Essen. Vorstellungsgespräche finden wegen Corona zumeist nur noch per Chat statt. Konzerne wollen gute Erfahrungen in die Nachkrisenzeit mitnehmen.

Die Sorge, keinen Parkplatz zu finden und deshalb zu spät zum Vorstellungsgespräch zu kommen, muss im Moment kaum ein Bewerber haben. Um die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus zu minimieren, haben viele Unternehmen die Arbeitsplätze nach Hause und Gespräche mit Kandidaten in die virtuelle Welt verlegt – und dabei durchweg positive Erfahrungen gemacht.


Lumnije Nikaj-Demircan hat ihr Büro in Duisburg. Die Leiterin für das Recruiting von Schülern und Fachkräften gehört zu einem 50-köpfigen Team, das für die Deutsche Bahn in NRW neue Fachkräfte von der Lokführerin bis zum Mechatroniker auswählt und einstellt. Doch seit Mitte März ist alles anders. Wegen der Corona-Pandemie sitzt Nikaj im Homeoffice in Mülheim. Kandidaten, die bei der Bahn anheuern wollen, empfängt sie zum Gespräch nicht im Konferenzraum, sondern auf dem Bildschirm ihres Laptops.

„Keine großen Unterschiede zum Gespräch im Büro“

Nikaj Lumnije kümmert sich von Duisburg aus um Nachwuchs für die Deutsche Bahn in NRW.
Nikaj Lumnije kümmert sich von Duisburg aus um Nachwuchs für die Deutsche Bahn in NRW. © Deutsche Bahn | Deutsche Bahn


„Der Betriebsrat war zu Anfang etwas skeptisch, war aber bereits nach den ersten Gesprächen vom Konzept überzeugt“, sagt Nikaj nach etlichen virtuellen Begegnungen. Wir haben bislang nur positive Erfahrungen mit Video-Vorstellungsgesprächen gemacht. Wir haben ein tolles Feedback.“ Die Nachteile, den Kandidaten nicht direkt in die Augen schauen zu können, will die Personalexpertin gar nicht erst verschweigen: „Natürlich ist es persönlicher, sich die Hände zu schütteln und dem Bewerber ein Glas Wasser anzubieten“, sagt sie. „Unter dem Strich gibt es aber keine großen Unterschiede zum Gespräch im Büro.“


Bevor die Corona-Krise ausgebrochen war, hatte die Bahn das Ziel ausgegeben, bis Ende des Jahres 3800 neue Mitarbeiter einzustellen. Ob es dabei bleibt, berät der Konzern derzeit. Aufgrund stark rückläufiger Fahrgastzahlen will der Vorstand ein Sparprogramm auflegen. Fakt ist aber, dass auch in der Pandemie der Bewerbungsprozess weiterläuft. Nach Unternehmensangaben gehen in Duisburg für ganz NRW monatlich 3000 bis 5000 Bewerbungen ein. Aktuell sind es 3000.

Trotz Corona-Krise stellen NRW-Konzerne ein

Die Nachwuchs-Suche geht auch beim Düsseldorfer Telekommunikationskonzern Vodafone weiter. „Seit Ende März haben wir Bewerbungsgespräche ganz in die virtuelle Welt verlagert. Trotz der Corona-Krise stellt Vodafone Deutschland weiter ein. Das Signal wird positiv wahrgenommen“, sagt Abteilungsleiterin Nila Ghosh. „Pro Jahr entstehen bei uns über tausend Vakanzen – vom Praktikanten bis zur Führungskraft. Uns erreichen Tausende an Bewerbungen.“


Wer zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird, muss nicht mehr ins rummelige Düsseldorf reisen. Eine Erleichterung für Bewerber, die aus der Ferne oder gar aus dem Ausland kommen. „Mit Kandidaten nur über eine Videokonferenz zu sprechen, ist wirklich eine ganz andere Situation. Persönlich wäre es natürlich besser“, räumt Ghosh ein. „Es fehlt natürlich der Smalltalk auf dem Weg vom Aufzug in den Besprechungsraum. Wir versuchen deshalb, ein lebendiges Interview-Setting aufzubauen. Dadurch werden die Kandidaten lockerer, wir aber auch“, sagt sie Und: Vodafone hat einen Leitfaden entwickelt, um die Gespräche so realistisch wie möglich ins Netz zu übertragen.

„Die Kleidung ist im Videochat legerer“

Nila Ghosh ist Abteilungsleiterin bei Vodafone. Sie stellt pro Jahr rund 1000 neue Leute ein.
Nila Ghosh ist Abteilungsleiterin bei Vodafone. Sie stellt pro Jahr rund 1000 neue Leute ein. © Vodafone | Vodafone


Die Abteilungsleiterin ist davon überzeugt, dass die private Umgebung die Atmosphäre bei der Bewerbungsrunde angenehmer machen kann. „Die Kleidung ist im Videochat ohnehin legerer. Und dass beide Gesprächspartner acht Wochen nicht beim Friseur waren, ist doch ein lockerer Auftakt für die Runde“, lacht Ghosh.


Schwieriger wird es allerdings, wenn der erste Arbeitstag der frisch eingestellten Mitarbeiterin gleich im Homeoffice stattfindet. Die Erfahrung hat Lisa Reichert gemacht. „Am Vodafone-Campus konnte ich mir gerade einmal mein Laptop und Headset abholen“, erzählt die junge Frau, die seit dem 1. April als Entwicklerin für den Online-Shop tätig ist. Einarbeitung ist dank Corona jetzt virtuell. Doch Reichert ist zufrieden. „Meine Gruppenleiterin und meine Kollegen haben mich nett per Videochat aufgenommen. Es gibt eine virtuelle Kaffeeküche und wenn ich Fragen habe, kann ich jederzeit die permanente Konferenz nutzen.“


Trotz Corona-Krise hält auch der Bochumer Wohnungsriese Vonovia daran fest, seine rund 500 offenen Stellen zu besetzen. Gesucht werden Gärtner, Reinigungskräfte, Handwerker, Objektbetreuer, Sachbearbeiter, Controller, Einkäufer, Immobilienverwalter, Immobilienkaufleute und Ingenieure. „Erfreulicherweise halten wir an den geplanten Ausbildungszahlen fest und haben diese auch in Zeiten von Corona nicht nach unten korrigiert. Wir bieten aktuell bundesweit noch rund 60 freie Ausbildungsplätze“, sagt Vonovia-Sprecherin Nina Henckel. Auch die Zentrale des Dax-Konzerns hatte sich weitgehend ins Homeoffice verlagert.

Virtuelle Bewerbungsgespräche auch nach der Krise

Allmählich füllen sich die Büros in den Unternehmen wieder. Kehren die Bewerbungsgespräche dann auch wieder voll in die analoge Welt zurück? „Wir werden auch nach Corona digitale Elemente des Bewerbungsgesprächs beibehalten und sie mit dem persönlichen Kontakt kombinieren. Wir testen auch gerade Formate der Video-Bewerbung“, kündigt Vodafone-Abteilungsleiterin Nila Ghosh an. Und auch bei der Bahn ist der Zug in Richtung Internet nicht mehr aufzuhalten. Lumnije Nikaj-Demircan: „Wir planen, die positiven Erfahrungen mit in die Nach-Coronazeit zu nehmen. Es hat sich wirklich bewährt, dass die Teilnehmer der Gespräche nicht von fern anreisen müssen.“