Essen. IG Metall startet Warnstreiks in Dortmund: Demonstranten sollen im Auto auf einer Leinwand die Gewerkschaftsreden verfolgen. Tarifrunde stockt.

Mit zwei großen Trucks tourt die IG Metall ab Dienstag durch das Land – jeweils mit integrierter Bühne, großer LED-Wand und Lautsprechern. Knut Giesler, NRW-Chef der Gewerkschaft, wird sie beschallen mit Arbeitskampfreden zur stockenden Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie, zuerst in Dortmund (7.30 Uhr, Westfalenhalle) und Siegen (9 Uhr, Bismarckhalle). Die Streikenden sollen die Kundgebung auf dem Parkplatz in ihrem Auto verfolgen. Ein neues Streikformat, das besser in die kontaktlose Corona-Zeit passt als Massenveranstaltungen.

Aber passen Streiks an sich in eine Zeit, da Unternehmen um ihre Existenz und Beschäftigte um ihre Arbeitsplätze bangen? Diese vorwurfsvolle Frage mussten sich schon die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst anhören, als sie im Corona-Herbst auf die Straße gingen. Ab Dienstag nun hat die IG Metall in der größten deutschen Industriebranche mit Ende der Friedenspflicht zu Warnstreiks aufgerufen. Die Arbeitgeber und ihre Verbände halten das für unangebracht angesichts der ungewissen Zukunft.

Angebot: Nullrunde in diesem Jahr, mehr Lohn erst 2022

Die Streiks kommen zwar über Nacht, aber keineswegs überraschend. Vier Verhandlungsrunden haben die Tarifpartner in den meisten Bezirken hinter sich, auch in NRW mit seinen gut 700.000 Metallern. Die Gewerkschaft hatte vier Prozent gefordert und vermisst nach wie vor ein konkretes Angebot der Arbeitgeber. Die reklamieren für sich, einen „Strukturvorschlag“ gemacht zu haben, der durch die Corona-Krise führen soll. Er besteht aus einer Nullrunde in diesem Jahr sowie der grundsätzlichen Möglichkeit für eine Einmalzahlung im ersten Halbjahr 2022 und einer Tariferhöhung im zweiten Halbjahr.

Für den nordrhein-westfälischen IG-Metall-Chef Knut Giesler nicht verhandelbar: „Die letzte tabellenwirksame Entgelterhöhung hat es im Jahr 2018 gegeben. Ein undefiniertes ,Irgendwas’ und eine tabellenwirksame Erhöhung irgendwann im nächsten Jahr ist nicht die Wertschätzung, die sich die Beschäftigten in dieser schwierigen Zeit verdient haben“, sagte er. IG Metall und Arbeitgeber werfen sich nun gegenseitig vor, wertvolle Zeit zu vergeuden. Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff fordert „mehr Zug zum Tor“ von der Gewerkschaft, die wiederum ihre Warnstreiks als „Antwort der Beschäftigten auf die Hinhaltetaktik“ der Arbeitgeber verstanden wissen will.

IG Metall fordert diesmal vier Prozent mehr Geld

Dabei haben die Tarifpartner des mit rund vier Millionen Beschäftigten größten Industriezweigs mehrfach bewiesen, dass sie sich auf schnelle und leise Krisenabschlüsse verstehen – zuletzt vor einem Jahr zu Beginn der Corona-Krise. Mit der seinerzeit vereinbarten Nullrunde, flankiert von Beschäftigungssicherung in Kurzarbeit und zusätzlichen freien Tagen für Eltern, gibt sich die IG Metall diesmal aber nicht zufrieden. Schließlich bessere sich die Auftragslage insgesamt wieder, daran müssten auch die Beschäftigten teilhaben.

Metallverarbeitende Betriebe haben 2020 nach der Autoindustrie den größten Einbruch in der Produktion erlitten.
Metallverarbeitende Betriebe haben 2020 nach der Autoindustrie den größten Einbruch in der Produktion erlitten. © dpa | Inga Kjer

„Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass die IG Metall jetzt zu Protestaktionen greift anstatt weiter mit uns ernsthaft nach einer tragfähigen Lösung zu suchen“, sagte Luitwin Mallmann unserer Redaktion, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Metall NRW. Wenn die Gewerkschaft jetzt in alte Verhaltensrituale zurückfalle, sorge das nicht gerade für mehr Kompromissbereitschaft der Arbeitgeber. „Dabei brauchen die Unternehmen angesichts der nach wie vor sehr fragilen und heterogenen Lage in der Metallindustrie mehr denn je schnellstmöglich Planungs- und Kostenklarheit. Alles andere gefährdet Arbeitsplätze.“

Gewerkschafter Giesler verwies dagegen auch auf die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Tarifabschlüsse in der Schlüsselbranche Metall und Elektro: „Aus der Krise heraus kommen wir nur durch eine Steigerung des Konsums. Darum braucht es jetzt ein klares Signal für die Zeit nach der Krise und kein Predigen von Verzicht. Damit schneiden sich die Arbeitgeber nur ins eigene Fleisch.“

Harte Einbußen, Auftragslage bessert sich

Laut Statistischem Bundesamt hat das produzierende Gewerbe im vergangenen Jahr gut zehn Prozent weniger umgesetzt. Die Autoindustrie (-25 Prozent), Maschinenbauer (-13,8 Prozent) und die Metallverarbeiter (-13,3 Prozent) büßten überdurchschnittlich ein. In diesen Sparten gingen auch die meisten Arbeitsplätze verloren – um 5,8 Prozent sank die Beschäftigtenzahl bei den Metallerzeugern und -verarbeitern, um 4,5 Prozent im Maschinenbau. Insgesamt hielt sich der Stellenabbau dank Kurzarbeit in Grenzen, das Minus der gesamten Industrie lag bei 2,7 Prozent.

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Zum Jahresende erholte sich die Auftragslage spürbar, in der Autoindustrie rascher als etwa bei den Maschinenbauern. Mit Blick nach vorn bereitet der sehr exportorientierten Metall- und Elektroindustrie die weitere Entwicklung der Pandemie nach wie vor Sorgen. Ebenso das von der Bundesregierung geplante Lieferkettengesetz mit Haftungsrisiken für deutsche Hersteller bei Verstößen ausländischer Zulieferer gegen Sozial- und Umweltstandards.