Iserlohn. Linkenpolitiker Gregor Gysi war umstrittener Gast bei der Mitgliederversammlung des Märkischen Arbeitgeberverbandes. Am Ende überzeugte er.
Bilder entscheiden Wahlen maßgeblich mit. Keine neue Erkenntnis, aber eine, die sich in diesem Sommer in den Flutkatastrophengebieten in NRW erneut bestätigte. Der Vorsitzende des einflussreichen Märkischen Arbeitgeberverbandes (MAV), Horst-Werner Maier-Hunke, hätte dem Linken Gregor Gysi von der großen Bühne in der Schauburg in Iserlohn am Dienstagabend ganz sicher auch zur Wiederwahl in den Bundestag gratuliert, wenn seine eigene Bestätigung als Vorstand im MAV nicht bereits ein paar Minuten vorher auf der Mitgliederversammlung durchgewunken worden wäre.
Gespenst hat Schrecken verloren
Höchst umstritten und bis zuletzt diskutiert war die Einladung des linken Charakterkopfes in der Unternehmervereinigung allemal. Der Eingangsapplaus für den Bundestagsabgeordneten Gysi blieb entsprechend bescheiden. Das sollte sich noch ändern.
Über internationale Politik, die Transformation der Arbeitswelt und den Rest der Herausforderungen für Deutschland sollte der Parlamentarier zur Unternehmerschaft sprechen. Und über eine Herzensangelegenheit des 83-jährigen Vorsitzenden Maier-Hunke: „Wir brauchen dringend eine Rentenreform, sonst wird sich die Gesellschaft noch mehr spalten“, mahnte der lebenserfahrene Unternehmer und vehemente Verfechter der Sozialpartnerschaft. Gysi hat mit dem Gewinn seines Direktmandats in Berlin Treptow-Köpenick als einer von drei erfolgreichen Linkenkandidaten dafür gesorgt, dass seine Partei nicht für mindestens vier Jahre von der Bildfläche im Bundesparlament verschwindet. Anders wäre vielen lieber gewesen. Allerdings ist der Einzug so knapp, dass die Linken als Schreckgespenst, das mit an den Kabinettstisch hüpfen könnte, absehbar nicht mehr taugen.
Eine Ursache für das „desaströs schlechte Wahlergebnis meiner Partei“ (Gysi) läge lange zurück. Die Aufgabe der Identität als Ostpartei bezeichnet der Politiker als größten Fehler. Nach vorne geschaut, werde die Koalitionsbildung, „selbst wenn ich CDU und CSU ausnahmsweise mal als Einheit nehme“, kompliziert. Den Grünen komme jetzt eine Scharnierfunktion zu. Gysi hofft, dass sich der Kreis mit der SPD schließt. Offen die Frage, wie sich ein wirklich ökologisches Wirtschaftssystem mit dem Kapitalismus vertrage.
Und wie die Einkommensschere, die sich kontinuierlich weiter öffne, wieder besser in den Griff zu bekommen sei. „Ich möchte schon, dass nicht alle gleich verdienen, sondern nach Leistung bezahlt wird. Aber die Vermögensverteilung, dass 45 Leute in Deutschland soviel besitzen wie 50 Prozent der Bevölkerung, das ist maßlos“, betonte der mit 73 Lebensjahren und Jahrzehnten an Politerfahrung gesegnete Gast.
Mehr Verteilungsgerechtigkeit. Manch einem im Saal in Iserlohn schwante wohl, dass nun auch noch das Stichwort Vermögensteuer fallen könnte. Es blieb aber aus. Stattdessen ein anderer Vorschlag: „Ich könnte Ihnen nicht versprechen, dass ich sie entlasten würde. Aber ich könnte Ihnen sicher versprechen, dass ich Sie, den Mittelstand, nicht belasten würde“, versicherte Gysi. Dafür, wie eine gute Rente für alle gesichert werden könnte, hatte der Linkenpolitiker auch eine Idee: „Rente mit 70? Nein. Das geht für Politiker, aber nicht für operierende Ärzte oder Dachdecker. Alle müssen einzahlen. Es muss eine Abflachung der Renten in der Spitze, und es darf keine Beitragsbemessungsgrenze mehr geben. Dann gibt es keine Altersarmut.“
Gysi wird noch eine Weile bleiben
Klingt beim ersten Hinhören so simpel wie gerecht. Wenn auch vielleicht nicht für jedermann im Saal, dann aber mindestens für den MAV-Vorsitzenden Horst-Werner Maier-Hunke: „Gysis Vorschlag ist der einzige, den man nehmen kann!“ Die Unternehmerfreunde und -kollegen in der Schauburg erinnerte der Vorsitzende daran, „dass wir alle nichts davon haben, wenn Deutschland in Arm und Reich auseinanderfällt.“
Gysi, der wohl noch eine Weile in der Politik bleiben wird, weil er freiwillig erst weichen möchte, wenn die Angleichung Ost und West gelungen ist, hat den Abend keineswegs mit für Unternehmerkreise absurden und abschreckenden Theorien gesprengt, sondern eher ein wenig altersmilde, jedenfalls durchaus moderat für eine gerechtere Gesellschaft geworben – und sich so einen respektablen Schlussapplaus der Arbeitgeber herbeigeredet. Die Wahl des Gastredners war wohl doch keine so üble, wie befürchtet. Ein versöhnliches Bild.
Dr. Gregor Gysi
Der Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi (73) ist mit Sarah Wagenknecht das wohl bekannteste Gesicht der Partei Die Linke. Gysi war von 1990 bis 2000 im Bundestag Fraktionschef der SED-Nachfolgeorganisation PDS, die 2007 mit der westdeutschen WASG zu Die Linke fusionierte. Von 2005 bis 2015 war Gysi erneut Fraktionschef der PDS bzw. Die Linke. Bei der Bundestagswahl 2021 gewann Gysi sein Mandat in Treptow-Köpenick direkt.