Berlin. Das Ausland ordert so viel wie nie, Firmen stellen ein: Die deutsche Wirtschaft brummt. Doch der Bund kann das Geld nicht investieren.
Gibt es einen schöneren Satz für eine Kanzlerin? „Wir können im Augenblick gar nicht das Geld, was vorhanden wäre, schnell genug ausgeben. Und wir müssen da unbedingt aufpassen, dass wir hier nicht weitere Zeitverzögerungen bekommen.“ Das jedenfalls hörten die deutschen Wirtschaftslenker beim Tag der Industrie in Berlin von Angela Merkel. Im Klartext: Es gibt finanzielle Spielräume für Investitionen, etwa in marode Straßen und Schulen, aber man kommt mit dem Planen nicht hinterher.
Es läuft gerade gut für Deutschland, selbst wenn der Welthandel als Wachstumstreiber vorerst ausfällt: Die Konjunkturprobleme Chinas, der zweitgrößten Wirtschaft der Welt, sind nicht gelöst; das Votum der Briten für den Austritt aus der EU verunsichert Investoren; aus einst boomenden Schwellenländern kommen keine Impulse; und auch die USA schwächeln.
Warum läuft die Wirtschaft trotz der schwierigen Weltlage so gut?
Es gibt zwei wesentliche Gründe: Zum einen geben die Deutschen mehr aus, was die heimische Wirtschaft beflügelt. Zum anderen profitieren die Unternehmen vom Euro-Kurs. Derzeit kostet ein Euro rund 1,12 Dollar. 2014 waren es noch mehr als 1,30 Dollar. Dadurch sind Produkte aus der Euro-Zone im Ausland günstig. Und offenbar stellen deutsche Firmen begehrte Waren her, die auch in Zeiten schwacher Konjunktur gefragt sind. So erneuert etwa Siemens in den kommenden Jahren gut ein Drittel der ägyptischen Stromversorgung.
Werden
wir wieder Exportweltmeister?
Deutschland ist auf dem besten Weg, wieder die Spitze der Exportnationen zu erklimmen. Die Unternehmen werden in diesem Jahr Waren im Wert von 1,22 Billionen Euro ausführen, wie der Außenhandelsverband schätzt. Ein Plus von zwei Prozent und Rekord. Die Chinesen schwächeln dagegen. Sie haben Deutschland 2009 an der Spitze abgelöst.
Der Wert der Deutschen Importe wird nur um 0,5 Prozent auf 953 Milliarden Euro steigen. Dass der Wert der Exporte den der Importe deutlich übersteigt, sehen die Länder im Rest der Welt nicht so gerne. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) muss sich regelmäßig die Kritik etwa vom Internationalen Währungsfonds (IWF) anhören. Doch dem Land selbst schadet das nicht.
Und wie sieht es bei der Inlandsnachfrage aus?
Jahrelang hielten die Deutschen ihr Geld zusammen, sparten und kauften wenig. Doch weil die Unternehmen viel zu tun haben, Personal einstellen und auch mehr Lohn zahlen, haben die Deutschen mehr Geld zum Ausgeben. Und auch die Inflation ist niedrig. Hinzukommt, dass sich Sparen angesichts der niedrigen Zinsen kaum lohnt. Viele schieben Anschaffungen nicht mehr auf und kaufen etwa neue Möbel. Mancher entscheidet sich auch, eine Immobilie zu erwerben. Die Baubranche etwa profitiert davon.
Zuletzt waren die Deutschen wieder etwas skeptischer für die Zukunft, wie die Marktforscher der GfK herausfanden. „Das ist aber noch keine Trendwende. Wir erleben derzeit beim Konsumklima ein Auf und Ab auf hohem Niveau“, sagt GfK-Konsumforscher Rolf Bürkl.
Wie geht es der Industrie?
Man ist optimistisch bei der deutschen Industrie: Sie rechnet für 2016 mit einem Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt von 1,9 Prozent. Die Prognose hat sie gerade von 1,7 Prozent erhöht. Ulrich Grillo, Chef des Branchenverbands BDI, sagt: „Zusätzliche Arbeitsplätze und kräftige Lohnzuwächse sorgen dafür, dass das Konsumklima in Deutschland exzellent bleibt.“ Auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen mit einem Plus von 1,9 Prozent – es wäre das größte seit 2011. Im August hat die deutsche Industrie wegen steigender Nachfrage aus dem Inland und der Euro-Zone überraschend viele Aufträge erhalten.
Und wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt?
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist nach wie vor historisch günstig. Im September sank die Zahl der Menschen ohne Job auf den niedrigsten Stand seit März 1991. Die Zahl der Erwerbstätigen ist mit mehr als 43 Millionen so hoch wie nie seit 1950. Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, schätzt, dass sich trotz der wachsenden Zahl jobsuchender Flüchtlinge der positive Trend fortsetzen wird.
Haben die Bürger etwas davon?
Nun, das kommende Wahljahr wird, wenn die Wirtschaftsdaten weiter so gut sind, möglicherweise eine Zeit der Versprechen. Kanzlerin Merkel machte am Donnerstag schon mal den Anfang und sagte, sie halte Steuersenkungen in den kommenden Jahren für machbar. Union und SPD haben sich bereits auf eine Mini-Steuerreform zum 1. Januar 2017 geeinigt. Sie entlastet die Bürger im kommenden Jahr um insgesamt 6,3 Milliarden Euro. Ob dann noch mehr kommt: Abwarten.
Was läuft nicht?
Angesichts sprudelnder Steuerquellen fordert BDI-Präsident Grillo Investitionen – Geld für Schulrenovierungen, für Schienennetz und Straßen. Zudem schwächelt der Ausbau schneller Internetverbindungen. Und die Kosten der Energiewende steigen auch deutlich.