Essen.. Der Chemiekonzern Evonik will das derzeit gängige massenhafte Töten männlicher Küken in der Geflügelzucht überflüssig machen.


Es ist trauriger Alltag in der Geflügelzucht. Allein in Deutschland werden pro Jahr Schätzungen zufolge mehr als 40 Millionen männliche Küken aus Legehennen-Brutbetrieben an ihrem ersten Lebenstag getötet. Von rund 3,2 Milliarden Küken weltweit ist die Rede. Männliche Tiere werden in der Geflügelzucht im großen Stil aussortiert und vergast oder geschreddert, da sie weder Eier legen noch für die Fleischproduktion geeignet sind. Bernhard Mohr vom Essener Chemiekonzern Evonik spricht von „einem der größten ethischen Probleme der modernen Geflügelzucht“.

Produkte für die Geflügelmast sind ein wichtiger Geschäftszweig von Evonik. Der Revierkonzern ist Weltmarktführer für den in der Hühnermast weit verbreiteten Futterzusatz Methionin. Wie sich die Preise für die Aminosäure auf dem Weltmarkt entwickeln, wirkt sich Jahr für Jahr entscheidend auf die Bilanz des Unternehmens mit seinen mehr als 36.000 Beschäftigten aus.

Nun hat sich Evonik an einer jungen niederländischer Firma beteiligt, die das Töten männlicher Küken in der Geflügelzucht mit einer neuen Technologie überflüssig machen möchte. Das Start-up namens In Ovo aus Leiden habe eine besonders schnelle und verlässliche Methode zur Geschlechtsbestimmung im Ei entwickelt, die sich in den Arbeitsalltag großer Brutbetriebe integrieren lasse, teilte Evonik mit. In Ovo passe hervorragend zum Revierkonzern, so Evonik-Manager Emmanuel Auer.

Geschlechtsbestimmung in Sekundenschnelle

Schon lange wird nach einer praktikablen Methode zur Geschlechtsbestimmung im Hühnerei gesucht. „Wir benötigen zuverlässige und bezahlbare Verfahren, die in die Abläufe einer modernen Brüterei passen“, erläutert Friedrich-Otto Ripke, der Präsident des Branchenverbands Deutsche Geflügelwirtschaft. „Das bedeutet, dass beispielsweise eine Kapazität von 100.000 Eiern pro Tag möglich sein muss.“

So weit ist In Ovo allerdings noch nicht. Die Firma wurde vor fünf Jahren von Wil Stutterheim und Wouter Bruins gegründet, die sich an der Universität Leiden kennengelernt haben. In den nächsten Monaten wollen die Gründer mit Partnern einen Prototypen entwickeln, der große Mengen Eier analysieren und sortieren kann, heißt es. Im Labormaßstab benötige In Ovo derzeit eine Sekunde, um ein Ei zu analysieren. Diese Zeit soll auf einige Mikrosekunden verkürzt werden.

Verschiedene Verfahren in der Entwicklung

„Entscheidend ist, dass die Verfahren nicht nur im Labor funktionieren, sondern auch den Praxistest in Brütereien bestehen“, sagt Friedrich-Otto Ripke mit Blick auf die Bemühungen in der Branche. Generell gebe es verschiedene Ansätze. Hoffnungen ruhen auf hormonellen und spektroskopischen Verfahren, also Verfahren, bei denen Laser und Licht zum Einsatz kommen. „Bei der Spektroskopie gibt es Hinweise, dass sie auch am geschlossenen Ei funktionieren könnte.“

Die Technologie des Evonik-Partners In Ovo beruht Unternehmensangaben zufolge auf sogenannten Biomarkern, mit deren Hilfe sich das Geschlecht von Kükenembryos im Ei rasch nach der Befruchtung bestimmen lässt. Hierfür werde ein winziges und wieder verschließbares Loch in das Ei eingebracht. Dann werde eine Probe entnommen und untersucht.

Umweltschutzorganisation BUND ist skeptisch

Die Umweltschutzorganisation BUND reagiert zurückhaltend. „Ich bin skeptisch“, sagt BUND-Expertin Katrin Wenz. Es werde zwar viel an technischen Lösungen geforscht, jedoch kaum an Lösungen im Sinne einer verantwortbaren Tierzucht. „Wir brauchen dringend ein Umdenken“, fordert Wenz. Deshalb spreche sich der BUND für die Zucht von „Zweinutzungshühnern“ aus. Damit seien Rassen gemeint, die sowohl zur Eier- als auch zur Fleischproduktion geeignet sind. Forschungsergebnisse deuteten demnach darauf hin, dass „Zweinutzungshühner“ entspannter in Gruppen leben. „Mit ungekürztem Schnabel kommen sie besser zurecht. Auch sind diese Hühner generell gesünder und benötigen weniger Medikamente – so könnte beispielsweise auch bei der Antibiotikagabe eingespart werden.“

Die Bundesregierung indes hat schon vor geraumer Zeit das Ziel ausgegeben, dem Kükentöten ein Ende zu setzen. Doch nach wie vor ist unklar, wann es soweit sein wird. „Das Bekenntnis der Branche ist klar“, sagt Friedrich-Otto Ripke. „Sobald es eine praxistaugliche Lösung gibt, wird das Kükentöten beendet.“