Essen. Was der Euro-Gipfel wirklich gebracht hat, ob er den Euro gerettet hat, lässt sich noch nicht sagen. Klar ist nur, dass Europa endgültig eine Krisenstrategie fährt, die der amerikanischen frontal gegenüber steht. Die Europäer sparen gegen die Krise an, die Amerikaner drucken frisches Geld. Eine Analyse.
Europa geht ihren Weg – Angela Merkels Weg. Ob er den alten Kontinent aus der Schuldenkrise führt, kann wenige Tage nach dem Gipfel niemand wissen. Auch wenn unzählige Ökonomen, politische Beobachter und anglo-amerikanische Regierungen es bereits zu wissen glauben: Natürlich nicht, lautet ihre Antwort. Diese Skepsis spiegelt die einzige Gewissheit wider, die der Gipfel gebracht hat: Europa geht endgültig in die entgegengesetzte Richtung wie Amerikaner und Briten. Europa spart, Amerika wirft die Notenpresse an. Die Welt wird in den kommenden Jahren einen Kampf der Systeme erleben.
So ziemlich alle großen Industrieländer kämpfen mit hohen Schulden und angeschlagenen Banken. Darauf haben die USA eine klare Antwort: Sie fluten durch ihre Zentralbank Fed die Banken mit Geld. Der alte Kontinent will sich dagegen einem harten Sparkurs unterwerfen. Beides hat Vor- und Nachteile. Stand heute kann niemand seriös beurteilen, was überwiegt.
Kurzfristige Lösungen versus langfristige
Zum akuten Nachteil für Europa könnte werden, dass die Finanzmärkte so ticken wie die USA: Sie wollen kurzfristige Lösungen, sie verlangen nach der Bazooka. Zu deutsch: Die Europäische Zentralbank (EZB) soll die Krise beenden, indem sie den südeuropäischen Krisenstaaten so viel Geld leiht, wie sie benötigen. Aus Angst vor einer Inflation haben das Deutschland und Finnland verhindert. Entsprechend enttäuscht reagierten die Börsenexperten.
Nun können die Europäer nörgelnde Börsianer aushalten. Gefährlich wird es, wenn langfristige Investoren wegen dieser Bedenken weiter hohe Zinsen von Italien, Spanien und Co. verlangen. Mitentscheidend dafür wird die Reaktion der Ratingagenturen sein. Sie ließen vor dem Gipfel durchklingen, dass Merkels Pläne hilfreich seien. „Langfristig werden die Märkte das honorieren“, glaubt Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise. Andererseits folgen die Ratingriesen der amerikanischen Denkschule. Sie hätten sich ebenfalls eine EZB als unlimitierte Geldgeberin gewünscht.
Lehrbeispiel Japan
Die US-Regierung hat vor dem Gipfel klar gesagt, was sie von den Europäern erwartet. Finanzminister Timothy Geithner flog über den Atlantik, um den Europäern mit seinen „großen Erfahrungen“ zu helfen. Allein, die wollten genau das nicht. Denn sehr segensreich war all das Gelddrucken seit der Finanzkrise 2008 nicht. Die US-Wirtschaft lahmt, und Washington plagen weit größere Schuldenlasten als Kerneuropa. Erst im Sommer standen die USA selbst vor einer Staatspleite. So musste sich Geithner von der österreichischen Finanzministerin Maria Fekter mit den Worten belehren lassen: „Ich hätte mir doch erwartet, wenn er uns die Welt erklärt, dass er sich anhört, was wir den Amerikanern erklären wollen.“
Doch auch das eiserne Sparen à la Merkel hat einen enormen Nachteil: Wenn der Staat über viele Jahre spart, kostet das Wachstum und Wohlstand. „Eine Katastrophe“ nennt daher DGB-Chef Michael Sommer die Gipfel-Beschlüsse, er befürchtet einen Sozialabbau auf breiter Front.
„Sparen wäre jetzt das Falsche“, sagt auch Japans Starökonom Richard Koo in der "Frankfurter Rundschau". Europa begehe den gleichen Fehler wie Japan. Seit 1997 fährt das Land einen rigiden Sparkurs. Die Folgen sind eine Dauer-Rezession und die höchste Schuldenlast aller führenden Industrienationen.
Europa muss also etwas anders machen als Japan. Die langfristige Hoffnung, dass sinkende Schulden neue Spielräume freisetzen, hilft den Krisenländern vorerst nicht. Griechenland und Portugal kämpfen jetzt ums Überleben – und für sie brachte der Gipfel tatsächlich nichts Greifbares.
Nächster Gipfel kommt
Deshalb sind weitere Gipfel nötig. Ist der Rettungsschirm zu klein, braucht es weitere Milliarden – oder neue Waffen. Das Thema Eurobonds ist nicht vom Tisch. Gemeinsame Anleihen aller Euro-Länder könnten Krisenstaaten aus der Zinsfalle holen. Merkel ist dagegen, weil niedrige Zinsen zum Schuldenmachen einladen. Doch hat sie selbst die Brücke gebaut, über die sie irgendwann gehen könnte: Wenn alle Staaten die Schuldenbremse umsetzen, sind sie zum Sparen gezwungen – ob mit oder ohne Eurobonds.
Merkel selbst hat ihrer Ablehnung von Eurobonds zuletzt ein diplomatisches „derzeit“ angehängt. Damit ließ sie sich die Option offen, sie irgendwann doch zu schlucken. Dieses Irgendwann könnte bald kommen, etwa beim nächsten Gipfel im März.