Dortmund/Hünenberg. 2019 kaufte Trisport aus der Schweiz die Rechte für Kettler Fitnessgeräte. Jetzt will man in der Heimat durchstarten – mit dem BVB an der Seite.

Die Fans des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund (BVB) dürften am vergangenen Wochenende mehrheitlich ungläubig gestaunt haben. Ihre Jungs wurden bei der 2:5-Heimniederlage gegen Bayer Leverkusen ordentlich vorgeführt. Immer wieder aufstehen, möchte man den Schwarzgelben zurufen. Es könnte auch das Motto der beinahe vergessen geglaubten Wirtschaftswundermarke sein, die seit Mitte Januar an der Bandenwerbung im Signal-Iduna-Park zu sehen ist: Kettler.

Gut zwei Jahre nach dem Abgesang des 1949 in Ense in Westfalen von Heinz Kettler gegründeten Unternehmens heißt es: „Kettler ist zurück in der Region.“ Findet jedenfalls Melanie Lauer, Chefin der Sporthandelsfirma Trisport, die hinter der Wiederauferstehung steckt. Die Trisport AG hat ihren Sitz in Hünenberg im Schweizer Kanton Zug, sie besitzt die Markenrechte für Kettler Sportgeräte.

Trisport war schon 2015 interessiert

Neuerdings ist Kettler Sportgeräte, der zuletzt attraktivste Teil des nach der dritten Insolvenz innerhalb von vier Jahren wirtschaftlich zu Grabe getragenen Firma am nördlichen Rand des Sauerlands, Premiumpartner des BVB. 500 Menschen, die meisten aus der Region, die meisten schon sehr lange beim Familienunternehmen, verloren Ende 2019 ihren Arbeitsplatz.

Melanie Lauer ist Vorstandsvorsitzende bei Kettler/Trisport und war Chefin bei Conrad Elektronik: „Kettler war für mich erst der Antrieb, um zu Trisport zu wechseln. Ich weiß nicht, ob ich es sonst gemacht hätte.“
Melanie Lauer ist Vorstandsvorsitzende bei Kettler/Trisport und war Chefin bei Conrad Elektronik: „Kettler war für mich erst der Antrieb, um zu Trisport zu wechseln. Ich weiß nicht, ob ich es sonst gemacht hätte.“ © Trisport AG | Trisport AG

Die Zersplitterung von Heinz Kettlers Lebenswerk hatte bereits Jahre vorher begonnen. Spätestens Ende 2015 nach der ersten Insolvenz und dem Verkauf der Fahrradsparte an die Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft ZEG, die bis heute Kettler-Alu-Fahrräder anbietet. Schließlich wurde Ende 2019 das Übrige aufgeteilt. Auch die Rechte an der Sportgerätesparte.

Die Trisport AG vertrieb als Sporthandelsgesellschaft bereits lange die Marke Kettler und verfolgte den Abstieg: „Trisport war schon zu Zeiten der ersten Insolvenz, als Kettler 2015 ins Trudeln geriet, interessiert an der Marke und hatte die Idee zum Carv out“, erzählt Melanie Lauer. Mit „Carv out“ meint sie das gezielte Herauskaufen genau des Unternehmensteils, den Trisport sich letztlich sicherte. An Gartenmöbeln, Spielgeräten, Tischtennisplatten oder Kinderschreibtischen hatten und haben die Schweizer kein Interesse. Als sich das Handelsunternehmen aus Hünenberg im Dezember 2019 die Markenrechte für Laufbänder, Trimmräder, Cross- und Rudertrainer für Europa, die Türkei und den EFTA-Raum sicherte, war Lauer aber noch gar nicht an Bord. Damals war sie noch Chefin des Elektronikanbieters Conrad. „Kettler war für mich erst der Antrieb, um zu Trisport zu wechseln. Ich weiß nicht, ob ich es sonst gemacht hätte.“ Charmant versichert die Chefin, wie sehr Kettler für sie persönlich eine Herzensangelegenheit sei. Sie plaudert, wie sie als kleines Mädchen im Kinder-Fahrradsitz mit ihren Eltern unterwegs war – natürlich auf einem Kettler-Alurad. Und: „Ich hatte selbst ein Kettcar.“

Kettcar, das Tretauto mit Kultstatus – auch daran wollte sich Trisport nicht versuchen. Nur nicht verzetteln, wie es die Vorgänger taten. Dafür schnappte man sich die wertvollen Werkzeuge zur Produktion der Sportgeräte, die überwiegend noch in Westfalen gefertigt wurden. Kettler stand für Qualität made in Germany, obwohl längst nicht mehr alles am Rande des Sauerlands hergestellt wurde. „Die Marke sollte irgendwie zuhause bleiben, auch wenn es ein paar Kilometer bis in die Schweiz sind“, sagt Lauer. Jedenfalls sollte sie nicht nach China gehen. Die Kettler-Werkzeuge wanderten 2020 allerdings schon nach Fernost. „In Deutschland produzieren zu lassen, wäre so schnell nicht umsetzbar gewesen. Daher haben wir Werkzeuge aus der Insolvenzmasse erworben, nach Asien verschifft und dort bei unserem Produzenten, der auch vorher schon für Kettler produziert hat, eingebaut“, erläutert die Trisport-Chefin. Das Ziel: in zwei, drei Jahren einen Produzenten in Europa finden. Süd- und Osteuropa habe man im Blick. Länder wie Tschechien, Kroatien oder Portugal.

Auch für die Produktion der brandneuen Linie „Home of Innovation (HOI) by Kettler“. Melanie Lauers Vorstellung von modernen Heimfitnessgeräten sieht so aus, dass deren Ästhetik im Wohnzimmer nicht stören darf, sondern bereichert. Der neue Heimtrainer „Frame“ soll als wertiges Möbel, als Objekt mit so viel Stil wahrgenommen werden, dass er sogar bei dem ein oder anderen BVB-Profi in der guten Stube stehen könnte.

Know-how aus dem alten Team

Für den Schick wurde eigens eine Londoner Design-Agentur beauftragt. Einziges Problem derzeit: Die Trisport-Ingenieure sind keine Olympioniken. Sie haben wegen der Pandemie Schwierigkeiten, nach China einzureisen. Die Kommunikation sei entsprechend zäh und langwierig. Lauer bleibt zuversichtlich: „Wenn alles nach Plan läuft, kommen die neuen Bikes im Herbst auf den Markt.“ Dann soll es das Modell „Frame“ sogar in einer BVB-Edition geben.

Dass Kettler in Ense letztlich abschließen musste, habe mit den Produkten, die Trisport nach wie vor verkauft, weniger zu tun als mit verpassten Chancen in der Vergangenheit. „Kettler hat in der Vergangenheit immer für Qualität, Vertrauen und Innovation gestanden. Die Innovation war verloren gegangen“, philosophiert Melanie Lauer.

Ulrich Kürschner hat seit 2014 für Kettler in Ense gearbeitet. Sein Vertriebs-Know-how ist auch bei Trisport gefragt, wo er als Sales Direktor arbeitet.
Ulrich Kürschner hat seit 2014 für Kettler in Ense gearbeitet. Sein Vertriebs-Know-how ist auch bei Trisport gefragt, wo er als Sales Direktor arbeitet. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Die Markenkraft von Kettler in Deutschland ist nach wie vor enorm hoch und macht das Invest für die Schweizer entsprechend wertvoll.

Ein paar frühere Kettler-Mitarbeiter habe Trisport für die Wiederbelebung der Marke nahtlos gewinnen können. Beispielsweise Ulrich Kürschner, seit 2014 bei Kettler und zuletzt dort Direktor Sport weltweit. Er ist heute Sales Direktor bei Kettler/Trisport in der Schweiz.

Und viele Menschen aus der Region, in der der findige Heinz Kettler seine Firma in Ense einmal mit einem bunten Campingklappstuhl und bald darauf dem legendären Kettcar zu einer der bundesdeutschen Nachkriegs-Vorzeigefirmen formte, fänden gut, was Lauer&Co bislang geschafft hätten: „Ich habe viel Post aus der Heimatregion von Kettler bekommen. Glückwünsche zum Neustart“, sucht die smarte Chefin nicht nur über Bande, sondern auch gedanklich Nähe zur alten Kettler-Heimat.

Heinz Kettler, mutiger Erfinder

Heinz Kettler war 22 als er 1949 das Unternehmen in Ense-Parsit am nördlichen Rand des Sauerlands gründete. Das erste Erfolgsprodukt war in den 50er-Jahren der Camping-Klappstuhl „Piccolo“. 1962 kam das Kettcar auf den Markt. Das Tretauto besitzt bis heute Kultstatus.Vielleicht die technisch herausragendste Erfindung von Heinz Kettler war das Fahrrad aus leichtem Aluminium, das Mitte der 70er auf den Markt kam.Heinz Kettler starb 2005. Zehn Jahre später folgte die erste Insolvenz, 2018 die zweite und im Dezember 2019 das Aus.