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Von seinem westfälischen Geburtsort Siegen war es für Gerhard Knies (72) ein langer Weg bis in die afrikanische Wüste Sahara. Doch wenn der Physiker aus seinem Leben erzählt und warum die Vision vom Wüsten-Sonnenstrom langsam Realität wird, klingt das schlüssig.

Die Stationen auf seinem Weg: die Physik, das Wettrüsten zu Zeiten des Kalten Kriegs, die Tschernobyl-Atomkatastrophe im April 1986, der Klimawandel und die Forschung. Doch der Reihe nach.

Der 1937 geborene Gerhard Knies studierte Physik in Stuttgart und Hamburg. Dazu gehörte die Atomphysik. „Die Kernphysik war damals das Frontgebiet der physikalischen Vorlesungen“, erinnert Knies sich. Nicht nur er interessierte sich dafür. Damals, in den 1950ern und 60ern, war die Welt fasziniert von den Möglichkeiten, die die vermeintlich „saubere“ Atomkraft als Alternative zu fossilen Energien wie Öl bot. In der deutschen Sprache zeugen übrigens bis heute Wortschöpfungen wie „Atombusen“ von dieser Faszination.

„Doch je mehr die Kernenergie angewendet wurde, desto mehr rückten die Nebenwirkungen ins Bewusstsein“, sagt Knies. „Was macht man mit dem Atommüll? Wie ist das mit der Betriebssicherheit?“ Auch die Radioaktivität wurde Thema. Der Physiker, der nach dem Studium zum Hamburger Forschungszen­trum Desy (Deutsches Elek-tronen-Synchrotron) wechselte, schrieb Artikel über Risiken der Industriegesellschaft.

Tschernobyl und Klima

Knies missfiel zudem das Wettrüsten: „Es instrumentalisierte die Ergebnisse der physikalischen Forschung – zur potenziellen Auslöschung der Menschheit“, erklärt er. „Die Legitimation des Wettrüstens war der Schutz von Staaten. Das fand ich unakzeptabel.“

Seine These war: „Wir brauchen keine Atomwaffen. Um ein Land zu bedrohen, reichen Atomkraftwerke.“ Denn Anlagen könnten sabotiert werden.

Dann geschah das bis dahin Undenkbare, sagt Knies. Im Atomkraftwerk von Tschernobyl (Ukraine) explodierte 1986 ein Reaktor. Das erschütterte das Vertrauen in Atomstrom. Knies fragte sich: „Sind wir bescheuert, für ein paar Pfennig günstigere Energie unsere Lebensgrundlagen aufs Spiel zu setzen?“ Für den Pfarrerssohn war klar: Das darf nicht sein. Als später der Klimawandel weltweit Thema wurde, suchte Knies Auswege: „Die Alternative kann eigentlich nur die Solarenergie sein.“

Sarkozys Interesse

Auf der Suche nach der Sonnenkraft kam Knies in die Wüste, gedanklich zumindest. Der Grund ist einfach: „In sechs Stunden erhalten Wüsten sechs mal mehr Energie, als die Menschheit in einem Jahr verbraucht.“ Das steht auch – in Englisch – auf seiner Visitenkarte, die ihn als Aufsichtsratschef der Desertec-Stiftung ausweist. Das ehrgeizige Ziel der Stiftung: In Nordafrika und in Nahost sollen Solarthermie-Anlagen in großem Stil Strom herstellen, der nach Europa importiert wird.

Wie kam der Wüstenstrom überhaupt auf die politische Agenda? Da muss der umtriebige Visionär Knies, der Mitglied des auf Nachhaltigkeit dringenden Club of Rome ist, ausholen. Die Kurzfassung: Er gründete mit anderen Experten 2003 das Wissenschafts-Netzwerk TREC. Das fertigte auch Solarstrom-Studien an. 2008 suchte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Unterstützung für seine Mittelmeerunion, also die engere Partnerschaft von Europa und den Küstenanrainern in Nordafrika und Nahost. Sarkozy stieß auf die Wüstenstrom-Idee. „Das war für Frankreich der Weg, Deutschland für die Mittelmeerunion zu begeistern.“ So sieht es Physiker Knies.

Für den Wüstensolarstrom – das größte und teuerste Öko- und Infrastruktur-Projekt aller Zeiten – begeistert sich mittlerweile auch die Wirtschaft. Bis der erste Strom fließen kann, dauert es aber. Bis 2012 sollen ein politisch abgestimmtes Konzept und erste Projektpläne stehen. Zu lösen sind nicht nur Technik-Fragen. Industrieländer müssen ihren Energiemix überdenken und die Länder Nordafrikas laut Desertec darauf vertrauen, dass es nicht um modernen Kolonialismus geht. Den begeisterungsfähigen und engagierten Knies bremst das nicht: „Mir macht es Spaß, Probleme zu lösen.“ Das hat er schließlich sein ganzes Forscherleben lang getan.

HINTERGRUND: RWE und Eon mit dabei

Ende Oktober 2009 startete in München die Planungsgesellschaft für die 2008 gegründete Desertec-Stiftung: Die Desertec Industrial Initiative GmbH (DII) soll 400 Milliarden Euro für Solarstrom-Anlagen in Nordafrika einsammeln. Das Ziel: Bis 2050 sollen 15 Prozent von Europas Energiebedarf aus der Wüste kommen. DII-Mitglieder sind unter anderem die Energiekonzerne RWE und Eon, der Industriekonzern Siemens und der weltgrößte Rückversicherer Münchener Rück.