Berlin. .

Als Finanzminister während der Wirtschaftskrise hat er „in den Abgrund geschaut“. Nun hat sich Peer Steinbrück (SPD) politisch zurückgezogen und ein Buch über die Gefahren der Gier geschrieben.

Herr Steinbrück, Sie kritisieren die Maßlosigkeit von Managern. Hat die Finanzkrise dazu beigetragen, diese Fehlentwicklungen deutlich zu machen?

Steinbrück: Ja, die Krise hat als Beschleuniger gewirkt. Viele Menschen haben den Eindruck, dass sie anonymen Kräften ausgesetzt sind, auf die sie keinen Einfluss haben. Sie fragen sich, ob sie jetzt die Dummen sind, die den Preis zahlen müssen.

Liegen sie damit falsch?

Auf die Steuerzahler kommt in der Tat einiges zu. Deshalb ist es dringend angezeigt, den Finanzsektor mit einer Art Umsatzsteuer auf alle Finanzgeschäfte an den Kosten der Krise zu beteiligen. Das ist mehr als eine ökonomische Frage, nämlich auch eine ge­sellschaftliche Frage.

Als Finanzminister haben Sie sich erst spät für dieses Vorhaben ausgesprochen, als die Bundestagswahl 2009 vor der Tür stand. Warum haben Sie diese Idee nicht früher propagiert?

Es war ein gedanklicher Prozess, und es gab gewichtige Gegenargumente. Eines da­von: Es macht keinen Sinn, eine solche Steuer national zu etablieren, weil Finanzgeschäfte dann auswandern. Aber schließlich war ich relativ ehrgeizig, das Projekt auf die internationale Tagesordnung zu setzen.

Im Buch beschreiben Sie, wie die Bürger den Glauben an die Politik verlieren. Wegen der Internationalisierung der Wirtschaft sind den nationalen Regierungen oft die Hände gebunden. Und zusammen mit anderen Staaten fällt es sehr schwer, Lösungen umzusetzen. Kann die Politik überhaupt noch gesellschaftlichen Zusammenhalt organisieren?

Wenn sie es nicht immer wieder aufs Neue versucht, verliert sie ihre Gestaltungshoheit.

Wie würden Sie die Finanzsteuer konkret durchsetzen?

Indem ich schrittweise versuche voranzukommen. Es gibt ja ein paar Länder um uns herum, die diese Umsatzsteuer mittragen würden – Österreich, Frankreich, Holland und andere. Die Hälfte der Euroländer könnte man wahrscheinlich gewinnen. Damit muss man anfangen.

Ist das Theorie, oder haben Sie es als Bundesfinanzminister selbst ausprobiert?

Als ich noch im Amt war, habe ich versucht, die internationale Meinungsbildung vo­ranzutreiben. Und ich bin enttäuscht, dass die Regierung aus Union und FDP jetzt nicht das gesamte Gewicht Deutschlands in die Waagschale wirft. Das wäre ein wichtiger Beitrag, um Legitimation für unser Gesellschaftsmodell zu organisieren. Die Bürger wollen nicht, dass sie die Gelackmeierten einer Krise sind, die andere zu verantworten haben. Das ist eine Frage des Fairnessgebotes.

Sie ziehen ein düsteres Fazit der Finanzkrise: Die Regulierung der Märkte, die die Regierungen der wichtigsten Industriestaaten ihren Bürgern versprachen, sei zumindest teilweise gescheitert.

Es gibt Fortschritte. Aber einige Ursachen dieser Krise sind nach wie vor nicht beseitigt. Die Ankündigung des ersten Finanzgipfels von Washington 2008, dass jedes Produkt, jeder Teilnehmer und jeder Markt einer Aufsicht unterworfen werden sollte, ist auch nach vier Finanzgipfeln noch nicht umgesetzt.

Peer Steinbrück: Unterm Strich. Hamburg 2010. 480 S. Verlag Hoffmann und Campe. 23 Euro.