„Die dritte Spur muss her“ ADAC-Experten warnen vor dem Verkehrskollaps in unserem Bundesland

Mittwoch, 27. Oktober, viertel nach neun in Nordrhein-Westfalen – man traut seinen Augen und Ohren nicht: 253 km Stau im Land meldet der Hörfunk. Der Plan, von Dortmund nach Bonn zu fahren, wird zu einem Hindernisparcour der besonderen Art. A2, A42, A40, A1, A3 – die wichtigen Ost-West- und Nord-Südtangenten des Reviers sind dicht. Die Gründe sind – wie immer – vielfältig: Lästige Tagesbaustellen, Fahrbahnausbesserungsarbeiten, langwierige Straßensanierungen, Unfälle und natürlich viel Verkehr.

„32 Prozent aller Staus in Deutschland verzeichnen wir in NRW“, erklärt Dr. Peter Meintz vom ADAC Westfalen die missliche Lage auf unseren Autobahnen. Statistiken verdeutlichen das ganze Ausmaß der Probleme. Die sogenannte durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke verzeichnet 28 000 Autos in 24 Stunden. Auf NRW-Autobahnen werden vielfach 60 000 bis 80 000 Fahrzeuge gemessen, stellenweise sogar bis zu 150 000 in 24 Stunden. Der Verkehrskollaps droht – und zwar schon bald.

„Hinzu kommt, dass seit Jahresanfang mit anziehender Wirtschaft auch wieder mehr Lkw unterwegs sind“ ergänzt Günter Trunz, Leiter Verkehr und Umwelt beim ADAC Westfalen. Die verfügbaren Zahlen deuten auf noch größere Probleme hin. „Selbst das Bundesverkehrsministerium rechnet mit einer Verkehrszunahme im Güterverkehr von 71 Prozent bis 2025“, meint ADAC-Verkehrsingenieur Dirk Krüger.

Investionen fehlen

Was ist zu tun? Mehr Lastverkehr auf die Schiene verlagern? Günter Trunz schüttelt den Kopf, sagt: „In der Nord-/Süd-Verbindung sind wir schon am Limit – da geht nichts mehr.“ Vor Jahren hätte man versäumt, das Streckennetz der Bahn zu erweitern. Künftiges Verkehrswachstum, gerade bei Gütertransporten, werde die Straße belasten, weil die Schiene auf wichtigen Strecken keine Kapazitäten mehr biete. Aber auch für die Straße wurde, nach Ansicht der ADAC-Experten, in der Vergangenheit viel zu wenig, oft nur das Nötigste getan. An fehlendem Geld, so meinen sie, läge es am allerwenigsten. Das System Verkehr bringe über Kfz-Steuer, Mehrwertsteuern und andere rund 54 Milliarden Euro jährlich ein. Es würden aber nur 17 Milliarden in die Verkehrssysteme re-investiert. „Ein Großteil landet in verkehrsfernen Bereichen“, ärgert sich Peter Meintz. „Wir sparen, koste es, was es wolle“, sagt er mit einem Anflug von Sarkasmus.

Ausbau der Verkehrsnetze

Der „Raubbau am Volksvermögen“ schade dem Logistikstandort NRW – es müsse mehr in den Erhalt der Autobahnen und die allgemeine Mobilität investiert werden. Was heißt das konkret? „Ganz klar, die dritte Spur muss her“, fordert Peter Meintz den Ausbau der noch zweispurigen Autobahnen in unserem Land. Zudem könne man hie und da mit Weiterbau von Autobahnen Netzschlüsse schaffen. Die immer häufiger eingesetzte Zuflussregelung an manchen Auffahrten hält er für ein „Element der Mangelverwaltung“. „Natürlich müssen wir alle Möglichkeiten intelligenter Verkehrssteuerung ausnutzen, aber das wird angesichts wachsender Belastung nicht ausreichen“, sagt Peter Meintz.

Maut sei keine Lösung

Eine Pkw-Maut ist für ihn Unsinn. „Viele würden dann auf Landstraßen ausweichen – die Unfallzahlen würden rapide steigen“, sagt Peter Meintz. Von zusätzlich 600 bis 2000 Toten je nach Mautsystem müsse man ausgehen. Eine generelle Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit lenke vom Thema ablenken und könne vielen als Handlungs-Alibi dienen, befürchtet Peter Meintz, der klare Worte findet: „Wer über Maut und Geschwindigkeitsbegrenzung redet, geht an den wirklich relevanten Themen vorbei.“ Gesetzliche Grundlange seien zwar vorhanden, würden aber regelmäßig außer Kraft gesetzt. Neue, gigantisch große Trucks könnten die Probleme auch nicht lösen, da die Infrastruktur fehle. Zudem müsse man beachten, dass noch größere Lkw viel mehr Schäden an Brücken und Fahrbahnbelägen anrichten würden.

Es muss also etwas passieren, um unsere Straßen fit zu machen für die Herausforderungen der Zukunft. Es soll ja zügig vorangehen in NRW, das für viele ein Durchgangsland ist. Brummifahrer, die unser Land zum Beispiel von West nach Ost durchqueren, scherzen im Hinblick auf die Verkehrsbedeutung der NRW-Straßen und die – zumindest theoretische – Einbindung der Bundesstraße 1 in Dortmund als Teilstück einer europaweiten Verbindung: „Wenn du auf dem Weg von Holland nach Polen an einer roten Ampel halten musst, dann bist du in Dortmund.“ Wenn das der einzige erzwungene Stopp bleibt, dann würde ja alles zum besten stehen.

Andreas Schmid