der Südstaaten-Band Lynyrd Skynyrd ihren Klassiker „Sweet Home Alabama“ spielen.