Essen. .
Die Freude über die guten Halbjahreszahlen von Evonik währte bei ihrer Mehrheitsgesellschafterin, der Essener RAG-Stiftung, genau einen Tag. Gestern sah sich Stiftungschef Wilhelm Bonse-Geuking erneut mit Vorwürfen konfrontiert, strategische Fehler begangen zu haben, die am Ende den Steuerzahler belasten könnten. Sie gewinnen Brisanz im Zusammenhang mit der Ankündigung der rot-grünen Landesregierung, mehr politischen Einfluss auf die Stiftung und damit auf Evonik ausüben zu wollen.
In der Sache geht es um den zwei Jahre zurückliegenden Verkauf von 25,01 Prozent der Evonik-Anteile an den Finanzinvestor CVC für 2,4 Milliarden Euro. Der Vorwurf lautet, CVC seien Sonderrechte zugebilligt worden, vor allem für ein Veto bei strategisch wichtigen Entscheidungen. Aktuell könne etwa der geplante Verkauf der Energietochter Steag nicht gegen den Willen des Minderheitsaktionärs durchgesetzt werden. Das berichtet das Handelsblatt unter Berufung auf den geheimen Gesellschaftervertrag zwischen der RAG-Stiftung und CVC. Im Lichte dieser Sonderrechte sei der seinerzeit von Analysten als sehr ordentlich bewertete Preis zu niedrig gewesen. Das entwerte zudem die übrigen Evonik-Anteile beim angestrebten Börsengang.
Von großem öffentlichen Interesse ist der Wert von Evonik, weil der Mischkonzern für die RAG-Stiftung den Kohleausstieg finanzieren soll. Würden die veranschlagten Ewigkeitskosten von acht Milliarden Euro nicht erlöst, müsste der Steuerzahler einspringen.
Aus dem Umfeld der RAG-Stiftung wurden dieser Zeitung vier Fälle genannt, in denen Einvernehmen zwischen den Gesellschaftern hergestellt werden muss: Bei Investitionen über 250 Millionen Euro, bei Zu- und Verkäufen über einer Milliarde Euro, bei Veräußerungen von Unternehmensteilen, die mehr als 100 Millionen im Jahr erwirtschaften und bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder.
Darin sieht die Stiftung aber keine Sonderrechte. Ein Aktionär mit Sperrminorität habe schon vom Aktiengesetz her Vetorechte. Zusätzliche Vereinbarungen seien „bei großen Unternehmensbeteilungen Standard“, wie die Stiftung gestern erklärte.
Der Vertrag sieht auch vor, Aufsichtsräte abzuberufen, die nicht im Sinne der Gesellschafter abstimmen. Dazu erklärt die Stiftung, der Evonik-Aufsichtsrat sei in seinen Entscheidungen „natürlich frei“. Für den Düsseldorfer Aktienrechtler Ulrich Noack ist dieser Widerspruch Ausdruck des Fraktionszwangs, wie es ihn auch im Bundestag gibt. Die Vertreter sollen frei entscheiden, wissen aber natürlich, wer sie bestellt hat.
Noack stützt die Stiftung mit seiner Bewertung des Gesellschaftervertrags: „Solche Vereinbarungen gibt es und sie sind bei nur zwei Gesellschaftern auch naheliegend”, sagte er dieser Zeitung. Rechtlich sei das grundsätzlich möglich. Auch Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hält solche Verträge für „nicht unüblich“. Durch sie werde die Attraktivität für andere Investoren jedoch reduziert.
Laut Handelsblatt habe die Stiftungsführung das Kuratorium nicht über die Rechte für CVC informiert. Die RAG-Stiftung widerspricht: Die Kuratoren seien informiert worden und hätten am 3. Juni 2008 den Gesellschaftervertrag „zustimmend zur Kenntnis genommen”.
Der Vorwurf, sich zu abhängig gemacht zu haben von einem Finanzinvestor, wiegt aber jenseits der juristischen Bewertung schwer. Denn die RAG-Stiftung bewegt sich in einem heiklen Spannungsfeld: Einerseits ist sie als Financier der Kohleabwicklung die Treuhänderin des Staates, andererseits soll sie die benötigten Milliarden unternehmerisch erwirtschaften.
Deshalb war man in Essen irritiert, als die rot-grüne Minderheitsregierung in ihrem Koalitionsvertrag „größtmögliche Transparenz“ der RAG-Stiftung forderte. Die Sorge lautet, dass zuviel politische Mitsprache Investoren abschrecken könnte. Das würde den Wert von Evonik erst recht drücken.
Nun ist man irritiert, dass der seinerzeit abgesegnete CVC-Einstieg jetzt kritisiert wird. Die aktuelle Debatte, so ist im Konzernumfeld zu hören, schadet schon jetzt dem geplanten Steag-Verkauf.