Düsseldorf.. Die meisten Hähnchen aus NRW-Betrieben werden mit Antibiotika aufgezogen. Das kritisiert NRW-Umweltminister Johannes Remmel. Verbraucher sollten auf Hähnchen von möglichst kleinen Höfen zurückgreifen.
Es ist bundesweit das erste Gutachten, das den Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast systematisch untersuchte. Von Februar bis Juni hat das Landesumweltamt 182 Geflügelbetriebe in NRW durchkämmt und ist zu einem alarmierenden Befund gelangt: Der Einsatz von Medikamenten ist praktisch die Regel. Nur 18 Betriebe verzichten bei der Hähnchenmast auf Hilfen der Pharmaindustrie. Da es sich um die Überprüfung von 962 Hähnchenzuchtdurchgängen im größten Bundesland handelt, hält NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) die Studienergebnisse für bundesweit übertragbar. Was Verbraucher nun wissen müssen.
Gesundheitsgefahr für den Menschen
Antibiotika-Rückstände im Fleisch sind für sich genommen nicht das Hauptproblem. Wissenschaftler warnen vielmehr davor, dass das kurzzeitige Doping von Tieren mit gezielten Antibiotika-Cocktails die Ausbreitung von multiresistenten Keimen beschleunigt. Eine Langzeit-Untersuchung des Bundesinstituts für Risikobewertung hat in Fleisch- und Lebensmittelproben Keime nachweisen können, die zu 48 Prozent resistent gegen mindestens einen Wirkstoff waren. Beim Menschen kann das dazu führen, dass bei Erkrankungen notwendige Antibiotika keine Wirkung mehr entfalten. Laut Robert-Koch-Institut sterben jährlich mehr als 15 000 Menschen in Deutschland wegen multiresistenter Keime.
Problem beim Fleischkauf
Der Verbraucher kann beim Hähnchenkauf nicht erkennen, ob das Fleisch unter Einsatz von Medikamenten gepäppelt wurde. NRW-Umweltminister Remmel hat zwar eine neue Produktkennzeichnung ins Gespräch gebracht, dafür fehlt es jedoch bislang an klaren rechtlichen Vorgaben des Bundes. Diskutiert wird auch eine freiwillige Etikettierung für Hähnchenfleisch ohne Antibiotika.
Als Faustregel an der Frischetheke gilt bislang nur: Bei Bio-Produkten ist die Medikamentenzugabe generell eingeschränkt. Aber unter den 18 von 182 NRW-Hühnermastbetrieben, die ohne Wirkstoffe arbeiten, sind immerhin auch 13 konventionelle Höfe. Laut Minister Remmel werden in kleineren Betrieben mit weniger als 20 000 Tieren deutlich weniger Medikamente eingesetzt.
Vorteil für Rind- und Schweinefleisch
Eine Abgrenzung zwischen einem medizinisch gebotenen Einsatz von Antibiotika und dem gezielten, seit 2006 verbotenen Wachstumsdoping ist bei Hähnchen nur schwer möglich. Wichtigstes Indiz für illegales Doping: In einigen NRW-Betrieben wurden an nur ein bis zwei Tagen zum Teil acht verschiedene Antibiotika eingesetzt. Mehr Transparenz könnte die von Remmel geforderte Einbeziehung der Geflügelwirtschaft in eine bundeseinheitliche Datenbank für die Arzneimittelverwendung (DIMDI) in der Tierhaltung bringen. Dort wird seit Januar 2011 nach Postleitzahlen aufgeschlüsselt erfasst, welche Schweine- und Rinderbetriebe mit Medikamenten versorgt werden. So kommen die Behörden missbräuchlichem Pharma-Einsatz leichter auf die Spur.
Verbraucherbewusstsein
Als Verbraucher hat man sich daran gewöhnt, dass Fleisch billig und jederzeit verfügbar ist, ohne die industrielle Produktion von Lebensmitteln kritisch zu hinterfragen. Zwischen 1970 und 2007 ist das Durchschnittsgewicht eines Masthuhns um 61 Prozent gestiegen, während die Lebensdauer drastisch abgenommen hat. Während ein Huhn in den 1970er Jahren noch rund zwei Monate brauchte, um sich das Schlachtgewicht von gut einem Kilogramm anzufressen, werden heute in Massentierställen 1,6 Kilogramm in nur 27 Tagen erreicht.