Essen. Auch Aldi wartet nicht auf Ende des Tarifstreits und erhöht die Löhne um zwei Prozent. Gewerkschaft Verdi nennt das „Lohndiktat“ der Arbeitgeber.
Immer mehr große Lebensmittel-Ketten wollen das Ende des seit Monaten laufenden Tarifstreits nicht mehr abwarten: Nach Rewe, Penny und Edeka-Regionalgesellschaften hat nun auch Discount-Marktführer Aldi erklärt, die Löhne vorab um zwei Prozent anzuheben. Dazu gibt es, wie vom Handelsverband HDE empfohlen, eine Einmalzahlung von 300 Euro.
Aldi Nord und Süd teilten gemeinsam mit, sie wollten ihre „Mitarbeiter in Deutschland nicht länger und bis zur Einigung der Tarifparteien warten lassen“. Daher kämen sie ihrer Tarifverantwortung nach und erhöhten die Löhne und Gehälter je nach Tarifgebiet rückwirkend zum 1. Juni oder im Laufe dieses Sommers. Das Tarifentgelt werde um zwei Prozent erhöht. Auf einen später folgenden Tarifabschluss werde dies angerechnet. Die 300 Euro sollen im Herbst ausgezahlt werden. Der HDE hatte geraten, sie als Corona-Prämie an Vollzeitkräfte auszuzahlen.
Auch Otto und Ikea ziehen Lohnerhöhung freiwillig vor
Außerhalb des Lebensmittelhandels haben auch Ikea, Otto, Baur und weitere große Handelshäuser bereits erklärt, freiwillig die Löhne erhöhen zu wollen. Was ihre Beschäftigten wahrscheinlich freut, bringt die Gewerkschaft Verdi zunehmend auf die Palme. Von einem „einseitigen Lohndiktat des Arbeitgeberverbandes“ spricht Silke Zimmer, Verhandlungsführerin in NRW. Verdi fordert 4,5 Prozent mehr, die zwei Prozent bedeuteten bei der aktuellen Inflation „Reallohnverluste für die Beschäftigten“.
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Der Tarifstreit im Einzelhandel spitzt sich damit weiter zu, begleitet von vielen Warnstreiks. In NRW verhandelt Verdi für eine halbe Million sozialversicherungspflichtig und knapp 200.000 geringfügig Beschäftigte. Die vierte Verhandlungsrunde Mitte Juli war erneut ergebnislos geblieben, fortgesetzt werden die Verhandlungen erst Anfang September.
Rekordumsätze hier, Existenzkampf dort
Das entscheidende Problem ist in diesem Jahr die sehr unterschiedliche Betroffenheit der Handelsbereiche von der Corona-Pandemie. Nicht von ungefähr preschen Lebensmittelketten, Möbelhäuser und Versandriesen voran – sie erzielten trotz der Pandemie Rekordumsätze. Dagegen kämpfen viele Textilhändler ums nackte Überleben. Die Arbeitgeber wollen deshalb für sie einen differenzierten Abschluss, der vor allem später wirksam wird, um ihnen Zeit zur Erholung zu verschaffen.
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Verdi argumentiert, die Beschäftigten dieser Branchen seien auch besonders betroffen, hätten etwa durch die monatelange Kurzarbeit hohe Einbußen gehabt, die bei der anziehenden Inflation doppelt weh tut. Sie bräuchten besonders dringend mehr Lohn, „denn für sie gab es in der Pandemie keine Subventionen auf gestiegene Preise“, betonte Silke Zimmer nach dem Platzen der vierten Runde.
Verdi schlägt Umwandlung von Entgelt in Freizeit vor
Verdi hatte als Kompromiss vorgeschlagen, Teile der Entgelterhöhung könnten in Freizeit umgewandelt werden. Dies könne den Beschäftigten mehr Arbeitszeitsouveränität geben und den von der Pandemie besonders betroffenen Unternehmen die von ihnen geforderte Entlastung bringen. Die Arbeitgeber hätten das abgelehnt. Sie spielten auf Zeit, lautet der Verdi-Vorwurf. Damit seien die Beschäftigten weiter vom guten Willen ihrer jeweiligen Arbeitgeber abhängig.