Krefeld. Die Deutschen Edelstahlwerke (DEW) arbeiten in Krefeld daran, den Stahlschädling Wasserstoff in den Griff zu bekommen und sind dabei sehr weit.
Das Werksgelände in Fischeln, im Krefelder Süden, ist atemberaubend groß – und ziemlich ruhig dafür, dass hier einmal weit mehr als 10.000 Menschen gearbeitet haben. Die Deutschen Edelstahlwerke (DEW) teilen sich das Areal im Industriepark Krefeld mit dem finnischen Stahlriesen Outokumpu, der vor gut zehn Jahren in Deutschland auf Einkaufstour ging und das Werk 2012 Thyssenkrupp abkaufte. Krefeld ist neben Witten, Siegen und Hagen eines der vier DEW-Werke, in denen an der Zukunft des Stahls gearbeitet wird – der „grün“ sein muss und wird.
15 Jahre Erfahrung zahlen sich aus
Der Einsatz von grünem Wasserstoff (H2) als Ersatz für fossile Brennstoffe wie Kohle und Erdgas gilt als ein elementarer Baustein auf dem Weg zur geforderten Klimaneutralität der Industrie. „Auf dem Weg zur grünen Stahlherstellung haben wir einen Vorsprung vor der Konkurrenz“, ist DEW-Qualitätschef Till Schneiders sicher. In der Entwicklungsabteilung im Krefelder Werk wird gerade fieberhaft daran gearbeitet, ihn nicht zu verspielen, sondern weiter auszubauen. Die DEW-Experten bezeichnen das vergleichsweise übersichtliche Labor ein wenig selbstironisch als Chemiebaukasten. Wasserstoff und Stahl passen nicht per se zueinander, aber genau das ermöglicht die DEW durch ihre langjährigen Erfahrungen in der Produktforschung. DEW hat bereits Stahlsorten entwickelt, die die Nutzung der Wasserstofftechnologie dauerhaft zulassen.
Die Elektrolyse-Versuchsanordnung, um verschiedene Stahlsorten auf Resistenz gegenüber Wasserstoff zu testen, fände tatsächlich auch in einem größeren Klassenzimmer Platz. Dahinter steckt allerdings weit mehr als Pennäler-Know-how. „Wir haben hier alles, was wir brauchen“, versichert Schneiders. Nicht zuletzt gewitzte Experten in der Entwicklungsabteilung und im Qualitätswesen, die sich bereits seit mehr als 15 Jahren mit „Hydrogen-Steel“ befassen, der die Grundvoraussetzung für den Einsatz von Wasserstoff in industriellem Maßstab ist. „Damals war es ein gutes Hobby“, schmunzelt Hans-Günter Krull, Leiter der Entwicklungsabteilung am Standort Krefeld.
Einige Sorten H2-resistenten Stahl hat DEW bereits im Angebot. Die sind allerdings hoch spezialisierte, relativ teure Werkstoffe – und zudem nur ein Bruchteil des über 2000 Sorten umfassenden Angebots, das DEW in den Bereichen Langstahl an den vier Standorten produziert und weltweit verkauft. Es geht darum, massentauglichen Stahl zu entwickeln, der dem Energieträger Wasserstoff gewachsen ist. „H2 ist der massivste Stahlschädling, den es gibt“, erinnert Hans-Günter Krull, Leiter der Entwicklungsabteilung. Die H2-Moleküle dringen in den Stahl ein und lassen ihn verspröden. Das führt zu Schäden, die sich entweder langsam oder abrupt bemerkbar machen. Welche Sorte wie reagiert, wo der optimale Kompromiss zwischen Härtegrad und H2-Resistenz liegt, darum geht es aktuell im kleinen Maßstab im Forschungslabor im Krefelder Industriepark. 2022 soll eine stillgelegte Anlage im Werk als Pilotofen an den Start gehen, um die Tests im industriellen Maßstab auszudehnen.
Recyclingschrott und Ökostrom
Die Dekarbonisierung der Wirtschaft, da ist sich Till Schneiders ziemlich sicher, wird nicht ohne die Produktion von CO2-freiem Stahl funktionieren. Die H2-Wirtschaft wird hier einen erheblichen Anteil haben und das Thema somit auch zu einem lukrativen Geschäftsfeld für DEW. Schließlich ist es nicht mit der ein oder anderen H2-Pipeline getan, um Erdgas als Energieträger in Industrieunternehmen zu ersetzen. Die betriebliche Infrastruktur, Ventile an Maschinen beispielsweise, müssen dem Wasserstoff auf Dauer widerstehen können. Ebenso wie eine H2-Tankstelle. Genau für diese vielfältigen Anwendungen, die im Zuge einer Wasserstoffwirtschaft betroffen sind, will DEW die Produkte liefern. Einerseits. Andererseits sollen perspektivisch auch ein Großteil der rund 250 Öfen in den DEW-Werken für die Produktion von Werkzeug- und anderen Edelstahl-Langprodukten auf den Betrieb mit H2 umgestellt werden, um die gesamte Prozesskette CO2-neutral zu bekommen.
1,7 Terrawattstunden/Jahr Erdgasverbrauch
Die Deutschen Edelstahlwerke (DEW) gehören zur Swiss Steel Gruppe mit Sitz in Luzern und beschäftigen rund 4000 Mitarbeiter.DEW betreibt vier Standorte in Deutschland: Witten (Hauptsitz) und Siegen, wo Stahlschrott in Elektrolichtbogenöfen, die mit Ökostrom betrieben werden, im Block- und Strangussverfahren zu „frischem“ Stahl gegossen werden. Weiterverarbeitung und Veredelung des Langstahls in den Walzwerken, Schmieden und Adjustagen in Witten, Siegen, Hagen und Krefeld. Hier kommen jährlich zur Befeuerung der Öfen rund 1,7 Terrawattstunden Gas zum Einsatz. Das Ziel für eine grüne Produktion: Ersatz des fossilen Brennstoffs durch H2.Durch die Stahlproduktion mit Elektrolichtbogenöfen unter Einsatz von Ökostrom in Siegen und Witten fällt der CO2-Fußabdruck heute schon gering aus. Der weltweite Durchschnitt pro Tonne Rohstahl liegt bei 1,7 Tonnen CO2 pro Tonne Stahl. Bei DEW: ca 0,4 t CO2/t Rohstahl bei der Verarbeitung des angelieferten Stahlschrotts, als Green Steel ca. 0,1 t CO2/t Rohstahl.
Schon heute wirbt DEW damit, in den Werken Witten und Siegen „grünen Stahl“ produzieren zu können. In den Elektrolichtbogenöfen wird Schrott eingeschmolzen und zu neuem Stahl im Blockguss- oder Stranggussverfahren gegossen, und zwar mit 100 Prozent Ökostrom. Ein wesentlicher Vorteil gegenüber der Stahlherstellung in Hochöfen, die rund 70 Prozent der Weltproduktion ausmacht und in denen Kokskohle verfeuert wird.
Modernisierung auch in Hagen
Gelingt es DEW, H2 als Erdgasersatz in den nachgelagerten Walz- und Schmiedeprozessen einzusetzen, wäre die Kette innerhalb des Unternehmens grün. „Wir würden in nicht allzu ferner Zukunft eine komplett CO2-neutrale Produktion haben“, versichert Qualitätschef Till Schneiders. Nicht zuletzt dank der jahrelangen und akribischen Tüftelei im Krefelder Werk und in den Labors der weiteren DEW-Standorte. Absehbar sollen außer in Krefeld auch die Anlagen in Witten, Siegen und Hagen für H2-Technik fit gemacht werden.