Essen. Die Insolvenzanträge in NRW sind im März diesen Jahres deutlich gestiegen. Welche Gründe es dafür gibt und welche Prognosen Experten geben.

Corona schlägt sich zunehmend auf die finanzielle Situation von Verbraucherinnen und Verbrauchern nieder. Das zumindest lässt die Statistik des Statistischen Landesamtes vermuten. Laut IT.NRW wurden im März 2021 3510 Anträge auf Eröffnung von Insolvenzverfahren gestellt und somit 72,4 Prozent mehr als noch im Jahr 2020. Die Zahl der Insolvenzverfahren von Verbrauchern, also Arbeitnehmern, Rentnern und Arbeitslosen, stieg gegenüber März 2020 auf 2520 und hat sich somit fast verdoppelt. Für Experten kommt diese Entwicklung nicht überraschend.

„Im letzten Jahr gab es sehr wenige Privatinsolvenzen, was auch daran lag, dass unsere Beratungsstellen nicht geöffnet waren“, sagt Christoph Zerhusen von der Verbraucherzentrale NRW. Die persönliche Beratung sei allerdings ein sehr wichtiger Aspekt bei Verbraucherinsolvenzen. Viele Leute hätten die Gespräche so aufgeschoben. Mittlerweile seien Beratungsstellen zum Teil wieder geöffnet.

Verbraucher werden nach drei Jahren von Schulden befreit

Ein weiterer Faktor könnte das Ende 2020 beschlossene Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung sein. Dieses trat am 1. Januar 2021 in Kraft und soll Unternehmern sowie Verbrauchern einen schnelleren Neuanfang ermöglichen. Dadurch werden Schuldner bereits nach drei statt wie bisher nach sechs Jahren von ihren Schulden befreit und sollen so wieder schneller am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

„Wir verzeichnen seit Anfang des Jahres eine sehr hohe Nachfrage nach Gesprächen“, bestätigt Zerhusen diesen Effekt. In einigen Städten würde es deshalb schon lange Wartelisten geben – insbesondere im Ruhrgebiet sei die Nachfrage gestiegen.

Für Patrik-Ludwig Hantzsch von der Wirtschaftsauskunftei Creditreform war diese Entwicklung ebenfalls abzusehen. „Wir haben für den März damit gerechnet und die Corona-Trends sind zu erkennen.“ Allerdings rät er dazu, die Statistiken differenzierter zu betrachten. Auch für ihn spiele die Gesetzesänderung eine wichtige Rolle, ein genereller Trend sei aber nicht zu erkennen. „Grundsätzlich sehen wir sogar, dass Insolvenzen zurückgehen.“

Au den ersten Blick gegenläufig ist derzeit vor allem die Entwicklung bei Privat- und Unternehmenspleiten. So ist laut der Landesstatistik die Zahl der beantragten Insolvenzverfahren von Unternehmen in NRW gegenüber März 2020 sogar um 2,2 Prozent auf 400 gesunken. Laut Hantzsch hängt das unter anderem mit den staatlichen Mitteln zusammen, die die Unternehmen „weiter am Leben halten.“

Wirtschaftsforscher warnt vor Langzeiteffekten

Allerdings dürfte das eine trügerische Sicherheit sein. „Firmen, die jetzt überleben, könnten Probleme bekommen, wenn sie auf den freien Markt zurückkehren und die staatlichen Mittel nicht mehr greifen.“ Das Kurzarbeitergeld etwa läuft zum Ende des Jahres aus. So sehe man bereits jetzt, dass die Eigenkapitalquote der Unternehmen kontinuierlich sinkt. Folge könnten dann auf lange Sicht deutlich mehr Insolvenzen im Jahr 2022 sein – auch Personalabbau sei zu befürchten, so dass wiederum mehr Verbraucher in die Arbeitslosigkeit rutschen und Privatinsolvenz anmelden müssten.

Insolvenzantragspflicht tritt wieder in Kraft

Um Unternehmen zu schützen, hat die Bundesregierung im März 2020 beschlossen, die Insolvenzantragspflicht in bestimmten Fällen auszusetzen. Seit dem 1. Mai ist ein Unternehmen, das zahlungsunfähig oder überschuldet ist, wieder dazu verpflichtet, innerhalb von drei Wochen einen Insolvenzantrag stellen.Im gesamten Jahr 2020 nahm die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Creditreform um um 13,4 Prozent ab.

„Bei den Schuldnerberatern sitzen jetzt zum Beispiel auch Bankangestellte oder Sacharbeiter, die vorher nie finanzielle Probleme hatten“, sagt Hantzsch. Durch Corona seien aber auch sie in finanzielle Probleme geraten. Zudem bleibe abzuwarten, wie etwa die Sommersaison in der Gastronomie laufe. Denn vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Handel und Gastronomie würden unter der Situation leiden und in finanzielle Nöte geraten. Hantzsch erwartet deshalb nicht die eine große Insolvenzwelle, sondern vielmehr eine „langanhaltende Delle.“

Für die Verbraucherzentrale ist es deshalb wichtig, so schnell wie möglich wieder viel persönliche Beratung anzubieten. „Insolvenz ist immer noch ein Tabuthema“, so Insolvenzexperte Christoph Zerhusen. Die Menschen würden sich in privaten Gesprächen in geschlossenen Räumen dabei viel mehr öffnen als etwa am Telefon. „Wir hoffen, dass die Impflage bald so ist, dass wir noch mehr Beratungsstellen wieder öffnen können.“