Wanne-Eickel..
Bürgerproteste gegen große Industrieprojekte alarmieren Politik, Wirtschaft und Wissenschaft – und standen im Zentrum des 25. WAZ-Wirtschaftsforums am Dienstagabend.
Die Frage war bewusst mehrdeutig formuliert. „Ist die Industrie noch zu retten?“ So lautete der Titel des 25. WAZ-Wirtschaftsforums, das am Dienstagabend zum zweiten Mal im Mondpalast von Wanne-Eickel stattfand. Die Einladungen waren schon verschickt, als der Konflikt um den Hauptbahnhofsneubau „Stuttgart 21“ eskalierte und eine kontroverse Diskussion über die gesellschaftliche Akzeptanz wirtschaftlicher Großprojekte entfachte.
Fragen, die nun in Stuttgart diskutiert werden, beschäftigen NRW und das Ruhrgebiet schon seit einiger Zeit. Schließlich steht hier mit Eons Steinkohlekraftwerk Datteln ebenfalls ein Milliardenprojekt auf der Kippe, weil sich Anwohner gegen das Vorhaben wehren. Am Niederrhein hat der Bau einer Kohlenmonoxid-Pipeline des Bayer-Konzerns Widerstand von Bürgern ausgelöst.
Entwickelt sich Deutschland zur Dagegen-Republik?
An Rhein und Ruhr lässt sich das Spannungsfeld beobachten, in dem sich Politik und Wirtschaft bewegen. Entwickelt sich Deutschland zur Dagegen-Republik? Müssen Politik und Wirtschaft angesichts zahlreicher Bürgerproteste gegen Großprojekte besorgt sein um den Industriestandort NRW? „Ja, das macht mir Sorge“, sagte NRW-Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger (SPD) vor der Podiumsdiskussion, die von WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz und WAZ-Wirtschaftsressortchef Thomas Wels moderiert wurde. „Zugleich bestärkt es mich, dass wir mehr Dialoge mit den Bürgern und allen Betroffenen brauchen, um den Industriestandort NRW nachhaltig zu sichern“, betonte der Minister.
Anwohner zweifeln an der Sicherheit der Pipeline, die das giftige und geruchlose Kohlenmonoxid (CO) transportieren soll. Zur Lösung des Konflikts um die Bayer-Pipeline hatte Voigtsberger mehr Bürgerbeteiligung gefordert und ein Schlichtungsverfahren zwischen dem Konzern und den Bürgern ins Gespräch gebracht. Auch einen Bürgerentscheid schloss Voigtsberger als letztes Mittel nicht aus. „Die Zeit der Basta-Politik ist vorbei“, begründete er seinen Vorstoß. „Der mündige Bürger möchte permanent beteiligt und informiert werden.“ Allerdings wäre nach Einschätzung der Initiative „Mehr Demokratie“ ein Bürgerentscheid über die Pipeline zurzeit nicht möglich. Hierzu müsste zunächst die Gemeindeordnung geändert werden.
„Wir als Unternehmen sichern diese Basis“
Voigtsberger räumte beim WAZ-Forum ein, dass es auch aufgrund der juristischen Problematik vermutlich keinen Volksentscheid in Sachen CO-Pipeline geben werde. Ekkehard Schulz, der Vorstandschef des Essener Stahl- und Technologiekonzerns Thyssen-Krupp, warnte eindringlich vor den Folgen von Industriefeindlichkeit. „Deutschland hat die Krise nur dank seiner starken industriellen Basis gut überstanden“, erklärte Schulz. „Wir als Unternehmen sichern diese Basis. Dafür brauchen wir die Akzeptanz der Bürger für Großprojekte und ihre Offenheit für Innovationen – sonst setzen wir unseren Wohlstand aufs Spiel.“ Deutschland müsse im weltweiten Wettbewerb Schritt halten.
Der Bau des Kohlekraftwerks in Datteln gilt als Symbol dafür, wie die neue Landesregierung Industriepolitik betreibt. Das Projekt des Düsseldorfer Energieriesen Eon ist gefährdet, weil das Oberverwaltungsgericht Münster den Bebauungsplan für das Kraftwerk vor gut einem Jahr für unwirksam erklärt hatte. Die Bauarbeiten mussten zum Teil gestoppt werden. Das Gericht führte unter anderem an, dass Vorgaben zum Naturschutz nicht ausreichend beachtet wurden. Der Rechtsstreit läuft weiter. Klaus Brunsmeier, der stellvertretende Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), verteidigte die Proteste gegen den Kraftwerksbau. Das Vorhaben blockiere den Umbau zu einer Stromversorgung, die auf erneuerbare Energien ausgerichtet sei. Der Schutz von Umwelt und Anwohnern sei bei der Planung „aufs Gröblichste missachtet“ worden, kritisierte Brunsmeier.
„Wachsender Widerstand gegen Prestigeprojekte“
Im „wachsenden Widerstand gegen Prestigeprojekte“ sieht Claus Leggewie, der Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, zunächst einmal „ein positives Signal bürgerschaftlichen Interesses“. Problematisch werde der Protest allerdings, „wenn darin nur das Sankt-Florians-Prinzip zum Ausdruck kommt und er sich künftig auch gegen notwendige Projekte der Energiewende und einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik richten würde“.