Essen. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) stellt sich quer und will entscheidende Punkte der Energiewende neu verhandeln. Viele Bürger protestieren, ihre Bürgermeister sorgen sich um die Wiederwahl. Kanzlerin Angela Merkel lässt Seehofer abblitzen, SPD und Grüne werfen ihm wahltaktische Manöver vor.
Ohne neue Stromautobahnen vom Norden in den Süden Deutschlands gibt es keine Energiewende. Darin waren sich alle großen Parteien einig, als sie den Netzentwicklungsplan im Sommer 2013 abnickten. Denn an und vor der Küste wird ein Großteil der Windenergie gewonnen, die künftig vor allem im Süden dringend gebraucht wird, bisher aber nicht dorthin kommt. Der Zeitplan ist denkbar knapp: 2022 sollen die letzten Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden. Das wird vor allem Bayern und Baden-Württemberg treffen, die heute zu 60 Prozent auf Atomstrom angewiesen sind. Just bis 2022 soll deshalb die wichtigste Trasse stehen und den Süden mit Windenergie aus dem Norden versorgen.
Warum also stellt sich nun ausgerechnet Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer quer und will den Netzausbau neu verhandeln? SPD und Grüne können es sich das nur mit Bayerns Kommunalwahl im März erklären. Viele Bürger, an deren Wohnort die Megaleitung vorbeiführen soll, protestieren, ihre Bürgermeister sorgen sich um die Wiederwahl. Ihnen hilft ein Ministerpräsident, der sich an die Spitze der Protestbewegung stellt.
Seehofer fordert einen kompletten Planungsstopp. Verzögerungen beim Netzausbau würden aber den Atomausstieg gefährden. „Konsequenz wäre der Wiedereinstieg in bayrische Atomkraftwerke“, warnt SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi im „Spiegel“. Seehofer setze „nur aus Angst vor der Kommunalwahl“ die Energiewende aufs Spiel, wettert sie und bescheinigt Seehofer „ein bisher unerreichtes Niveau politischer Raserei“. Seehofer tut derlei Anwürfe auf bajuwarische Art als „Geschwätz“ und Belehrung „Ortsunkundiger“ ab, die ein Bayer nicht nötig habe.
Merkel hat Planungsstopp abgelehnt
Inhaltlich argumentiert Seehofer so: Weil die Koalition gerade dabei sei, die Förderung und damit den Ausbau der Erneuerbaren zu bremsen, seien ja vielleicht gar keine Trassen dieser gigantischen Dimension (allein die Haupttrasse ist 800 Kilometer lang und 1 km breit) nötig. Laut NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) ist das aber längst geklärt: „Wir Landesminister haben den Bundesenergieminister Gabriel natürlich auch gefragt, ob durch die EEG-Reform der Ausbaupfad für die Netzentwicklung berührt werde. Die Antwort lautete eindeutig: Nein.“
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Wenn Seehofer nun meine, die Grundlagen für den Netzausbau stimmten nicht mehr, „stellt er die gesamte Energiewende infrage – und damit auch die Aussagen der Kanzlerin“, sagte Remmel dieser Zeitung. Merkel hatte am Wochenende einem Planungsstopp abgelehnt. Man könne nicht erst 2018 anfangen, den Plan für die Trassen zu besprechen. Gleichzeitig mühte sie sich um Entspannung. Es werde Anpassungen beim Netzausbau geben, die meisten Großtrassen würden gleichwohl benötigt.
Proteste auch in NRW
Durch NRW sollen nur rund 50 km der Nord-Süd-Hauptschlagader verlaufen. Im betroffenen Kreis Höxter regt sich ebenfalls bereits Widerstand. Bürgerproteste sind der größte Unsicherheitsfaktor beim Netzausbau. Deshalb waren sich Bund und Länder einig, die Bürger früh zu beteiligen, um den Baubeginn 2018 nicht zu gefährden. Die örtlichen Proteste zu forcieren, gehörte nicht zum Plan.
Remmel betont, Deutschland habe ein viel dringlicheres Problem als den Netzausbau neu zu diskutieren, nämlich das EU-Wettbewerbsverfahren gegen die Befreiung vieler Unternehmen von der Ökostromumlage. „Wir vergessen in Deutschland gern, dass noch jemand mit am Tisch sitzt und der kommt aus Brüssel. Die Koalition sollte erst einmal diese Baustelle klären, bevor sie schon wieder eine neue aufmacht“, fordert Remmel.