Essen. Evonik-Chef Klaus Engel über die Krise, den Börsengang und den Umgang zwischen Heuschrecke und Betriebsrat. Und warum er "mordsstolz" auf die Kulturhauptstadt 2010 ist


Evonik ist zu zwei Dritteln Chemie und damit von der Krise stark betroffen. Sehen Sie schon Land?


Engel: Die Chemie ist direkt und mittelbar bis zu 20 Prozent von der Autoindustrie abhängig, insofern sind wir in der Tat stark betroffen. Was die Volumen angeht, sind wir etwa 20 Prozent unter Vorjahr. Ich glaube aber, dass wir jetzt die Talsohle erreicht haben.


Es geht also aufwärts.


Engel: Das habe ich nicht gesagt. Es gibt einige Optimisten, die sagen, es geht in Asien 2010 wieder aufwärts. Die Mehrheit, und dazu zähle ich mich auch, glaubt eher an ein schwieriges Jahr 2009. Und 2010 wird es eine massive Trendwende auch noch nicht geben.


Sie kommen noch mit Kurzarbeit hin?


Engel: Kurzarbeit ist ein wirklich gutes und wertvolles Instrument, um Beschäftigung zu sichern und reicht immerhin für 24 Monate. Wenn wir danach immer noch aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage mit den derzeitigen Überkapazitäten arbeiten müssten, weil die Nachfrage fehlt, müssen wir uns nochmals mit den Sozialpartnern zusammensetzen.


Und dann?


Engel: Wir müssen gemeinsam flexibel reagieren, und weil wir ein gutes Miteinander mit der Mitbestimmung haben, werden wir das hinbekommen.


Sie sind zufrieden mit der IG BCE?

Klaus Engel, der Vorstandschef des Essener Industriekonzerns Evonik, im Gespräch mit WAZ-Wirtschaftsredakteur Thomas Wels (M.) und WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz. Foto: Matthias Graben
Klaus Engel, der Vorstandschef des Essener Industriekonzerns Evonik, im Gespräch mit WAZ-Wirtschaftsredakteur Thomas Wels (M.) und WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz. Foto: Matthias Graben © WAZ | WAZ






Engel: Durchaus. Es gibt zwischen Mitbestimmung und Unternehmensführung einen Grundkonsens: Die Frage, ist die Beschäftigung wichtiger oder ein hohes Lohnniveau, ist zu Gunsten der nachhaltigen Beschäftigung entschieden.


Sie wollen mehr Flexibilität bei den Löhnen?


Engel: Wir wollen keine Billiglöhne. Aber wenn sich die Krise weiter extrem zuspitzen sollte, müssten wir gemeinsam mit der Mitbestimmung sehen, was noch geht. Alles ist besser als Arbeitslosigkeit. Und wir haben hier und da sicherlich noch Spielraum.


Den auch Sie an den Tag legen?


Engel: Wer Verzicht verlangt, muss bei sich selbst damit anfangen. Deshalb verzichtet auch der Vorstand auf die Hälfte seiner erfolgsabhängigen Vergütung in diesem Jahr. Das und weitere Einsparungen bei den Personalkosten tragen mit 100 Millionen Euro zu unserem Sparziel von 300 Millionen Euro bei. Wir müssen kurz- und langfristig mit den Kosten runter, um uns Spielraum für die Zukunft zu sichern.


Sie haben das Potenzial?


Engel: Dadurch, dass wir vier Verwaltungseinheiten von Degussa, Steag, Immobilien und der RAG integriert haben, haben wir Potenzial. Und auch bei unserer Dienstleistungsgesellschaft gibt es Einsparpotenzial, das wir realisieren werden.


Sie haben, um mit Müntefering zu sprechen, als Anteilseigner eine Heuschrecke. . .


Engel: . . .Wir haben gesagt: Freuschrecke . . .

. . . die mit großen Ertragserwartungen eingestiegen ist. Sind sie unter Druck?


Engel: CVC hält 25,01 Prozent, die RAG-Stiftung knapp 75 Prozent. Dass CVC angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise nicht begeistert ist, ist klar. Wir raufen uns aber zusammen. Und außerdem: Wenn man bereits an der Börse wäre und der Kurs um 50 Prozent aufgrund der Wirtschaftskrise so deutlich abrutscht, ist der Druck am Kapitalmarkt auch nicht geringer.


Sie haben es mit der IGBCE zu tun, mit einem Finanzinvestor und einer politisch kontrollierten Stiftung.


Engel: Auch das macht die Aufgabe so interessant.


Wann wird Evonik ein strotznormales Unternehmen?


Engel: Was ist ein strotznormales Unternehmen? Die Bahn, die Telekom, die Post? Man muss überall die Interessen zusammenbinden. Wir haben mit CVC und der Stiftung sehr anspruchsvolle Aktionäre, und das hilft uns.


Inwiefern?


Engel: Wir haben die gleichen ehrgeizigen Ziele auf dem Weg an die Börse: die Basis zur weiteren Wertsteigerung von Evonik für die Zeit nach der Krise zu schaffen. Und die Stiftung wirkt stabilisierend.


Die Börsenpläne stehen also noch?


Engel: Sicher. Aber weder unsere Eigentümer noch wir stehen dabei unter Zeitdruck. Wir werden dann an die Börse gehen, wenn die Zeit reif ist: für uns und für den Markt.


Finanzinvestor und Mitbestimmung, wie passt das?


Engel: Gut, weil wir alle offen, transparent und vertrauensvoll miteinander umgehen.


Wenn Sie so gut klarkommen mit der IGBCE, dann verkauft sie Ihnen bestimmt auch die Hälfte an dem Immobilienunternehmen THS.


Engel: Das wäre schön und ich werbe auch dafür. Denn es würde wirtschaftlich einfach Sinn machen, ein starkes Immobilienunternehmen zu schmieden. Es wäre auch gut für unsere Region und die Mieter. Denn wir setzen auf den Erhalt einer guten Wohnungsqualität.


A propos. Für 2010 sind CVC 320 Millionen Euro Dividende versprochen. Schaffen Sie das?


Engel: Man sollte sich grundsätzlich abgewöhnen, Dividenden bereits nach dem 1. Quartal zu verteilen. Ein Jahr hat vier Quartale. Und ich bin noch ganz zuversichtlich.


Sie sind zu Jahresbeginn in rote Zahlen gerutscht. Kommen sie da 2009 noch raus?


Engel: Das wollen wir. Das Ergebnis im ersten Quartal war auch durch Sondereffekte beeinflusst. Wie es weiter geht, hängt von dem Erfolg unserer eigenen Anstrengungen, aber natürlich auch vom Markt ab.


Sie sind Fan des MSV Duisburg und sponsorn Dortmund . . .


Engel: . . . Was für den Bekanntheitsgrad unseres Namens Evonik und unserer Marke enorm wichtig ist. Die Einführung war ein voller Erfolg.


Trotzdem, was ist Ihnen lieber: Der Aufstieg des MSV oder der BVB als Meister?


Engel: Das eine schließt das andere ja nicht aus.

Ein Kind des Ruhrgebiets


Man kann über Sie lesen, sie seien ein Kind des Ruhrgebiets. Was heißt das?


Engel: Ich bin in Duisburg geboren und habe meine Jugend hier verbracht.


Und es gab nie eine Alternative?


Engel: Doch, mit Anfang 20 gab es für mich eine Weggabelung, da sind meine Eltern nach Freiburg in Süddeutschland gezogen und haben mich vor die Wahl gestellt: mitkommen und bei den Eltern wohnen oder im Ruhrgebiet bleiben. Ich blieb bei meiner Großmutter in Hamborn und studierte in Bochum Chemie.


Der Ruhri bleibt.


Engel: Manchmal habe ich mich gefragt, ob das richtig war. Freiburg ist eine tolle Stadt. Später, Anfang der Achtziger, herrschte auch eine Wirtschaftskrise und ich dachte daran, nach dem Studium nach Amerika zu gehen. Daraus wurde nichts und so begann bei den Chemischen Werken Hüls in Marl meine Karriere. Ich lebte in Duisburg Hamborn, am Kaiserberg, mal in Recklinghausen, und jetzt wohnen wir in Mülheim und fühlen uns sehr wohl hier.


Sie kommen international viel herum. Wie sehen Managerkollegen das Ruhrgebiet: als Hoffnungs- oder Problemzone?


Engel: Das ist mir zu sehr schwarzweiß gezeichnet. Es ist viel passiert hier im Ruhrgebiet, auch dank der Gründung des Initiativkreises und dem Engagement der Wirtschaft. Es gab allerdings auch schwierige Jahre mit Wettbewerbsnachteilen: In der Zeit der deutschen Vereinigung flossen viele Mittel nach Ostdeutschland.


Was bringt die Kulturhauptstadt 2010 der Wirtschaft?


Engel: Wir sind mordsstolz darauf. Die Kulturhauptstadt wird hoffentlich ein tolles Licht auf das Ruhrgebiet werfen.


Jetzt ist aber Krise, es fehlen noch sieben Millionen Euro, die Wirtschaft spart. Kultur ist also doch eine Schönwetterveranstaltung.


Engel: Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Arbeitsplätze zu sichern hat Vorfahrt. Wir müssen alle ein Stück weit sparen, das ändert aber an der Symbolkraft und unseren Visionen nichts. Wir müssen eben das Beste daraus machen.


Auch Evonik muss sparen.


Engel: Richtig, wir fahren einen harten Sparkurs. In Zeiten des Wohlstands fällt das allen Unternehmen schwerer. Meine Berufserfahrung hat mich gelehrt: Wenn man mit nackten Füßen auf der Herdplatte steht, wird man sehr schnell sehr beweglich.

Interview: U. Reitz, T. Wels