Essen. Nach BGH-Urteil kündigen die ersten Sparkassen im Ruhrgebiet Prämiensparverträge, weitere prüfen das. Verbraucherschützer raten zum Widerspruch.

Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank setzt die Sparkassen zunehmend unter Druck. Nun haben die ersten im Ruhrgebiet damit begonnen, alte Prämien-Sparverträge zu kündigen, um die hohen Zinsen nicht mehr auszahlen zu müssen. Viele Kunden reagierten verärgert, die Verbraucherzentrale NRW hält nicht alle Kündigungen für wirksam. Die Sparkassen berufen sich auf den Bundesgerichtshof, der im Mai dieses Vorgehen für bestimmte Verträge erlaubt hatte (Az. XI ZR 345/18).

Kündigungen gibt es bisher in Mülheim und im Kreis Recklinghausen. Die meisten anderen Sparkassen in den Revierstädten wollen derzeit noch nicht so weit gehen. Einige von ihnen denken zumindest über Kündigungen nach, manche schließen diesen Schritt aus, wie eine Umfrage unserer Redaktion ergab.

Mülheimer Kunden reagieren verärgert

„Mein Vertrag wurde von der Sparkasse zum 1. Januar gekündigt“, berichtet ein Leser aus Mülheim, der nicht mit Namen genannt werden will. Da er die Höchststufe nach 15 Jahren erreicht hatte, in der es auf die Einzahlungen 50 Prozent Bonus gibt, hatte er damit gerechnet. „Gefreut habe ich mich trotzdem nicht, schließlich war das eine sehr gute Anlage“, sagt er. Ein anderer Kunde zeigt kein Verständnis, sondern kritisiert die Kündigung der Sparverträge als „unsoziales Verhalten gegenüber langjährigen und mit der Sparkasse gealterten Mülheimer Bürgern“. Viele hätten die Prämienverträge als Altersvorsorge angelegt. Das bestätigen einige Anrufe betroffener Leser, die entweder für sich selbst – oder für ihre Kinder und Enkel vorsorgen wollten.

Die Sparkasse Mülheim bestätigte die Kündigungen auf Anfrage unserer Redaktion. Sie habe insgesamt 5327 Prämiensparverträge gekündigt, auf welche die vom BGH genannten Voraussetzungen für eine Kündigung zuträfen, erklärte Sprecher Frank Hötzel. Die allermeisten stammten aus den 90er Jahren, die ältesten datierten aus dem Jahr 1993, die jüngsten aus 2004.

Verbraucherzentrale hat Zweifel

Die Verbraucherzentrale in Mülheim erhielt am Montag Dutzende Anfragen. Nach Sichtung erster Verträge hält David Riechmann, Bankenjurist der Verbraucherzentrale NRW, „nicht alle Kündigungen für wirksam – insbesondere wenn Zusatzvereinbarungen getroffen wurden“. So ließen sich bestimmte Formulierungen, etwa darüber, was nach 30 Jahren mit dem Guthaben geschehe, auch als feste Laufzeit deuten. Den Betroffenen rät er, dies prüfen zu lassen. Eine Leserin erklärte, ihr seien mehrere Verträge gekündigt worden, darunter auch einer mit einer festen Laufzeit. Sie will Widerspruch einlegen.

Viele Kündigungen auch in Recklinghausen

Auch die Sparkasse Vest, die Recklinghausen, Marl, Castrop-Rauxel, Datteln, Dorsten, Herten und Oer-Erkenschwick abdeckt, hat Kündigungen an einige ihrer Kunden verschickt. Sie unternahm diesen Schritt bereits im Juli und war damit einer der ersten Sparkassen bundesweit. Fünf Prozent der Verträge seien betroffen, bestätigte Sprecher Stefan Fokken. Zugleich kündigte er an, die Sparkasse werde auch künftig alle Verträge beenden, welche die Höchstprämie erreichen und alle Kriterien des BGH-Urteils erfüllen. Bisher habe es auf die Kündigungen nur wenige Widersprüche gegeben.

Beim Prämiensparen zahlen Kunden monatlich einen bestimmten Betrag auf ihr Sparkonto ein, der in den ersten Jahren sehr niedrig verzinst wird, während der Laufzeit aber immer besser. In aller Regel wird nach 15 Jahren die Höchststufe mit 50 Prozent auf die neuen Beiträge erreicht. Hinzu kommt ein laufender Basiszins, der sich verändert und derzeit wegen der Niedrigzinspolitik nahe Null liegt. Ist keine feste Laufzeit, etwa für 25 Jahre festgelegt, sondern eine flexible Laufzeit, dürfen die Sparkassen laut BGH nach Erreichen der höchsten Stufe die Verträge kündigen. Es sei denn, Zusatzvereinbarungen stehen dem entgegen. Diese erkennt die Verbraucherzentrale NRW in einigen Verträgen und rät den Betroffenen, der Kündigung zu widersprechen.

Bei einer Umfrage unserer Redaktion im Revier äußerten sich die Sparkassen sehr unterschiedlich. „Die Kündigung von Ratensparverträgen ist aktuell nicht geplant“, sagt Klaus-Peter Nehm von der Sparkasse Witten. Auch die Einführung von „Verwahrentgelten“, also Strafzinsen, für Privatkunden ist dem Sprecher zufolge in Witten kein Thema. Ein klares Nein kommt auch aus Essen. Sparkassen-Sprecher Volker Schleede verweist darauf, dass Prämiensparverträge in Essen ohnehin „ein fest vereinbartes Enddatum“ haben.

Oberhausen prüft juristische Möglichkeiten

Ganz andere Töne kommen aus Oberhausen. „Die Stadtsparkasse Oberhausen prüft juristische Möglichkeiten und – im Fall von Kündigungen – vor allem Spar- und Anlagealternativen für ihre Kundinnen und Kunden“, erklärt Tanja Wiedermann. Geschäftsphilosophie ihres Hauses sei aber, Kunden so lange wie möglich vor Kündigungen zu schützen. „Vor dem Hintergrund der negativen Auswirkungen der EZB-Zinspolitik gestaltet sich dies für alle Banken und Sparkassen als sehr herausfordernd“, so Wiedermann.

Ähnlich reagiert die Sparkasse Bottrop: „Es muss bei sehr lang laufenden Verträgen Kreditinstituten auch möglich sein, auf veränderte wirtschaftliche Bedingungen angemessen reagieren zu können“, sagt Corinna Prange. Gleichwohl betont sie: „Aktuell gibt es keine Pläne, Prämiensparverträge zu kündigen.“

Dortmund: „Können BGH-Urteil nicht ignorieren“

Den Spagat beklagt auch die Sparkasse Dortmund. Sprecherin Sophie Donat verweist darauf, dass ihr Institut die Kunden seit Jahren „vor den Belastungen der Niedrigzinspolitik der EZB geschützt“ habe. „Ob dies auch in Zukunft gelingen kann, wird fraglicher, je mehr die EZB die Situation verschärft“, sagt sie. Kündigungen von Prämiensparverträgen seien in Dortmund nicht geplant. Donat: „Gleichwohl können wir das Urteil des Bundesgerichtshofs, das den Sparkassen ein Kündigungsrecht bei Erfüllung bestimmter Bedingungen eingeräumt hat, nicht ignorieren.“

Im Mai hatte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe geurteilt, dass langjährige Prämiensparer die Kündigung ihrer Altverträge durch die Sparkassen hinnehmen müssen, wenn sie die einmal vereinbarte Bonusstaffel ausgeschöpft haben. In dem Fall hatten Kunden der Kreissparkasse Stendal in Sachsen-Anhalt geklagt, die drei entsprechende Verträge aus den Jahren 1996 und 2004 weiterführen wollten.

Keine Strafzinsen für Privatkunden

Nachdem die EZB am 12. September entschieden hatte, den Negativzins von 0,4 auf 0,5 Prozent zu erhöhen, wird es für Banken noch teurer, wenn Kunden hohe Geldbeträge bei ihnen parken. Während alle Sparkassen im Ruhrgebiet in der Umfrage unserer Redaktion Strafzinsen für private Anleger ausschließen, werden Unternehmen bereits zur Kasse gebeten. In Essen etwa greift das „Verwahrentgelt“ für juristische Personen ab einer Einlage von 500.000 Euro. Ebenso verfährt die Sparkasse Mülheim nach eigener Aussage seit drei Jahren bei Firmenkunden.