Essen. Maschinenbaupräsident Reinhold Festge erklärt im WAZ-Interview, welche Arbeitsplätze die digitale Revolution vernichtet, welche sie schafft und was die Politik tun kann.

Herr Festge, die Industrie 4.0 beschäftigt keine andere Branche so sehr wie den Maschinenbau. Wie weit ist Ihre Branche?

Reinhold Festge: Für die Unternehmen ist die Digitalisierung ein Mittel, um ihren Produkten einen neuen Mehrwert zu geben, sie intelligenter zu machen. Nur mit Mechanik kommen wir in Deutschland nicht mehr weiter, da schließen Länder wie Japan und China zu uns auf. Wir brauchen ein neues Alleinstellungsmerkmal.

Das wie aussieht?

Festge: Zunächst geht es vor allem um eine bessere Vernetzung in der Produktion. Eine Maschine, die etwa mit der Auftragsvergabe, dem Ersatzteillager und der Endmontage kommuniziert, optimiert die Arbeitsabläufe, das steigert unsere Produktivität. Für unsere Kunden, gerade im Ausland, geht es auch um besseren Service. In meinem Unternehmen Haver & Boecker zum Beispiel können wir eine nach Nigeria gelieferte Maschine von Oelde aus kontrollieren und so dafür sorgen, dass sie optimal läuft.

Politik und Gewerkschaften verbinden mit Industrie 4.0 aber auch große Sorgen um Arbeitsplätze, weil digitale Fertigung etwa mit 3D-Druckern klassische Industrietätigkeiten ersetzen könnte.

Festge: Diese Gefahren sind da, keine Frage, durch die Transformation der Fertigung werden zum Teil alte Arbeitsplätze verschwinden und dafür neue entstehen, nicht nur in unserer Branche. Ich war neulich beim Zahnarzt, der hat ein 3D-Bild gemacht und meinen neuen Zahn in einem kleinen Gerät selbst angefertigt und gefräst. Gut für mich, aber schlecht für den Beruf des Zahntechnikers.

Also macht der Fortschritt anders als früher nicht nur einfache Jobs überflüssig, sondern hochwertige Arbeitsplätze. Ersetzt der IT-Experte den Industriemechaniker?

Festge: Zum Teil ja, aber dafür entstehen neue Berufe, noch bessere und höher bezahlte Arbeitsplätze – das war immer so. Wir brauchen einen Reskill (Umschulung, die Red.) der gesamten Branche, der auch Härten mit sich bringen wird. Wir müssen ältere Mitarbeiter auf die neuen Techniken einstellen, mit ihrer Erfahrung können sie künftig womöglich besser in der Kontrolle als in der Fertigung arbeiten. Und die Jungen müssen wir ganz anders ausbilden als heute. Leute, deren Arbeit durch neue Soft- und Hardware ersetzt wird, werden frei für andere Aufgaben. Industrie 4.0 wird die Welt verändern, wir müssen das als Chance begreifen, nicht als Gefahr. Wenn wir durch bessere Technik neue Märkte erschließen, werden wir Beschäftigung auf- statt abbauen.

Haben kleinere Unternehmen überhaupt eine Chance, mitzukommen?

Festge: Mancher Mittelständler hat das noch nicht auf dem Schirm. Und zwei von drei unserer Unternehmen haben weniger als 100 Beschäftigte. Mit unserer Initiative 4.0 wollen wir ihnen helfen. Doch viele haben noch gar nicht die Chance mitzumachen, weil es in ihrem Gewerbegebiet keinen Breitbandanschluss gibt. Das ist Sache der Politik. Sie hat das Thema zwar erkannt, aber gerade in NRW passiert da viel zu wenig. Wir sind in Sachen Breitbandausbau viel zu langsam. Die Politik sollte uns nicht sagen, wie wir Industrie 4.0 zu machen haben, sondern erst einmal die Voraussetzungen dafür schaffen. NRW hat mit Garrelt Duin einen guten Wirtschaftsminister, aber insgesamt vermisse ich bei der Landesregierung eine entschlossenere Industriepolitik wie sie etwa in Baden-Württemberg seit Jahrzehnten und parteienunabhängig betrieben wird.

Das nächste Problem wird die Umstellung der Ausbildung. Lernen die Industriemechaniker nicht heute Fertigkeiten, die sie bald nicht mehr brauchen?

Festge: Ja, sie müssen künftig viel mehr IT-Kenntnisse haben, die Umstellung ist eine Riesen-Herausforderung, zumal die Ausbildungsinhalte streng reglementiert und politisch kontrolliert sind. Und selbst wenn sich Industrie und Politik – zuständig sind die Länder – rasch auf neue Inhalte einigen, fehlen in den Berufsschulen die Lehrer mit dem entsprechenden Wissen. Wir werden erst einmal die Lehrer neu schulen müssen.

Wie steht der Maschinenbau in NRW aktuell da?

Festge: Er ist mit einem Auftragsplus von fünf Prozent im ersten Halbjahr gegen den leicht negativen Bundestrend gewachsen. Beim Auftragseingang legte in NRW vor allem die Auslandsnachfrage um zehn Prozent deutlich zu, während sie bundesweit stagnierte.

Wie kommt das? Das Russland-Embargo und die Krise in China machen doch auch der NRW-Exportindustrie zu schaffen.

Festge: Natürlich, hinzu kommt noch die Krise in Brasilien. Doch die Absatzschwäche vor allem in China und Brasilien bekommt besonders die Autoindustrie zu spüren, die in Baden-Württemberg und Bayern stark ist und in NRW kaum ins Gewicht fällt. Das große Plus von NRW ist seine gesunde, mittelständisch geprägte Unternehmens-Struktur, Einbußen in Russland und China konnten in anderen Märkten wettgemacht werden. Das Amerika-Geschäft läuft prima, das  in Asien außer China ebenfalls. Zuletzt zog aber besonders die Nachfrage aus Europa selbst  wieder kräftig an, viele Euro-Länder haben sich stabilisiert.

Trotzdem fordern sie mehr Hilfe bei den Export-Bürgschaften?

Festge: Ja, wir erhalten Hermes-Bürgschaften nur für Produkte mit mehrheitlicher Wertschöpfung in Deutschland. Das ist nicht mehr zeitgemäß, wir müssen bestimmte Teile importieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb fordern wir Bürgschaften für Güter ab 25 Prozent inländischer Wertschöpfung.