Essen. Das Ruhrgebiet will die grünste Industrieregion der Welt werden. Ein neuer Imagefilm über den Seeadler zeigt emotional, wie das gelingen kann.
Dem traurigen Seeadler kommen die Tränen, weil er aus seiner Heimat vertrieben wird. Auf der Suche nach einem neuen Zuhause fliegt er durch die Welt und findet ausgerechnet im Ruhrgebiet, wo einst nur Industrieschlote qualmten, eine neue Heimat. Die berührende Geschichte ist Thema des neuen Imagefilms, mit dem die Metropole Ruhr Menschen und Investoren in die Region locken will.
Das Ruhrgebiet hat ein hehres Ziel: Es will „die grünste Industrieregion der Welt“ der Welt werden. Die Chancen stehen offenbar nicht schlecht. Denn der Seeadler ist keine Trickfilm-Erfindung, sondern Realität. Nach über 200 Jahren brüten die selten gewordenen Vögel wieder in der Region – im Naturschutzgebiet Bislicher Insel im Kreis Wesel, der zum westlichsten Teil der Metropole Ruhr gehört. Am Donnerstag hatte der Kampagnenfilm der mehrfach preisgekrönten Künstlerin Carol Freeman aus Dublin im Essener Museum Folkwang Premiere.
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Die Rückkehr des Seeadlers soll aber längst nicht der einzige Beleg sein, dass das Ruhrgebiet das Zeug dafür hat, die grünste Industrieregion der Welt zu werden. In einer Studie hat das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie Chancen und Risiken genau unter die Lupe genommen. „Es gibt das Potenzial zur grünsten Industrieregion“, fasst Institutschef Manfred Fischedick die Ergebnisse zusammen. Vor allem bei der Dekarbonisierung und der Vermeidung von CO2 durch Wasserstoff sei das Revier dabei, eine Vorreiterrolle in der Welt zu übernehmen. Aber auch das will der Professor nicht verschweigen: „Sorgenkind bleibt der Verkehr“, so Fischedick. Der motorisierte Verkehr nehme immer noch zu statt ab.
„Prädestiniert für die Transformation“
Dennoch sei das Ruhrgebiet „prädestiniert für Transformation“, weil es dafür eine hundertjährige Erfahrung nicht erst seit dem einsetzenden Zechensterben mitbringe, sondern überdies „Malocher-Mentalität“ und „Offenheit für Neues“ mitbringe. Diese Worte sind Musik in den Ohren der Verantwortlichen beim Regionalverband Ruhr, die Kampagne und Film auf den Weg gebracht haben. Frank Dudda (SPD), Hernes Oberbürgermeister und Vorsitzender des Ruhrparlaments, ist davon überzeugt, dass die Metropole Ruhr mit ihren 53 Kommunen endlich die „neue Geschichtserzählung“ gefunden habe, die aufzeigen könne, „welche Kraft in dieser Region steckt“. Das Ziel der grünsten Industrieregion der Welt schweiße die Revierstädte zusammen.
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Auch die Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel ist davon überzeugt, dass der Aufbruch zur nachhaltigen Region das Image des Ruhrgebiets aufpolieren werde. „Draußen denkt man doch immer noch, dass hier die Briketts durch die Gegend fliegen“, ärgert sie sich. Unter anderem mit der Internationalen Gartenausstellung 2027 werde das Revier den Beweis des Gegenteils liefern: „Wir wollen zeigen, wie Transformation gelingen kann, obwohl wir Industrieregion bleiben“, so Geiß-Netthöfel.
Wasserstoff als Chance
Wichtigste Partnerin ist dabei für den RVR freilich die Wirtschaft. Thyssenkrupp ist dabei, seine Stahlproduktion in Duisburg klimaneutral umzustellen, aber auch CO2-neutrale Industrieanlagen in alle Welt zu liefern. „Das Ruhrgebiet hat eine sehr gute Grundlage, um grüne Pilotregion zu werden“, erklärt Michael Höllermann, Vorstandsvorsitzender von Thyssenkrupp Industrial Solutions, räumt aber auch ein, dass die Wirtschaftlichkeit bei klimaneutralen Technologien „oft noch nicht gegeben“ sei. „Da müssen wir in größere Volumina kommen“, fordert er.
Das gilt auch für die Immobilienbranche. „Ein Drittel des CO2-Ausstoßes in Deutschland verursachen Gebäude“, sagt Arnd Fittkau, Vorstand beim Bochumer Wohnungsriesen Vonovia. Wegen seiner Struktur aus großen zusammenhängenden Siedlungen könne das Ruhrgebiet bei der energetischen Sanierung „sehr schnell Vorreiterregion“ werden. Vonovia selbst hat in Bochum-Weitmar einen Großversuch mit Photovoltaik und Wasserstoff aufgesetzt, um eine Siedlung CO2-neutral mit Strom und Wärme zu versorgen. Dabei dürfe nicht vergessen werden, „schönes Wohnen auch bezahlbar zu halten“. Fittkau im Hinblick auf die Politik: „Das schafft keiner allein.“