Essen. Ministerpräsidentin Kraft will das Land digital wettbewerbsfähig machen. Drei Kernaussagen ihrer Regierungserklärung in der Analyse.
Am Montag hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) auf der Computermesse Cebit in Hannover für ihre Digitale Strategie geworben. Das muss sie auch, denn noch gibt es viel Entwicklungspotenzial. Drei Beispiele:
Breitbandausbau
Das sagt die Ministerpräsidentin:
„NRW ist beim schnellen Internet im Vergleich zu anderen Flächenländern vorne. […] Aber wir dürfen uns damit nicht zufrieden geben. [...] Wir müssen die noch bestehenden weißen Flecken erschließen. […] Bis 2018 sollen Kommunen im ländlichen Raum an das Hochgeschwindigkeits-Internet angeschlossen werden. Wir werden dabei einen besonderen Schwerpunkt auf den Anschluss der Gewerbegebiete legen.“
Das ist die Lage: Selbst in Ballungsgebieten wie dem Ruhrgebiet gibt es noch immer zahlreiche weiße Flecken. Auch wenn der sogenannte Breitband-Atlas NRW vielen Revierstädten eine hohe Quote schneller Internetanschlüsse bescheinigt, haben Unternehmen bislang oft das Nachsehen. Erst kürzlich stellte die Mülheimer Wirtschaftsförderung Ergebnisse einer Umfrage unter 260 Firmen im Stadtgebiet vor. Ergebnis: Über die Hälfte beklagten sich über langsame Anschlüsse – vor allem in Gewerbegebieten. Mülheims Probleme seien die vieler Revierstädte, ist Wirtschaftsförderer Jürgen Schnitzmeier überzeugt.
In Wohngebieten wird die Breitband-Versorgung zurzeit vor allem durchs Netz der Kabel-TV-Betreiber gesichert. Überall dort, wo Kabelfernsehen liegt, lassen sich theoretisch Bandbreiten von 50 und mehr Megabit pro Sekunde realisieren. Allerdings gibt es nur selten Kabel-TV-Anschlüsse in Gewerbegebieten. Bislang scheuen die Unternehmen die zum Teil hohen Kosten für einen eigenen Breitband-Anschluss.
Um das Problem anzugehen, nimmt die Landesregierung allerdings kein eigenes Geld in die Hand. Düsseldorf hofft auf 60 Millionen Euro vom Bund aus der Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen. Dazu hat NRW Projekte im Wert von 3,7 Milliarden Euro für das EU-Investitionsprogramm angemeldet. Ob und wann das Geld fließt, ist jedoch ungewiss. Bayern hingegen wartet nicht nur auf Fördergelder aus Berlin und Brüssel, sondern hat ein eigenes, milliardenschweres Programm nur für den Breitbandausbau aufgelegt.
Industrie 4.0
Das sagt die Ministerpräsidentin:
„Deutschland kann in den kommenden zehn Jahren von der konsequenten Wende hin zur Industrie 4.0 mit etwa 700 Milliarden Euro Wertschöpfung profitieren. […] Von alleine kommt das aber nicht. Dazu müssen in den Unternehmen z.B. Anforderungen an die Mitarbeiterqualifikation neu definiert und auch Unternehmensstrategien neu durchdacht werden.“
Das ist die Lage: Bislang gibt es nur wenige Modellprojekte in NRW, die das Thema Industrie 4.0 angehen. Dahinter verbirgt sich die konsequente Vernetzung von klassischem produzierenden Gewerbe mit den Möglichkeiten der digitalen Wirtschaft. In Ostwestfalen-Lippe ist vor zwei Jahren ein Projekt ausgelobt worden, das die Vorteile des vierten industriellen Wandels aufzeigen soll. Industrie 4.0, das sei ein sperriger Begriff, sagt Günter Korder, Geschäftsführer der Initiative „it’s owl“. Man müsse das an einfachen Beispielen festmachen. „Nehmen Sie zum Beispiel einen Mähdrescher“, sagt Korder. „Das ist heutzutage eine rollende Fabrik. Viele Regelsysteme sorgen dafür, dass am Ende immer das bestmögliche Ernteergebnis herauskommt.“ Außerdem kommuniziere die Maschine mit der Mühle, um ihr zu signalisieren, in welcher Qualität das Korn bei ihr eintrifft.
„It’s owl“ hat mittlerweile 46 Projekte ins Rollen gebracht – von der Stromversorgung durch Kleinkraftwerke über die bereits erwähnte intelligente Vernetzung von Landmaschinen bis hin zum selbstlernenden Schweißroboter. In enger Zusammenarbeit mit den Hochschulen in Ostwestfalen und den Firmen vor Ort sollen die Projekte vorangetrieben werden. „Keines der Projekte hat ein Rationalisierungsziel“, sagt Korder. Im Gegenteil: Durch die Arbeit an den Projekten seien neue Geschäftsfelder erschlossen worden und durch die Zusammenarbeit von Industrie und Hochschulen 6500 Jobs und 14 Studiengänge entstanden. „Vor Jahren hätte niemand mit Ostwestfalen-Lippe gesprochen“, sagt Korder. Heute sei das anders. Und: „Man muss sich eben mehr einfallen lassen, um die Leute hierzubehalten.“
IT-Sicherheit
Das sagt die Ministerpräsidentin:
„Wir brauchen Datensicherheit und wir brauchen Datenhoheit. Dafür ist Vertrauen entscheidend. [...] Wir haben ein klares Ziel gesetzt: Insgesamt rund 1000 Forscherinnen und Forscher werden in NRW an Fragen der IT-Sicherheit und des digitalen Wandels arbeiten. Was mit persönlichen Daten von Menschen aus Deutschland geschieht, dürfen nicht kalifornische Vorschriften bestimmen.“
Das ist die Lage: NRW ist schon jetzt eines der führenden Bundesländer in Sachen Datensicherheit. Allein das Horst-Görtz-Institut für IT-Sicherheit der Ruhr-Universität Bochum zählt 14 Professuren und über 100 Doktoranden, die am Thema forschen. Auf 830 Studenten kommen 60 bis 70 Absolventen jährlich. „Wir sind eine der führenden Gruppen weltweit, die sich mit dem Thema beschäftigen“, sagt Professor Thorsten Holz vom Lehrstuhl für Systemsicherheit nicht ohne Stolz. Forschung nur um der Forschung willen? „Nein“, widerspricht Holz. „Wir versuchen natürlich, unsere Forschungsergebnisse zu kommerzialisieren.“ Allein fünf Start-ups seien jüngst auf den Weg gebracht worden – und die Ausgründung Escrypt sogar kürzlich von einer Bosch-Tochter gekauft worden. Escrypt entwickelt Sicherheitslösungen für integrierte Systeme, wie sie etwa in Autos verbaut sind.
Holz muss aber auch eingestehen: „Beim Thema Start-ups hinken wir hinter Berlin noch etwas her.“ Auch deshalb wolle man sich künftig um noch mehr Partnerschaften zu Unternehmen der Region kümmern. Sind die 1000 IT-Sicherheitsexperten denn realistisch? „Sie dürfen nicht vergessen, dass sich auch in vielen NRW-Firmen Experten mit dem Thema IT-Sicherheit auseinandersetzen“, sagt Holz. Deshalb sei das Ziel eine erreichbare Größe.