Essen. Deichmann will raus aus dem Lockdown. Der Schuh-Unternehmer beklagt die aktuellen Regeln zur Schließung von Handelsgeschäften als „Willkür“.
Der Essener Schuh-Unternehmer Heinrich Deichmann beklagt eine Ungleichbehandlung der Handelsunternehmen im Lockdown. Dass Supermärkte und Discounter Schuhe verkaufen dürften, während seine Läden geschlossen seien, bezeichnete Deichmann im Interview mit unserer Redaktion als „reine Willkür und absolut unfair“. Trotz einer drohenden neuen Infektionswelle spricht sich Deichmann für eine Öffnung der Geschäfte ab dem 8. März aus. „Es ist nicht einsehbar, warum sich die Menschen in Lebensmittelgeschäften knubbeln und dort auch Mode einkaufen“, sagte Deichmann. „Direkt daneben befinden sich oft Textil- und Schuhgeschäfte, die nicht öffnen dürfen. Dies zu ändern, würde auch zu einer gewissen Entzerrung der Kundenströme führen.“ Mit 4200 Filialen und 42.000 Beschäftigten weltweit ist das Essener Unternehmen Deichmann Europas größte Schuhhandelskette. In Deutschland beschäftigt Deichmann mehr als 16.000 Mitarbeiter in 1400 Filialen. Hier unser Interview mit Heinrich Deichmann im Wortlaut:
Herr Deichmann, möglicherweise rollt eine dritte Infektionswelle auf Deutschland zu. Virus-Mutationen erschweren den Kampf gegen die Pandemie. Ist dies der richtige Moment, um Mode- und Schuhläden wieder zu öffnen?
Deichmann: Wir sind der Meinung, dass eine Öffnung ab dem 8. März zu vertreten ist. Einzelhandelsgeschäfte sind sichere Orte. Dies belegen mehrere seriöse Studien. Und auch das Robert-Koch-Institut schätzt das Infektionsrisiko in seinem Stufenplan im Handel als gering ein, selbst wenn der Inzidenzwert über 50 ist. Wir haben sehr gute Hygienekonzepte. Auch die Selbsttests, die bald in großem Stil erhältlich sind, werden eine positive Wirkung entfalten. Wir können nicht auf Dauer im Lockdown verharren.
Fordern Sie einen Strategiewechsel in der Pandemiebekämpfung?
Deichmann: Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass es zunächst richtig war, die Kontakte der Menschen einzuschränken. Aber ich denke, wir sind jetzt einen Schritt weiter. Wir wissen mehr über das Virus und haben mehr Möglichkeiten, die Ausbreitung zu bekämpfen. Ich denke insbesondere an mehr Tests, die demnächst sogar auch bei Lebensmitteldiscountern erhältlich sein sollen. Die Tests können einen Wendepunkt zum Positiven in der Pandemiebekämpfung bringen.
Eine Voraussetzung ist aber, dass tatsächlich in großem Umfang getestet wird.
Deichmann: Ja, die Politik sollte alles dafür tun, dass die Tests auch zur Anwendung kommen – zum Beispiel in Apotheken, Schulen, Universitäten, Bahnhöfen, Flughäfen oder Innenstädten. Wenn sich große Teile der
Bevölkerung zwei Mal in der Woche testen lassen, werden viele unentdeckte Corona-Fälle bekannt. Dadurch lässt sich die Dynamik der Pandemie brechen. Nach einer Studie der Charité sind die Selbsttests übrigens ähnlich sicher, wie jene, die von medizinischem Fachpersonal vorgenommen werden.
Testen Sie auch Ihre eigenen Beschäftigten?
Deichmann: Wir testen bereits seit einiger Zeit unsere Mitarbeiter in der Essener Firmenzentrale regelmäßig und haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht. So konnten wir auch Mitarbeiter, die keine Symptome hatten, identifizieren und Infektionsketten verhindern.
Im Einzelhandel treffen viele Menschen aufeinander, womit allein schon deshalb ein Ansteckungsrisiko entsteht.
Deichmann: Wir wissen, dass die Quote der infizierten Menschen, die im Einzelhandel arbeiten, niedriger ist als im Bundesdurchschnitt. Die Hygienekonzepte des Einzelhandels sind sehr ausgefeilt. Wir haben eine Zugangsregulierung mit einer beschränkten Zahl von Menschen, die sich im Laden aufhalten dürfen. Außerdem sorgen wir für regelmäßiges Lüften und desinfizierte Kontaktflächen. Es gibt Abstandsgebote, Leitsysteme für Kunden – und vor allem eine Maskenpflicht für Kunden und Beschäftigte. Dies alles sorgt für Sicherheit.
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Wie groß ist die Not im Handel durch die Corona-Krise?
Deichmann: Die Lage ist dramatisch. Wir haben seit dem 16. Dezember einen Lockdown. Für alle Händler, die keine Lebensmittel anbieten, hat sich die Situation zugespitzt. Insbesondere Modehändler haben schwer zu kämpfen. Die ganze Branche konnte die Winterware nur zu einem sehr geringen Teil verkaufen. Das bringt viele Unternehmen in existenzielle Probleme. Der Branchenverband HDE berichtet, dass aktuell etwa 50.000 Unternehmen mit 250.000 Beschäftigten akut insolvenzgefährdet sind. Jeder Tag länger im Lockdown wird diese Zahl vergrößern. Auch deshalb appelliere ich an die Bundes- und Landesregierungen: Lassen Sie den Einzelhandel nicht im Stich. Retten Sie Arbeitsplätze und erhalten Sie lebendige Innenstädte.
Der von der Bundesregierung angestrebte Wert von maximal 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen ist vielerorts nicht erreicht oder gar in weiter Ferne. Gibt Ihnen das zu denken?
Deichmann: Ich halten den Inzidenzwert 35 für zu ambitioniert. Ich glaube auch nicht, dass es diese Zahl braucht. Wir sollten nicht das gesamte Konzept der Pandemiebekämpfung allein von einer Kennziffer abhängig machen und nur auf die Inzidenzwerte schauen. Wichtig ist doch auch: Wie stark belegt sind die Intensivbetten in den Krankenhäusern? Wie hoch die Sterblichkeit? Welche Impffortschritte gibt es bei vulnerablen Gruppen? An diesen Stellen sehen wir doch Erfolge in Deutschland. Viele Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sind geimpft, damit wird die Sterblichkeit zurückgehen.
Sie meinen, wir sollten uns daran gewöhnen, dass es Corona gibt?
Deichmann: Ich denke, wir müssen jetzt erkennen: Dieses Virus wird uns nicht über Nacht verlassen. Wir müssen darum lernen, noch etwas länger mit diesem Virus zu leben. Deshalb brauchen wir Konzepte, die das ermöglichen. Der Lockdown kann nicht das einzige Konzept sein. Das wird die Bevölkerung nicht mittragen. Die Verwerfungen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich wären viel zu hoch.
Spüren Sie persönlich eine Corona-Müdigkeit?
Deichmann: Es geht uns doch, glaube ich, allen so. Es setzt uns zu, permanent Abstand halten zu sollen und auf menschliche Kontakte zu verzichten. Natürlich bin ich davon überzeugt, dass wir konsequent die Pandemie bekämpfen müssen. Aber wir brauchen jetzt eine Weiterentwicklung in unserem Vorgehen.
Wurmt es Sie, dass Lebensmittelmärkte und Discounter Schuhe verkaufen dürfen, während Ihre Läden geschlossen sind?
Deichmann: Ja, das ist reine Willkür und absolut unfair. Der Lebensmittelhandel steht für 80 Prozent der Kundenkontakte. Es ist nicht einsehbar, warum sich die Menschen in Lebensmittelgeschäften knubbeln und dort auch Mode einkaufen. Direkt daneben befinden sich oft Textil- und Schuhgeschäfte, die nicht öffnen dürfen. Dies zu ändern, würde auch zu einer gewissen Entzerrung der Kundenströme führen.
Wollen Sie gegen diese Regelungen klagen?
Deichmann: Wir haben noch nicht geklagt. Wir hoffen noch auf ein Einsehen der Politik und wünschen uns eine konstruktive Lösung. Aber als letztes Mittel kann ich eine Klage nicht ausschließen.
Wie kommt das Unternehmen Deichmann durch die Krise?
Deichmann: Unsere Firmengruppe ist solide ausgestellt. Wir sind ein kerngesundes Unternehmen. Das hängt auch damit zusammen, dass wir keine Gewinne für private Zwecke ausschütten, sondern alles wieder investieren. Aber klar ist auch, dass auch unsere Reserven nicht unbegrenzt sind. Ein bald dreimonatiger Lockdown ist auch bei uns spürbar. Das Jahr 2020 war auch für uns sehr, sehr schwierig. In Deutschland haben wir rund 20 Prozent Umsatz verloren. Das ist einzigartig in der Geschichte unseres Unternehmens. Im Moment ist noch knapp die Hälfte unserer Läden weltweit vorübergehend geschlossen – rund 2.000 Verkaufsstellen.
Beim ersten Lockdown haben Sie Ihre Vermieter gebeten, die während der Schließung anstehenden Mietzahlungen verschieben zu dürfen. Haben Sie jetzt Einigkeit mit den Vermietern?
Deichmann: Für den ersten Lockdown haben wir uns annähernd mit allen Vermietern geeinigt. Wir möchten partnerschaftliche Lösungen, um gemeinsam die Krise zu bewältigen. Die Gespräche gehen jetzt von Neuem los. Der Gesetzgeber hat leider keine klare Regelung gefunden. Daher müssen wir erneut etwa 1.400 Verträge durchverhandeln. Das kostet viel Zeit und Kraft.
Wie sorgen Sie für die Beschäftigten, die derzeit nicht in den Läden arbeiten können?
Deichmann: Der Großteil unserer Belegschaft in Deutschland befindet sich in Kurzarbeit. Wir stocken das Kurzarbeitergeld in ganz Deutschland auf, damit unsere Beschäftigten auf 90 Prozent ihres regulären Gehalts kommen.
Gilt weiterhin das Versprechen, dass Sie keine Filialen schließen und Stellen abbauen wollen wegen der Corona-Pandemie?
Deichmann: Das haben wir bisher geschafft, und es ist auch weiterhin unser oberstes Ziel. Wir wollen keine Mitarbeiter entlassen und wir haben noch keine Läden Corona-bedingt geschlossen. Wir hoffen sehr, dass die Kunden nach einer baldigen Öffnung wieder zurückkommen. Unser Gefühl ist, dass sich viele Kunden danach sehnen, dass die Läden wieder öffnen. Gerade Mode einzukaufen, sie anzusehen und anzufassen, geht ja oft über den Bedarfskauf hinaus und bereitet vielen Menschen auch Freude.