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Die Kritik des Wirtschaftsprofessors Rudolf Hickel, deutsche Discounter lieferten sich eine „Wildwest-Ökonomie“, zeigt Wirkung: Lidl-Aufsichtsratschef Klaus Gehrig spricht sich in einem Brief an Hickel für Mindestlöhne im Einzelhandel aus.

„Damit würde die Möglichkeit und der Missbrauch von Lohndumping, der auch vereinzelt im Handel zu sehen ist, unterbunden“, heißt es in dem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt. Gehrig nimmt darin seinen Lidl-Konzern allerdings aus. Nach seinen Angaben beschäftigt der Discounter mehr als 50 000 Mitarbeiter, die „über Tarif“ und im Verkauf im Schnitt 13 Euro verdienten. Alle Beschäftigten, so der Aufsichtsratschef, erfassten „minutengenau“ ihre Arbeitszeiten selbst.

Lidl hatte in der vergangenen Zeit immer wieder negative Schlagzeilen gemacht, weil das Unternehmen Informationen über die Krankheiten von Mitarbeitern sammelte. Zudem wurden Detektive auf Mitarbeiter angesetzt. Auch andere Discounter gerieten in die Kritik, zum Beispiel die Drogeriekette Schlecker. Sie kündigte erst nach Protest an, keine Verträge mehr mit einer Leiharbeitsfirma zu schließen, die einen Stundenlohn von nur 6,78 Euro zahlte.

Vor diesem Hintergrund kritisierte Hickel im ARD-Presseclub am 31. Januar, dass Discounter ihren erheblichen Kostendruck an die Beschäftigten weitergäben und schlechtere Gehälter zahlten. Dass Lidl nun Mindestlöhne fordere, begrüßt der Bremer Wirtschaftsprofessor. Hickel nimmt den Konzern zugleich vor dem Vorwurf in Schutz, dabei handele es sich nur um einen Versuch des Aufsichtsratsvorsitzenden Gehrig, das angekratzte Lidl-Image aufzupolieren. Hickel bleibt dennoch skeptisch: „Wir müssen genau überprüfen, was Lidl damit meint und um welche Mindestlohn-Höhe es geht.“ Ein Signal an die Politik sei der Lidl-Vorstoß aber allemal.

Eher zurückhaltend reagieren auch die Tarifpartner. Einzelhandelsverband und Gewerkschaft verhandeln gerade über einen neuen Branchentarifvertrag mit Lohnuntergrenzen. „Wenn Lidl die Ankündigung, sich für einen Branchenmindestlohn im Handel starkzumachen ernst meint, ist das prinzipiell zu begrüßen“, sagte die Verdi-Vizechefin Margret Mönig-Raane der „Financial Times Deutschland“. Nach ihrer Einschätzung ist die Branche von einem Mindestlohn jedoch noch weit entfernt.

„Ein gesetzlicher Mindestlohn ist im Einzelhandel weder jetzt noch in Zukunft notwendig“, erklärte dagegen der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland, Stefan Genth. Mehr als zwei Drittel aller 2,9 Millionen Einzelhandelsmitarbeiter würden tariflich bezahlt. Davon seien 1,9 Millionen sozialversicherungspflichtig und rund 930 000 geringfügig Beschäftigte. Je nach Bundesland betrage die Lohn-Untergrenze in tarifgebundenen Einzelhandels-Unternehmen zwischen 7 und 8,70 Euro.