Brüssel. .

Weil ein Organist sich von seiner Frau getrennt hatte und seine neue Lebensgefährtin ein Kind von ihm erwartet, hat ihm die katholische Kirche gekündigt. Zu Unrecht, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Die Kirche pflegt ihr eigenes Arbeitsrecht, sie geht den so genannten dritten Weg. Dass dieser für ihre Mitarbeiter mitunter steinig ist, liegt am fehlenden Streikrecht und an besonderen Verpflichtungen, die Beschäftigte im Arbeitsvertrag unterschreiben. Dazu gehören insbesondere bei katholischen Arbeitgebern auch ein Lebenswandel im Sinne der Kirchenmoral.

Das bekam auch Bernhard Schüth zu spüren. Dem Essener Organisten war gekündigt worden, weil er sich von seiner Frau getrennt hatte und mit seiner neuen Lebensgefährtin ein Kind erwartete. Ehebruch und Bigamie – befand die Gemeinde und feuerte ihn. Was deutsche Gerichte für rechtens erklärten, wertete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) allerdings als Verstoß gegen die Menschenrechte. Schüths Entlassung verstoße gegen sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

Engere Grenzen für das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

Damit hat der EGMR dem Recht der Kirchen, sich ins Liebesleben ihrer Mitarbeiter einzumischen, engere Grenzen gesetzt. Er stellt das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in Deutschland aber keineswegs in Frage. Die „Grundordnung für den kirchlichen Dienst“ erlaubt es ihnen, besondere Anforderungen an den Lebenswandel ihrer Angestellten zu stellen. Das dürfen sie grundsätzlich auch, erklärte der EGMR.

Doch hätten die deutschen Arbeitsgerichte im Fall Schüth die Position der Kirche nahezu ungeprüft übernommen und nicht gegen Schüths Recht auf ein Privatleben abgewogen. Außerdem hätten die deutschen Richter nicht bedacht, dass der Organist kaum Chancen habe, außerhalb der Kirche eine neue Arbeit zu finden. Schüth arbeitet heute halbtags in einer evangelischen Gemeinde. Vollzeit kann er dort nicht arbeiten, weil er katholisch ist – auch Protestanten gehen den dritten Weg.

Anders entschieden die Richter im Fall eines Mormonen: Der europäische PR-Chef der mormonischen Kirche war wegen einer außerehelichen Beziehung entlassen worden. Zu recht, befand der EGMR. Michael Obst war leitender Angestellter und sein Verhalten damit aus Sicht des Straßburger Gerichtshofes besonders bedeutsam. Mit der Entlassung hätten die Mormonen die „Glaubwürdigkeit der Kirche“ gewahrt.

Kirche kann Mitarbeiter nun wohl nicht mehr so schnell wegen Ehebruchs kündigen

Der EGMR wirft die grundsätzliche Frage auf, wie weit die Rechte der kirchlichen Arbeitgeber gehen. Zwar habe Schüth der katholischen Kirche gegenüber eine „Loyalitätsverpflichtung“ abgegeben, die könne aber eben nicht als „eindeutiges Versprechen verstanden werden, im Fall einer Trennung oder Scheidung ein enthaltsames Leben zu führen.“ Nach diesem Urteil könnte es für die katholische Kirche schwieriger werden, Mitarbeiter wegen Ehebruchs zu entlassen.

Beim Bistum Essen will man das Urteil sorgfältig prüfen. „Im Moment gehen wir davon aus, dass es sich um einen absoluten Einzelfall handelt“ so Sprecher Ulrich Lota. Er verweist jedoch darauf, dass im Fall Obst ein Urteil im Sinne der Kirchen getroffen wurde. Aber selbstverständlich werde untersucht, ob Konsequenzen nötig seien. Drei Monate haben die Parteien nun Zeit, sich über eine Entschädigung zu einigen oder Rechtsmittel einzulegen.