Rüdiger Grube bekommt keine Ruhe. Der Bahnchef war am 1. Mai ein Jahr im Amt. Er hat den Vorstand ausgewechselt, lässt Staatsanwälte interne Vorgänge prüfen. Doch immer wieder wird er mit Zweifeln an der Betriebssicherheit des größten Staatsunternehmens konfrontiert. Die Erblast ist gewaltig.
Der WAZ-Mediengruppe liegt ein Bericht des Bundesrechnungshofes über die Abläufe bei der DB AG vor. Die Prüfer fordern das Bundesverkehrsministerium auf, einzugreifen. „Das Eisenbahnbundesamt hat bei annähernd 50 Prozent der von ihm geprüften Bahnanlagen Sicherheitsmängel vorgefunden“, heißt es da, „obwohl es zunehmend Zwangsgelder verhängte, konnte das Bundesamt die Mängelquote nicht nachhaltig senken“.
Im Kern wirft die Bonner Prüfbehörde der Bahn vor: Bahnanlagen wie Gleise, Weichen, Signale und Brücken würden „nicht hinreichend instand gehalten“. Dies erhöhe „das Risiko für Schadensfälle im Schienenverkehr“.
Herausgefallene ICE-Tür
Sicherheit ist bei der Bahn ein brisantes Thema. Die Bilanz eines einzigen Jahres, 2008, sieht so aus: Bei 329 Bahnunfällen kamen 164 Menschen um. 156 Personen wurden schwer verletzt. 536 Schienen brachen. 40 Mal verbogen sich Gleise. 760 Mal überfuhren Loks Haltesignale.
Der Bund, Eigentümer der Bahn, verstärkt den Druck: Aufgeschreckt durch die spektakulären Pannen an den Achsen von ICE und Güterwagen, durch Fahrzeugbrände, Bremsprobleme im Berliner Nahverkehr und die herausgefallene ICE-Tür vor vier Wochen fordern die Koalitionsparteien im Bundestag eine Korrektur der Sicherheitsphilosophie.
Union und FDP wollen von der Regierung beantwortet haben, „ob zukünftig eine externe Überprüfung der Triebfahrzeuge beziehungsweise Waggons durch Dritte notwendig und sinnvoll ist“. Klartext: Loks und Wagen sollen bei Routineüberprüfungen zu einem unabhängigen TÜV - und nicht mehr in bahneigene Werkstätten, wo in der Vergangenheit Mitarbeiter erfahrungsgemäß auch „mal die Schnauze gehalten haben“, wenn sie Fehler fanden.
Unfähigen Manager saßen in der Chefetage
Grube will die Wende. Er spricht Defizite offen an. Die neue Bahnführung hat intern vieles analysiert: Zu viele Jahre ist man auf Verschleiß gefahren. Der Mammut-Betrieb, der unter Grube-Vorgänger Hartmut Mehdorn für den Börsengang fit werden sollte, leistete sich nicht einmal einen Technik-Vorstand. Dienstpflichten sind verletzt worden, manche unfähigen Manager saßen in der Chefetage am Potsdamer Platz. Wobei Grube den Vorgänger und Freund hier ausnimmt.
Der neue Chef sieht sich also am Beginn einer großen Aufräumarbeit. Das wird noch einmal Ansehen kosten: 255 ICE müssen heute zehnmal häufiger überprüft werden als früher. Verspätungen im Fahrplan sind so weiter programmiert, und erst 2014 wird die Flotte der Hochgeschwindigkeitszüge komplett mit neuem, dickerem und sicherem Laufwerk ausgestattet sein.
Mängel in der Signal- und Kommunikationstechnologie
Auch die kaputt gesparte Berliner S-Bahn rollt noch in lückenhaftem Takt. Immerhin beteiligt sich die Fahrzeugindustrie finanziell an der Umrüstung. Grube will mit einem Masterplan Technik die Firma flottmachen. Irgendwann, verspricht der Schwabe, will er das Vertrauen der Kunden zurückgewonnen haben.
Die Offensive des Rechnungshofes kommt dem Manager also ungelegen – auch wenn das Eisenbahnbundesamt die Vorwürfe abschwächt. Ja, bei 50 Prozent der Stichproben seien Mängel aufgefallen, räumte es ein. Diese Mängel, beispielsweise in der Signal- und Kommunikationstechnologie, seien aber nur zu fünf Prozent wirklich sicherheitsrelevant. Der große Rest seien „kleinere Schäden“: hier mal ein durchgerostetes Geländer, dort die fehlende Unterschrift unter einer Prüfdokumentation. Nicht immer muss es die Achse sein.