Berlin. .
Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich im Juli extrem verbessert. Der Ifo-Geschäftsklimaindex stieg überraschend auf 106,2 Punkte, es ist der höchste Anstieg seit der Wiedervereinigung. Bei den Bürgern wachsen allerdings die Sorgen.
Die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft hat sich im Juli so stark verbessert wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Der Ifo-Geschäftsklimaindex stieg überraschend auf 106,2 Punkte von 101,8 Zählern im Vormonat, teilte das Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) mit. Die 42 von Reuters befragten Analysten hatten im Schnitt mit einem Rückgang auf 101,6 Zähler gerechnet. Das sei der größte Sprung seit der Wiedervereinigung, sagte Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. „Die deutsche Wirtschaft ist wieder in Partylaune“, erklärte er.
Die 7000 befragten Unternehmen schätzten sowohl die Aussichten für die kommenden sechs Monate als auch die Lage deutlich besser ein als zuletzt. Das Barometer für die Erwartungen stieg auf 105,5 Punkte von 102,5. Das Lage-Barometer kletterte auf 106,8 von 101,2 Punkten.
Die meisten Experten sagen für das laufende dritte Quartal eine Konjunkturabkühlung voraus. Von Reuters befragte Analysten rechnen mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 0,5 Prozent nach 1,0 Prozent im Frühjahrsquartal.
Immer mehr Deutsche über Krise beunruhigt
Bundesregierung und Bürger liegen bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage allerdings weit auseinander. Während Schwarz-Gelb von einem deutlich stärkeren Wirtschaftswachstum ausgeht als bisher angenommen, wachsen bei den Deutschen nur die Sorgen: Zeigte sich 2009 gut die Hälfte über die Krise beunruhigt, so sind es in diesem Jahr schon drei Viertel, wie Allensbach-Chefin Renate Köcher in einem vorab veröffentlichen Beitrag für die „Wirtschaftswoche“ schrieb. Auch die Kommunen klagen.
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle sagte der „BZ am Sonntag“, es gehe aufwärts. „Für dieses Jahr sagt die Bundesregierung bisher 1,4 Prozent Wachstum voraus. Aber ich bin sicher, es wird am Ende des Jahres deutlich mehr sein“, meinte der FDP-Politiker. Diese Entwicklung werde sich im nächsten Jahr fortsetzen, weil der Konjunkturmotor über den Export hinaus angesprungen sei.
Diese Einschätzung bestätigte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Anton Börner, nur teilweise. „Der Außenhandel sprintet mit aller Kraft aus der Krise“, sagte er der „Rheinpfalz am Sonntag“. Die Exporte in die außereuropäischen Staaten in den ersten fünf Monaten hätten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 40 Prozent zugenommen.
Kurzarbeit geht zurück
Dennoch stehe der „Stresstest“ für die Konjunktur noch aus, sagte Börner dem Blatt. Dazu zählte er sowohl das Zurückfahren der extrem expansiven Geldpolitik in vielen Ländern als auch der vielfältigen Konjunkturstützen. Viele Probleme wie die Schuldenkrise seien bislang noch ungelöst. Börner warnte davor, nur auf die Exporterfolge zu bauen. Parallel dazu müsse auch die Binnenwirtschaft angekurbelt werden, vor allem mit Investitionen in der Bauwirtschaft.
Die wirtschaftliche Erholung spüren auch immer mehr Arbeitnehmer. Die größten Konzerne fahren die Kurzarbeit immer weiter zurück. Die 30 Dax-Unternehmen beschäftigen einer Umfrage der „Bild“-Zeitung zufolge nur noch rund 10.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Der Münchner Fahrzeug- und Maschinenbauer MAN zählt demnach mit 8.000 Beschäftigten derzeit die meisten Kurzarbeiter. Bei Thyssen-Krupp seien es 969 Beschäftigte, bei der Lufthansa 600. Siemens hatte bereits in der vergangenen Woche angekündigt, die Kurzarbeit zum 31. Juli bundesweit auslaufen zu lassen. Beim Stuttgarter Autobauer Daimler spielt die deutlich verkürzte Arbeitszeit der Umfrage zufolge kaum noch eine Rolle. „Bis auf einen kleinen Umfang haben wir die Kurzarbeit zum 30. Juni beendet“, sagte Daimler-Personalchef Wilfried Porth.
Drastisch steigende Sozialausgaben erwartet
Trotz der positiven Signale rechnen laut Allensbach-Chefin Köcher nur 22 Prozent der Bundesbürger fürs nächste halbe Jahr mit einer positiven Entwicklung, 38 Prozent dagegen mit einem konjunkturellen Rückschlag. „Sah es noch im Frühjahr so aus, als ob sich der Optimismus allmählich durchsetzt, hat sich die Stimmung seit Mai wieder merklich verdüstert“, schrieb die Chefin des Meinungsforschungsinstituts. „Die Menschen trauen dem Aufschwung nicht.“
Städte und Gemeinden erwarten als Folge der Krise weiter drastisch steigende Sozialausgaben. Das geht aus dem Bericht einer Experten-Arbeitsgruppe für die Gemeindefinanzkommission hervor, wie „Focus“ am Samstag berichtete. Die Kommunen könnten die drohenden Mehrbelastungen ohne „durchgreifende Änderungen“ nicht mehr schultern, zitiert das Nachrichtenmagazin.
Es gibt aber offenbar auch Wachstumshemmnisse, an die bislang noch niemand gedacht hat: Das von Stasi-Spitzeln gesäte Misstrauen bremst einer Studie zufolge noch heute die Wirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern aus. Demnach sind die Spätfolgen der Bespitzelung für bis zu sieben Prozent der Einkommensunterschiede zwischen Ost und West und für fast 26 Prozent der Unterschiede bei den Arbeitslosenzahlen verantwortlich, hieß es in Medienberichten vom Wochenende. Erstellt wurde die Studie von Mitarbeitern der Zeppelin Universität Friedrichshafen. (rtr/afp/apn)