Essen/Rheda-Wiedenbrück. Tönnies steht unter Druck: Bis Jahresende will der Fleischkonzern 6000 Mitarbeiter direkt anstellen. Derweil erschüttert eine Razzia die Branche.

Deutschlands größter Fleischkonzern Tönnies will bis zum Jahresende rund 6000 Beschäftigte, die bislang vor allem bei Dienstleistern mit Werkverträgen arbeiten, direkt im Unternehmen anstellen. Damit werde Tönnies alle Mitarbeiter „in den Kernbereichen der Schlachtung und Zerlegung“ übernehmen, teilte das Unternehmen mit. „Wir halten Wort“, betonte Unternehmenschef Clemens Tönnies in einer Mitteilung. Die angekündigten Veränderungen im Konzern seien „im vollen Gange“.

Demnach sollen unter anderem bereits zum Monatswechsel rund 1800 Arbeiter vom Werkvertrag direkt in die Tönnies-Stammbelegschaft wechseln, sofern das Bundeskartellamt zustimme. Weitere 3200 Beschäftigte will Tönnies zum November direkt anstellen. Es gebe um die Standorte Rheda-Wiedenbrück, Sögel, Weißenfels, Kellinghusen, Kempten, Legden, Badbergen und Wilhelmshaven. Das Kartellamt erklärte nach der Ankündigung von Tönnies allerdings, derzeit gebe es zu Tönnies kein laufendes Fusionskontrollverfahren.


Nachdem die Arbeits- und Lebensbedingungen der südosteuropäischen Werkvertrags-Arbeitnehmer seit längerem in der Kritik standen und sich im Frühsommer vermehrt große Corona-Ausbrüche in der Schlachtindustrie zeigten, hat das Bundeskabinett Ende Juli den Gesetzentwurf zu einem Arbeitsschutzkontrollgesetz gebilligt, wonach in größeren Schlachtbetrieben ab dem Jahr 2021 der Einsatz von fremden Arbeitern verboten wird.

Kartellamt will größere Marktmacht von Tönnies verhindern

Tönnies ist nach Angaben des Bundeskartellamts in Deutschland das mit Abstand führende Unternehmen der Schlacht- und Fleischindustrie. Unlängst hatten die Wettbewerbshüter bereits die Übernahme des Personaldienstleisters Lazar aus Crailsheim durch Tönnies freigegeben. Dabei erläuterte das Kartellamt in einer Mitteilung auch, wie Tönnies bislang gemeinsam mit Lazar vorgegangen ist: Demnach hat Lazar Werkverträge mit Herstellern von Fleisch- und Wurstwaren für bestimmte Schlachtarbeiten abgeschlossen. Zur Erfüllung dieser Werkverträge setzte das Unternehmen dann seine eigenen Arbeitnehmer ein – speziell für die Arbeit in Schlachtbetrieben ausgebildete Beschäftigte, sogenannte Zerleger, die ganz überwiegend aus Südosteuropa stammen. Lazar habe den Arbeitskräfte-Transfer in die verschiedenen Betriebe organisiert, darunter auch Tönnies.


Nach dem Kabinettsbeschluss im Sommer hat Tönnies beim Kartellamt angekündigt, unter anderem die Werkverträge sowie Mietverträge von Lazar übernehmen zu wollen, um deren rund 350 Arbeitnehmer künftig sowohl im eigenen Betrieb einstellen als auch an Dritte vermitteln zu können, wie die Behörde mitteilte. Damit hätte Tönnies nach Einschätzung der Wettbewerbshüter seine eigene Marktposition zum Nachteil der Konkurrenten weiter stärken können. Nachdem das Kartellamt Bedenken geltend gemacht hat, beschränkte Tönnies das Übernahmevorhaben auf diejenigen Arbeitskräfte, die bisher schon im eigenen Betrieb eingesetzt worden sind.

Kutschaty kritisiert, dass Arbeitgeber gleichzeitig Vermieter ist

Der politische Druck, der auf Tönnies lastet, bleibt hoch. Anfang des Monats traf sich der nordrhein-westfälische SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty mit Vertretern von Betriebsräten, Gewerkschaften und Wohlfahrtsorganisationen, um über die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Umfeld der Fleischindustrie zu beraten. Kutschaty betonte, das Verbot von Werkverträgen könne „nur der erste Schritt gewesen sein, um die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sowie die Lebensverhältnisse drumherum dauerhaft zu verbessern“. Die Strukturen gehörten „insgesamt auf den Prüfstand“, mahnte Kutschaty. Wenn zum Beispiel der Arbeitgeber gleichzeitig auch Vermieter sei, dann sei „Ausbeutung“ programmiert. Kutschaty mahnte auch verbindliche Flächentarifverträge an, die für allgemeinverbindlich erklärt werden.


Tönnies erklärte nun, das Unternehmen wolle das Gespräch mit der Gewerkschaft NGG suchen, um einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag zu schließen. Der Fleischkonzern zahle bereits in der Produktion Löhne „weit über dem Mindestlohn“. Bei Hilfstätigkeiten werde allerdings noch der gesetzliche Mindestlohn mit bestimmten Zulagen gezahlt. Tönnies strebe nun bundesweit für die Fleischbranche „einen ordentlichen tariflichen Mindeststandard“ an: „Damit bekommen wir Wettbewerbsgleichheit, zumindest im deutschen Markt.“

Tönnies will „zusätzlichen Wohnraum“ schaffen

Die Übernahme der Beschäftigten von externen Betrieben sei „eine organisatorische Herkulesaufgabe“, erklärte Tönnies. Neben der arbeitsrechtlichen Situation sei dabei die Frage des Wohnraums eine der „größten Herausforderungen“. Tönnies führe derzeit Gespräche mit kommunalen Vertretern sowie Haus- und Grundstücksbesitzern, „zusätzlichen Wohnraum zu schaffen“, berichtete Tönnies-Personalleiter Martin Bocklage.

Unterdessen hat die Bundespolizei am Mittwoch wegen mutmaßlicher illegaler Einschleusung von Arbeitskräften aus Osteuropa eine Großrazzia in fünf Bundesländern ausgeführt. Wie die Bundespolizei gegenüber den Nachrichtenagenturen dpa und AFP erklärte, seien rund 800 Beamte im Einsatz gewesen. Beschuldigt seien zwei Firmen. Sie sollen hauptsächlich rumänische Staatsbürger mit falschen Dokumenten nach Deutschland geholt haben. Die Ermittlungen richteten sich laut Bundespolizei gegen zehn Hauptbeschuldigte im Alter von 41 bis 56 Jahren. Der Schwerpunkt der Razzia lag in Sachsen-Anhalt, Durchsuchungen fanden auch in Sachsen, Berlin, Niedersachsen und NRW statt. Das Unternehmen Tönnies war nach eigenen Angaben nicht von der Razzia betroffen.