Dortmund. .
Mehr als 70 Prozent der Wirtschaftsspionagefälle in Deutschland wird von Firmenangehörigen begangen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die noch weitere erschreckende Zahlen liefert: Bei 60 Prozent der forschenden Unternehmen wurde schon einmal ein Produkt abgekupfert.
Haben Sie auch so einen in der Firma wie Herrn Müller-Meier-Schulze? So um die 40 Jahre alt, seit zehn Jahren im Unternehmen, gut ausgebildet, im mittleren Management. Fleißiger Mann, bleibt abends schon mal länger. Tja, vielleicht ist Herr Müller- Meier-Schulze auch deshalb fleißig, weil er einen Zweitjob hat: als Industriespion. Mehr als 70 Prozent der Wirtschaftsspionagefälle wird von Firmenangehörigen begangen. Menschen wie unser fleißiger Mann sind die Prototypen.
Wirtschaftskrise
macht anfällig
Diese Zahl stammt aus der jüngst erschienenen SiFo-Studie 2009/2010. Mit der SiFo-Studie lässt Baden-Württemberg, in dem es viele forschende Unternehmen gibt, regelmäßig das Ausmaß an Wirtschaftsspionage im Ländle prüfen. Die Zahlen sind erschreckend. 240 Unternehmen, meist kleinere und mittlere, wurden befragt. Bei 60 Prozent der forschenden Unternehmen wurde ein Produkt abgekupfert, bei 27 Prozent wurde konkret Spionage oder Informationsabfluss festgestellt. Die finanziellen Schäden reichen von 10 000 bis zwei Millionen Euro. Der durchschnittliche Verlust pro Fall betrug 365 000 Euro.
Was es Herrn MüllerMeier-Schulze so einfach macht, ist das Vertrauen des Arbeitgebers. Mehr als die Hälfte der Unternehmen hält es für unwahrscheinlich, dass einer ihrer Mitarbeiter so etwas tun würde. Doch die Studie belegt, dass dies eine grobe Fehleinschätzung ist.
„Anhaltend hohes Aufklärungsinteresse fremder Staaten“
Die ausländischen Geheimdienste, die viele rein spekulativ als Drahtzieher hinter Industriespionage vermuten, sind es meistens nicht. Nur sechs Prozent der ermittelten Täter waren ihnen zuzurechnen – was laut SiFo-Studie aber auch an der hohen Professionalität der Dienste liegen könnte. Wer nicht erwischt wird, der kann auch in keiner Statistik auftauchen.
Doch trotz des sogar offiziellen Auftrags etwa russischer oder chinesischer Geheimdienste, auch die ausländische Wirtschaft „aufzuklären“ – der Fachbegriff für ausspionieren –, gehen die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder nicht davon aus, dass dies im größeren Umfang tatsächlich auch stattfindet. Für die westlichen Geheimdienste, etwa aus den USA, Großbritannien oder Frankreich, schließen sie es sogar aus. Dennoch spricht die Spionageabwehr von Bund und Ländern von einem „anhaltend hohen Aufklärungsinteresse fremder Staaten“. Im Mittelpunkt stünden Wirtschaft, Wissenschaft und Technik.
Wirtschaftskrise steigert die Lust, zu klauen
Ursache für die steigende Lust der Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber die Forschungs- und Entwicklungsergebnisse zu klauen, ist die Wirtschaftskrise. Wer einen Gehaltsverlust befürchtet, der macht schon mal gerne nebenher Geschäfte. Wer Angst vor der Kündigung hat, bei dem sinkt auch die Treue zur Firma. Wer rausfliegt, findet mit einem Computer-Speicher-Stick voller Konstruktionsdaten oder den üblichen Kalkulationsunterlagen viel einfacher einen neuen Job bei der Konkurrenz als ohne.
Diese Einstellung gibt es durchaus nicht nur im mittleren Management. Zwar kam jeder dritte Industriespion aus diesem Bereich, doch bereits jeder fünfte Spion ist Mitglied der obersten Führungsebene der ausgespähten Firma.
Laut Verfassungsschutzbericht des Landes NRW ist der Schaden immens. Allein die Plagiate kosten deutsche Hersteller 30 Milliarden Euro. Die absoluten Zahlen für die Konkurrenzausspähung und die Wirtschaftsspionage sind schwer zu schätzen, doch die Verfassungsschützer gehen von Schäden von bis zu zehn Millionen Euro pro Schadensfall aus.