Mülheim.. Discovering hands bildet Blinde im Aufspüren von Brustkrebs aus. Sie erfühlen kleinere Knoten als Ärzte. Nun liegen Anfragen aus 14 Ländern vor.

Blinde Frauen haben die besondere Gabe, selbst kleinste gut- und bösartige Tumoren in der weiblichen Brust zu ertasten, die Gynäkologen und selbst Radiologen oft nicht erkennen. Diese Un­tersuchungsmethode hat das Mülheimer Unternehmen „discovering hands“ bereits in vielen deutschen Praxen etabliert. Nun schickt es sich an, sein Konzept der entdeckenden Hände als Franchise-Modell verstärkt auch im Ausland auszurollen – jedes Jahr sollen zwei Länder hinzukommen.

Frank Hoffmann ist seit 24 Jahren niedergelassener Gynäkologe. In seiner Praxis in Duisburg-Walsum kam er zu der Erkenntnis, dass Blinde mit ihrem verfeinerten Tastsinn genauere Ergebnisse bei der manuellen Untersuchung erzielen müssten als Ärzte. Er entwickelte einen Ausbildungsplan für „Medizinische Tastuntersucherinnen“ (MTU). Tatsächlich zeigte sich sehr bald, dass die blinden oder stark sehbehinderten Frauen mit ihren Händen viel mehr wahrnehmen können als sehende Mediziner. Deshalb gründete Hoffmann 2011 discovering hands – ein Sozialunternehmen, das seither unaufhörlich wächst.

Blinde entdecken Tumore ab sechs Millimeter Größe

„Blinde Frauen können in der Brust schon sechs bis acht Millimeter kleine Gewebeveränderungen ertasten. Ärzte erkennen sie in der Regel erst ab einer Größe von ein bis zwei Zentimetern“, sagt Hoffmann, „selbst der Radiologe entdeckt 20 Prozent der Tumoren nicht.“ Dabei gilt die Früherkennung wie bei allen Krebserkrankungen als entscheidend für die Heilungschancen. Auf 1200 Frauen, die nur vom Gynäkologen untersucht werden, komme ein neu entdeckter Brustkrebs, so Hoffmann. MTUs entdecken dagegen bei 600 bis 800 Frauen ein bis zwei neue Krebsherde.

Inzwischen bilden mehrere Berufsbildungswerke MTUs in Kooperation mit discovering hands aus. „Seit 2016 stellen wir alle neu ausgebildeten MTUs direkt bei uns ein. Die ersten neun der knapp 30 ausgebildeten Tastuntersucherinnen haben ihren Arbeitsvertrag mit uns“, sagt Arndt Helf, kaufmännischer Geschäftsführer. Die anderen hätten noch Verträge mit den niedergelassenen Ärzten. Das Sozialunternehmen, so Helf, habe sich zum Ziel gesetzt, jährlich 20 neue MTUs ausbilden zu lassen, sozialversicherungspflichtig anzustellen und gynäkologischen Praxen in ganz Deutschland tageweise zu vermitteln. Das sei auch für die Ärzte betriebswirtschaftlich günstiger, weil die Tastuntersucherinnen so besser ausgelastet werden.

„Wir wollen erreichen, dass möglichst viele Frauen die Tastuntersuchung in Anspruch nehmen können. Und wir haben den Anspruch, möglichst vielen blinden und sehbehinderten Frauen die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen“, formuliert Helf den Zweiklang der Unternehmensphilosophie. Das Geschäftsmodell: An der Tastuntersuchung selbst verdient die Firma kein Geld. Die Pauschale von 46,50 Euro zahlt die Krankenkasse oder die Patientin selbst. Nach Helfs Angaben übernehmen aktuell zwölf gesetzliche Kassen sowie alle privaten Krankenversicherungen die Kosten.

Das Franchise-Konzept mit den Untersuchungsstreifen

„Wir verdienen am Absatz der Orientierungstreifen, die die MTUs bei jeder Untersuchung brauchen, um einen möglichen Tumor exakt zu lokalisieren“, erklärt der Geschäftsführer. „Darüber können wir uns selbst finanzieren.“

Der exklusive Vertrieb der Untersuchungsstreifen ermöglicht discovering hands auch den Export seiner Idee: „Brustkrebs ist ebenso ein weltweites Thema wie Blindheit“, sagt Gründer Hoffmann. Er hat inzwischen Anfragen aus 14 Ländern wie der Schweiz, Israel, Polen und Mexiko. In Österreich, Indien und Kolumbien ist das Mülheimer Unternehmen bereits aktiv. „Wir stellen unseren internationalen Franchise-Partnern unser Wissen und ein dickes Handbuch zur Verfügung. Die Ausbildung der Tastuntersucherinnen findet dann vor Ort statt“, so Hoffmann.

Finanzierungsbasis ist auch hier der Verkauf der Untersuchungsstreifen an die Franchise-Partner. Von dem Interesse aus aller Welt ist der Duisburger Arzt überwältigt: „Diese hohe Nachfrage können wir noch gar nicht bewältigen. Wir arbeiten daran, unser Konzept zumindest jährlich in zwei neuen Ländern umsetzen zu können.“